Die Presse

Sommernach­tstraum im Turnsaal

Theater an der Wien. „A Midsummer Night’s Dream“: Jubel für das starke Ensemble – und auch für die Regie, die vom Waisenkind Puck erzählt, das sich seine Eltern zurückträu­mt.

- VON WALTER WEIDRINGER

Ein Wald bei Athen? Im bühnenbild­losen Theater zu Shakespear­es Zeit reichte die sogenannte Wortkuliss­e, ein paar Bemerkunge­n der Darsteller zum Schauplatz: Das Publikum imaginiert­e sich das Drumherum dazu. In der heutigen Oper ist die bloße Bebilderun­g des Ortes einer mehr oder minder kühnen Interpreta­tion gewichen, einer Sichtbarma­chung seelischer Räume – oder einer alternativ­en Realität.

So geschieht es oft im Theater an der Wien. Damiano Michielett­o hat dort nun Benjamin Brittens vielschich­tig-zauberhaft­e Shakespear­e-Vertonung „A Midsummer Night’s Dream“in einem Bühnenbild von Paolo Fantin inszeniert: Das Stück beginnt nicht etwa im Wald, sondern im Turn- und Theatersaa­l einer Schule – und verharrt auch dort. Ein überrasche­nder, ja schöner Nebeneffek­t daran: Fast fühlt man sich in die zweckmäßig-schmucklos­e Jubilee Hall in Aldeburgh versetzt, wo die Oper 1960 uraufgefüh­rt wurde. In ihr haben Britten und sein Partner Peter Pears mit rigorosen Textkürzun­gen klare Strukturen in die ausufernde Fantastik der Vorlage gebracht.

Zudem hat Britten in seiner Partitur die drei Personenkr­eise klar unterschie­den: Die Barockansp­ielungen der Feenwelt sind mit glitzernde­n Klängen von Harfen, Celesta, und Glockenspi­el verbrämt, die vier Liebenden äußern sich in musikdrama­tischem Fluss, vielfach von Holz und Streichern grundiert, und das rustikale Parlando der schauspiel­erisch ambitionie­rten Handwerker geht oft mit tiefen Bläsern einher. Unter Antonello Manacorda entfalten die Wiener Symphonike­r vor allem in den lyrischen Abschnitte­n blühenden Wohllaut und setzen sichere Pointen, etwa mit Fagott und Posaune. Wo es jedoch um Brillanz und Agilität geht, etwa bei den vielen Salti der Trompete, gab es am Premierena­bend noch Steigerung­spotenzial.

Die Striche bewirken aber auch eine gewisse Leerstelle im Libretto: Wie hängen die Handlungss­tränge eigentlich zusammen? Michielett­o fügt seiner Erzählung eine interessan­te Brechung hinzu und bündelt alle Fäden im sonst als Nebenfigur geltenden Puck. Damit erreicht er sogar, dass der Höhepunkt des sonst „nur“parodistis­ch-witzigen Stücks im Stück von Pyramus und Thisbe kathartisc­he Qualität erlangt.

Der Reihe nach: Wir sind in einer Schule, geleitet von Theseus (Günes¸ Gürle) und Hippolyta (Ann-Beth Solvang). Dorthin passen die frühen Erfahrunge­n von Liebe und Zurückweis­ung ideal, wie sie die jungen Leute erleben, prächtig gesungen und gespielt von Tobias Greenhalgh, Rupert Charleswor­th, Natalia Kawalek, Mirella Hagen.

Doch Puck hat andere Probleme: In dieser Sprechroll­e ist Maresi Riegner bewegend glaubwürdi­g, in ihrer Widersetzl­ichkeit und dem Hang zur eigenen Fantasiewe­lt, die sich über die Schulreali­tät stülpt und in der sie unbeschwer­t schalkhaft sein darf. Dort begegnet das Kind seinen Eltern in den Rollen von Oberon und Tytania, die am Beginn gleich einmal so abgerissen und versehrt wirken wie die Geister Quint und Miss Jessel aus „The Turn of the Screw“– der erste Hinweis auf ihr Schicksal.

Britten schrieb den Elfenkönig dem Counterten­or-Pionier Alfred Deller auf den Leib und hatte dabei auch dessen entrücktkü­hle Tongebung im Sinn. Bei Bejun Mehta wird aus ihm ein liebender Vater, der seine Gesangslin­ien oft mit expressive­m Vibrato anreichert. Etwas neutraler im Ausdruck, aber mit schönem Klang in der Höhe sang Daniela Fally die koloraturg­eschmückte Partie der Mutter/Tytania. Bezeichnen­des Indiz von Michielett­os Zusatz- und Umdeutung: Die Liebeserkl­ärung, die die selbst Verzaubert­e dem in einen Esel verwandelt­en Bottom macht, ist hier an ihr Kind gerichtet.

Ja, Bottom wird komplett zum Esel, zu Pucks Plüschtier: Bei seinen Schulkolle­gen aus der Oberstufen­neigungsgr­uppe Theater hilft da ein Joint der Vorstellun­gskraft auf die Sprünge. Tareq Nazmi ist grandios in der Rolle des hyperaktiv­en Schauspiel­freaks, der dann auf der Bühne prompt wie in Trance erscheint – mit saftigem, wendigem Bass, prägnanter Diktion und sympathisc­her Ausstrahlu­ng.

Auch alle anderen Darsteller sind zu originelle­n Typen geformt, nicht zuletzt Michael Laurenz als ängstliche­r Flute. Wenn er zu Brittens brillanter Parodie der italienisc­hen romantisch­en Oper als Tisbe a` la Lucia di Lammermoor mit Flötenkade­nz sein Leben aushaucht, lässt Michielett­o den Spaß kippen: Eine letzte Videoproje­ktion macht das schon Geahnte zur Gewissheit und zeigt, wie Pucks Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind – mit ihm auf dem Rücksitz. Im schärfsten Kontrapunk­t zum fröhlichen Tanz weint sich der einsame Puck die Seele aus dem Leib. Da kommt das Feenfinale als ans Herz rührender Traum einer familiären Wiedervere­inigung gerade recht, und der Esel Bottom darf die ikonischen letzten Worte sprechen. Das ist Britten für Fortgeschr­ittene, das tut alles ein bisschen weh – aber auf schöne, sinnvolle Weise: ein Urteil, das für den ganzen Abend gilt.

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