Wie man totalitäre Kunst sprengt
Ausstellung. Jahrelang hat Adriana Czernin sich in die Geschichte eines Ornaments aus einer geplünderten Moschee in Kairo verstrickt. Jetzt hat sie die Formen, die Fragmente befreit. Das Ergebnis ist ab Dienstag im MAK zu sehen.
Es ist die flächengrößte Moschee in Kairo, die älteste erhaltene der Stadt – die Ibn-Tulun-Moschee aus dem neunten Jahrhundert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde sie als Armenhaus genützt. In den 1860er-Jahren begann man aus ihr zu nehmen, was damals Wert zu bekommen begann: Die aufwendig verzierte Holzverkleidung der Seiten des 1296 errichteten Minbars, das ist so etwas wie eine islamische Kanzel, ein Predigtstuhl im Wortsinn, zu dem eine lange, gerade Treppe hinaufführte.
Mehr als 150 Jahre nach dieser Plünderung rief der MAK-Kustos für Ostasien und Islam, Johannes Wieninger, in der Wiener Galerie von Martin Janda an. Es ging um den Kontakt zu einer Künstlerin, deren Arbeit er schon länger beobachtet hatte. Nun wollte Wieninger sie zu einer ungewöhnlichen Kooperation auffordern.
Wie kamen die Teile nach Wien?
Adriana Czernin (1969 in Sofia geboren) kam und sah ein seltsames Puzzle-Tableau mit willkürlich zu einer Rosette zusammengestellten Holzteilen. Es waren die über 30 Teile, die in der MAK-Sammlung als Reste des ehemaligen Minbar der Ibn-Tulun-Moschee archiviert waren. 1910 wurde dieses „Wiener Tableau“auf der großen Ausstellung von „Meisterwerken muhammedanischer Kunst“in München gezeigt.
Doch wie kam es überhaupt nach Wien? 1867 kaufte das Vorgängermuseum des MAK zwei Teile davon direkt von der Pariser Weltausstellung, wo Minbar-Fragmente als Teile eines der bedeutendsten Werke ägyptischen Kunstgewerbes ausgestellt waren. Ein größeres Konvolut bereits restaurierter Stücke erwarb 1892 dann das Wiener Handelsmuseum, das später mit dem MAK fusionierte. Wien hat so neben dem Londoner Victoria & Albert Museum den größten Bestand an Bruchstücken dieses exzeptionellen Minbars. Der Rest ist auf die ganze Welt verstreut, man findet einzelne Teile in den meisten bedeutenden Kunstgewerbemuseen, in einigen Privatsammlungen.
„Die ersten Plünderer der Moschee waren die Nachbarn, ums Eck war schon der erste Händler, ums zweite der nächste, und am dritten lebten die ersten Sammler“: Czernin beschreibt, wie diese hölzerne Verkleidung, ein Stecksystem übrigens, Stück für Stück geplündert und verschachert wurde, wie eine der frühesten Intarsienarbeiten der ägyptischen Kunst verschwand. Es war ausgerechnet ein ungarisch-österreichischer Architekt, der Ferstel-Schüler Max Herz, der als Leiter der Kommission zur Konservierung von Denkmälern arabischer Kunst den Minbar 1912 rekonstruieren ließ, das stehengebliebene Gerüst wieder mit Holztäfelchen füllen ließ, nachgeschnitzt vermutlich nach Fotos des Wiener Bestandes. „Schaut heute aus wie aus Plastik“, fand Czernin bei ihrem Besuch vor Ort.
Diese Zerstreutheit, dieses „Verlorensein“, so Czernin, hat sie mit ihrer am Dienstag eröffnenden Ausstellung darstellen wollen: In eine feine, wandfüllende Zeichnung, die Formen des einstigen Gesamtornaments des Minbars aufnehmend, sind die einzelnen Holzteile der MAK-Sammlung jetzt montiert, mal hier, mal dort, mit viel fühlbarem Leerraum, vielen zarten Verbindungslinien dazwischen. Es ist nur eine von vielen Zeichnungen, die Czernin seit 2014, seit ihrem ersten Kontakt mit dieser Geschichte rund um das Ornamentfragment anfertigte. Es lässt sie nicht mehr los – die Geschichte dahinter, das nicht einfach zu durchschau- ende Muster. Sie wollte das System, die Symmetrie verstehen, die „Abhängigkeit aller Zentren voneinander“. Während dieses Studiums konnte Czernin auch feststellen, dass einige der Teile von den anderen abweichen, nicht dazugehören können, wie Wieninger bestätigen konnte. „Das Ornament wurde zur totalen Faszination“, sagt Czernin.
Ausbruch aus dem System
Hat sie sich darin verloren? Verstrickt? Wie die zauberhaften Frauenfiguren ihrer früheren Bilder: Mädchenantlitze, Hände, Füße tauchten in vegetativen Geflechten auf, man wusste nie, ob sie sich darin geborgen fühlten oder sie gerade überwuchert wurden.
Entweder sind diese Frauen ihren sanften Systemen mittlerweile entflohen. Oder sie schlummern in ihren Tiefen, jedenfalls verschwand in den vergangenen Jahren die Figur aus Czernins Zeichnungen, sie wurde immer abstrakter, immer härter, woran auch die Minbar-Arbeiten anschließen. Für ein Foto nur fügt Czernin sich im MAK selbst kurz in eine ihrer freien Minbar-Variationen ein, die sie u. a. auch auf die Wand gemalt hat (siehe Abbildung). Eine Pose, die ihr wenig angenehm ist, wie man merkt. Das strenge ornamentale System habe etwas Totalitäres, findet sie. Vielleicht habe sie deswegen so stark reagiert, sei deswegen so hineingekippt in diese Minbar-Serie. Schließlich ist Czernin selbst in einem totalitären System aufgewachsen, in Bulgarien, wo sie in der Malerei des sozialistischen Realismus gedrillt wurde.
Die Abstraktion, den russischen Konstruktivismus etwa, lernte sie erst im Westen kennen: 1990 zog sie nach Wien, studierte an der Angewandten und blieb. Auch im Minbar-Ornament sieht sie keine Freiheit, keine Individualität, nur Regelwerk. Um es zu brechen, muss man es genau kennen, dachte sie. Also studierte sie es, variiert es, arbeitet aber immer mit originalen Formen. Um „Möglichkeiten zu finden, das System gegen sich selbst auszuspielen“. Die Ausstellung erzählt davon – von einem Ausbruch. Einer formalen Explosion eigentlich.