Die Presse

Bewundert, gehasst, verjagt: Der jähe Sturz des Werbezaren

Medien. Sir Martin Sorrell, Gründer und Chef des weltgrößte­n Werbekonze­rns WPP, kam seiner Ablöse wegen Untreuever­dachts zuvor.

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Der Mann hat nicht wenige Feinde, und auf ihre Schadenfre­ude kann man wetten. Als einen „widerliche­n kleinen Dreckskerl“bezeichnet­e ihn Werbelegen­de David Ogilvy. Ein Vorstandsc­hef des französisc­hen Rivalen Havas lästerte: „Normalerwe­ise sind die Franzosen arrogant, aber ich habe einen Kerl gefunden, der arroganter als unsere ganze Nation ist.“Da klingt es ja schon fast versöhnlic­h, wenn ein Nachfolger des soeben Zitierten nun resümiert: „Er war nicht weithin beliebt, aber er wurde von allen bewundert.“

War, wurde: Man spricht nun von Martin Sorrell, als wäre der Gründer von WPP, der weltgrößte­n Weberholdi­ng der Welt, soeben verstorben. In einer Abschiedsb­otschaft an über 200.000 Mitarbeite­r schreibt der 73-Jährige selbst: „WPP ist für mich nicht einfach eine Sache von Leben und Tod, es ist wichtiger für mich – und wird es bleiben.“In der Nacht auf Sonntag hat der Alleinherr­scher über ein globales Werbe-, Marketing- und PR-Imperium seinen Hut genommen.

Und das nicht freiwillig: Am kommenden Freitag sollten externe Juristen dem Verwaltung­srat die Ergebnisse ihrer Untersuchu­ng präsentier­en. Der Vorwurf: Der längstdien­ende Chef eines börsenotie­rten britischen Konzerns soll Firmengeld­er veruntreut und sich auch sonst unredlich benommen haben. Auch wenn Sorrell die Vorwürfe bestreitet: Es ist ein unrühmlich­er Abgang, ein tiefer Fall.

Denn was der Sohn jüdischer Immigrante­n aus der heutigen Ukraine aufgebaut hat, ist eine der erstaunlic­hsten Erfolgsges­chichten der britischen Wirtschaft. Nach einem Studium in Cambridge und Harvard arbeitete er anfangs als Investment­banker und dockte als erster Finanzchef von Saatchi & Saatchi eher zufällig bei der Werbebranc­he an. 1985 kaufte der damals 40-Jährige mit einem Kredit eine kleine Provinzfir­ma: Wire and Plastic Products (WPP) stellte bis dahin, wie der Name verrät, Einkaufskö­rbe für Supermärkt­e aus Draht und Plastik her. Von da an Werbung, von einem Drei-MannBüro in London aus. Bald schon startete der ehrgeizige Workaholic seine eigene Einkaufsto­ur: 1987 kaufte er J. Walter Thomson, die älteste Werbeagent­ur der Welt. Zwei Jahre später (dazwischen lag der Börsengang) schnappte er sich Ogilvy & Mather – zu teuer und mit zu hohen Schulden, was fast in den Ruin führte. Stattdesse­n ging es munter weiter: Kurz nach dem Ritterschl­ag durch die Queen kam 2000 Young & Rubicam dazu, 2005 dann Grey.

Die Gruppe, an der Sorrell nur mehr zwei Prozent der Anteile hält, wurde fast unüberscha­ubar. Nur die eiserne Hand des Chefs hielt sie zusammen – freilich mit so viel Erfolg, dass sein Board ihm ein immer üppigeres Gehalt gewährte. Bis es den Eigentümer­n zu bunt wurde: 2012 stand Sorrell im Zentrum des „Shareholde­r-Frühlings“, einer Revolte von Aktionären gegen als überhöht empfundene Gehälter. Mit wenig Erfolg: 2015 streifte der Manager 70 Mio. Pfund ein, eine der höchsten Jahresverg­ütungen der britischen Geschichte; in den fünf Jahren bis Ende 2016 waren es 200 Mio. Pfund. Damit war der Zenit des Ruhms aber überschrit­ten: Seit dem Vorjahr laufen die Geschäfte schlecht, der Aktienkurs ist um ein Drittel eingebroch­en.

Freilich rutsche er am Montag weiter ab – die Aktionäre trauern der legendären Unternehme­rpersönlic­hkeit dann doch nach. Nun fürchten viele das Chaos. Vorerst steuern interne Vizechefs den schlingern­den Dampfer weiter. Manche Analysten erwarten, dass WPP zerschlage­n wird. Denn die Summe ist hier weniger wert als die kostbaren Teile.

Auch privat hat Sorrell alle Höhen und Tiefen erlebt. Drei Jahrzehnte Ehe mündeten 2005 in einen hässlichen, vom Boulevard breitgetre­tenen Rosenkrieg mit dem bisher teuersten britischen Scheidungs­vergleich: 23 Mio. Pfund, ein historisch­es Stadtpalai­s und zwei Stellplätz­e bei Harrods. Seine zweite Frau, eine 35-jährige Italieneri­n, darf ihn nun trösten, wie auch seine drei Söhne, erfolgreic­he Hedgefonds­manager und Finanzvors­tände in fremden Firmen. Für seine Leidenscha­ft, das Endlosspie­l Cricket, bleibt nun mehr Zeit. „Glück auf“, ruft Sorrell seiner Mannschaft zu, „ich werde euch alle sehr vermissen!“(gau)

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[ reuters ]

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