Die Presse

Wie man totalitäre Kunst sprengt

Ausstellun­g. Jahrelang hat Adriana Czernin sich in die Geschichte eines Ornaments aus einer geplündert­en Moschee in Kairo verstrickt. Jetzt hat sie die Formen, die Fragmente befreit. Das Ergebnis ist ab Dienstag im MAK zu sehen.

- VON ALMUTH SPIEGLER „Adriana Czernin. Fragment“, MAK Galerie, Eröffnung am 17. April, 19 Uhr.

Es ist die flächengrö­ßte Moschee in Kairo, die älteste erhaltene der Stadt – die Ibn-Tulun-Moschee aus dem neunten Jahrhunder­t. Zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts wurde sie als Armenhaus genützt. In den 1860er-Jahren begann man aus ihr zu nehmen, was damals Wert zu bekommen begann: Die aufwendig verzierte Holzverkle­idung der Seiten des 1296 errichtete­n Minbars, das ist so etwas wie eine islamische Kanzel, ein Predigtstu­hl im Wortsinn, zu dem eine lange, gerade Treppe hinaufführ­te.

Mehr als 150 Jahre nach dieser Plünderung rief der MAK-Kustos für Ostasien und Islam, Johannes Wieninger, in der Wiener Galerie von Martin Janda an. Es ging um den Kontakt zu einer Künstlerin, deren Arbeit er schon länger beobachtet hatte. Nun wollte Wieninger sie zu einer ungewöhnli­chen Kooperatio­n auffordern.

Wie kamen die Teile nach Wien?

Adriana Czernin (1969 in Sofia geboren) kam und sah ein seltsames Puzzle-Tableau mit willkürlic­h zu einer Rosette zusammenge­stellten Holzteilen. Es waren die über 30 Teile, die in der MAK-Sammlung als Reste des ehemaligen Minbar der Ibn-Tulun-Moschee archiviert waren. 1910 wurde dieses „Wiener Tableau“auf der großen Ausstellun­g von „Meisterwer­ken muhammedan­ischer Kunst“in München gezeigt.

Doch wie kam es überhaupt nach Wien? 1867 kaufte das Vorgängerm­useum des MAK zwei Teile davon direkt von der Pariser Weltausste­llung, wo Minbar-Fragmente als Teile eines der bedeutends­ten Werke ägyptische­n Kunstgewer­bes ausgestell­t waren. Ein größeres Konvolut bereits restaurier­ter Stücke erwarb 1892 dann das Wiener Handelsmus­eum, das später mit dem MAK fusioniert­e. Wien hat so neben dem Londoner Victoria & Albert Museum den größten Bestand an Bruchstück­en dieses exzeptione­llen Minbars. Der Rest ist auf die ganze Welt verstreut, man findet einzelne Teile in den meisten bedeutende­n Kunstgewer­bemuseen, in einigen Privatsamm­lungen.

„Die ersten Plünderer der Moschee waren die Nachbarn, ums Eck war schon der erste Händler, ums zweite der nächste, und am dritten lebten die ersten Sammler“: Czernin beschreibt, wie diese hölzerne Verkleidun­g, ein Stecksyste­m übrigens, Stück für Stück geplündert und verschache­rt wurde, wie eine der frühesten Intarsiena­rbeiten der ägyptische­n Kunst verschwand. Es war ausgerechn­et ein ungarisch-österreich­ischer Architekt, der Ferstel-Schüler Max Herz, der als Leiter der Kommission zur Konservier­ung von Denkmälern arabischer Kunst den Minbar 1912 rekonstrui­eren ließ, das stehengebl­iebene Gerüst wieder mit Holztäfelc­hen füllen ließ, nachgeschn­itzt vermutlich nach Fotos des Wiener Bestandes. „Schaut heute aus wie aus Plastik“, fand Czernin bei ihrem Besuch vor Ort.

Diese Zerstreuth­eit, dieses „Verlorense­in“, so Czernin, hat sie mit ihrer am Dienstag eröffnende­n Ausstellun­g darstellen wollen: In eine feine, wandfüllen­de Zeichnung, die Formen des einstigen Gesamtorna­ments des Minbars aufnehmend, sind die einzelnen Holzteile der MAK-Sammlung jetzt montiert, mal hier, mal dort, mit viel fühlbarem Leerraum, vielen zarten Verbindung­slinien dazwischen. Es ist nur eine von vielen Zeichnunge­n, die Czernin seit 2014, seit ihrem ersten Kontakt mit dieser Geschichte rund um das Ornamentfr­agment anfertigte. Es lässt sie nicht mehr los – die Geschichte dahinter, das nicht einfach zu durchschau- ende Muster. Sie wollte das System, die Symmetrie verstehen, die „Abhängigke­it aller Zentren voneinande­r“. Während dieses Studiums konnte Czernin auch feststelle­n, dass einige der Teile von den anderen abweichen, nicht dazugehöre­n können, wie Wieninger bestätigen konnte. „Das Ornament wurde zur totalen Faszinatio­n“, sagt Czernin.

Ausbruch aus dem System

Hat sie sich darin verloren? Verstrickt? Wie die zauberhaft­en Frauenfigu­ren ihrer früheren Bilder: Mädchenant­litze, Hände, Füße tauchten in vegetative­n Geflechten auf, man wusste nie, ob sie sich darin geborgen fühlten oder sie gerade überwucher­t wurden.

Entweder sind diese Frauen ihren sanften Systemen mittlerwei­le entflohen. Oder sie schlummern in ihren Tiefen, jedenfalls verschwand in den vergangene­n Jahren die Figur aus Czernins Zeichnunge­n, sie wurde immer abstrakter, immer härter, woran auch die Minbar-Arbeiten anschließe­n. Für ein Foto nur fügt Czernin sich im MAK selbst kurz in eine ihrer freien Minbar-Variatione­n ein, die sie u. a. auch auf die Wand gemalt hat (siehe Abbildung). Eine Pose, die ihr wenig angenehm ist, wie man merkt. Das strenge ornamental­e System habe etwas Totalitäre­s, findet sie. Vielleicht habe sie deswegen so stark reagiert, sei deswegen so hineingeki­ppt in diese Minbar-Serie. Schließlic­h ist Czernin selbst in einem totalitäre­n System aufgewachs­en, in Bulgarien, wo sie in der Malerei des sozialisti­schen Realismus gedrillt wurde.

Die Abstraktio­n, den russischen Konstrukti­vismus etwa, lernte sie erst im Westen kennen: 1990 zog sie nach Wien, studierte an der Angewandte­n und blieb. Auch im Minbar-Ornament sieht sie keine Freiheit, keine Individual­ität, nur Regelwerk. Um es zu brechen, muss man es genau kennen, dachte sie. Also studierte sie es, variiert es, arbeitet aber immer mit originalen Formen. Um „Möglichkei­ten zu finden, das System gegen sich selbst auszuspiel­en“. Die Ausstellun­g erzählt davon – von einem Ausbruch. Einer formalen Explosion eigentlich.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Für ein Foto nur fügt sich Adriana Czernin selbst in eine ihrer Arbeiten fürs MAK ein, in denen sie die Formen eines ägyptische­n Minbars aus dem 13. Jahrhunder­t frei variierte – und ihr strenges System so gegen sich selbst ausspielte.
[ Clemens Fabry ] Für ein Foto nur fügt sich Adriana Czernin selbst in eine ihrer Arbeiten fürs MAK ein, in denen sie die Formen eines ägyptische­n Minbars aus dem 13. Jahrhunder­t frei variierte – und ihr strenges System so gegen sich selbst ausspielte.

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