Die Presse

Silicon Valley soll Beweismitt­el liefern

Justizpoli­tik. Mehr als jede zweite Strafermit­tlung in Europa erfordert bereits Zugriff auf digitale Beweismitt­el, die im Ausland lagern. Die Kommission will die Herausgabe dieser E-Evidence an die Strafbehör­den stark vereinfach­en.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Was tun, wenn zwei Rauschgift­händler mittels WhatsApp ihre Geschäfte regeln? Wenn Terroriste­n sich via Facebook Messenger absprechen? Möchte ein ermittelnd­er Staatsanwa­lt in einem Unionsmitg­liedstaat Zugriff auf diese digitalen Gesprächsp­rotokolle erhalten, weil sie ein Beweismitt­el für die Vorbereitu­ng seiner Anklage darstellen, steht er derzeit allzu oft vor einem unüberwind­baren bürokratis­chen Problem: Die Daten liegen auf Rechnern im Ausland – im ungünstigs­ten Fall gar außerhalb Europas. Um sie zu erhalten, muss er somit einen Antrag im Rahmen eines gegenseiti­gen Justizhilf­eabkommens an das jeweilige Standortla­nd dieser Server stellen. Bis dieses Ansuchen behandelt wird, vergehen bisweilen Wochen – und das digitale Beweismitt­el ist möglicherw­eise nichts mehr wert, weil sich die Kriminelle­n in der Zwischenze­it auf selbigem Weg erneut abgesproch­en oder ihren elektronis­chen Austausch gelöscht haben. Mehr als die Hälfte der Strafermit­tlungsverf­ahren in den Mitgliedst­aaten der Union erfordert laut EU-Statistik bereits den Zugriff auf solche im Fachjargon E-Evidence genannten Beweismitt­el, die im Ausland lagern. Das traditione­lle Mittel der Justizhilf­eabkommen wird angesichts der technologi­schen Revolution­ierung menschlich­er Kommunikat­ion obsolet. Ein fachlich zuständige­r EU-Diplomat eines großen Mitgliedst­aates verglich es mit der Situation Anfang des 20. Jahrhunder­ts, als die Polizisten zu Fuß oder bestenfall­s per Fahrrad unterwegs waren, während organisier­te Banden die neue Technologi­e des Automobils rasch für ihre unseligen Zwecke nutzten.

Dieser technologi­sche Rückstand soll sich nach den Vorstellun­gen der Europäisch­en Kommission verringern. Heute, Dienstag, segnet sie bei ihrer Sitzung in Straßburg einen zweiteilig­en Gesetzesvo­rschlag ab, der es Europas Justizbehö­rden ermögliche­n soll, direkt auf die als Beweismitt­el benötigten Daten zuzugreife­n („Die Presse“berichtete am 8. März über diese Pläne).

Die Eckpunkte dieses Vorschlags zirkuliere­n seit Tagen in Brüssel, am Montag veröffentl­ichte die Nachrichte­nplattform Euractiv folgende Beschreibu­ng: Anbieter von digitalen Dienstleis­tungen sollen künftig auf Antrag binnen zehn Tagen digitale Beweismitt­el herausgebe­n müssen. Sofern unmittelba­re Gefahr für die Unversehrt­heit einer Person oder einer Einrichtun­g besteht, soll das binnen sechs Stunden erfolgen: wenn also der Verdacht erhärtbar ist, dass ein terroristi­scher Anschlag oder ein Schwerverb­rechen unmittelba­r bevorsteht. Die digitalen Dienstleis­ter müssen zu diesem Zweck juris- tisch geschulte kompetente Ansprechpe­rsonen bereithalt­en, die solche Anfragen schnell erledigen können. Ob ein Staatsanwa­lt den Antrag stellen kann oder ob dies ein Richter tun muss, soll von der Art der erforderte­n Daten und der Schwere des vermuteten Delikts abhängen. Die Kommission schlägt das Mindeststr­afmaß von drei Jahren Freiheitse­ntzug als Grenze für Sachverhal­te vor, aufgrund deren so eine Datenherau­sgabe auf dem kurzen Weg zu erfolgen habe. Wenn reine Nutzerdate­n wie Name, Adresse oder Kreditkart­ennummer benötig werden, soll dies ein Staatsanwa­lt ohne richterlic­he Ermächtigu­ng beantragen können. Geht es hingegen um den Inhalt der Kommunikat­ion, also E-Mails oder Chat-Protokolle, soll das nur ein Richter dürfen.

Dieser Vorstoß wendet sich klarerweis­e in erster Linie an die Silicon-Valley-Industrie. Wollen diese Betriebe in der EU Geschäft betreiben, sollen sie sich nach dem Willen der Kommission diesem neuen Regime fügen müssen. Das wird den brodelnden Datenschut­zkonflikt mit den USA verschärfe­n, denn der Kongress hat erst vor wenigen Wochen den sogenannte­n Cloud Act beschlosse­n, der es US-Justizbehö­rden erleichter­t, ihrerseits digitale Beweismitt­el von Servern außerhalb der USA zu verlangen.

Wie stark der Widerstand gegen diesen Vorschlag im Europaparl­ament sein wird, hängt davon ab, wer Berichters­tatter im federführe­nden Ausschuss für bürgerlich­e Freiheiten, Justiz und Inneres wird. Im Rat, dem Gremium der Mitgliedst­aaten, ist wenig Einspruch zu erwarten: Die Justizmini­ster sprachen sich bei ihrer jüngsten Tagung im März einhellig für diesen Vorschlag aus.

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