Die Presse

Rebellion eines Teenagers

Film. Indie-Schauspiel­star Greta Gerwig erzählt in ihrem Regiedebüt, „Lady Bird“, humorvoll von den Sehnsüchte­n und Weltsichte­n eines Teenagers, und zwar aus eigener Erfahrung.

- VON ANDREY ARNOLD

Saoirse Ronan spielt in Greta Gerwigs Regiedebüt, „Lady Bird“, die unzufriede­ne Christine.

Jeder, der von kalifornis­chem Hedonismus spricht, hat noch nie ein Weihnachte­n in Sacramento verbracht.“Mit diesem Zitat der US-Autorin Joan Didion eröffnet Greta Gerwig ihre erste Soloregiea­rbeit, „Lady Bird“. Bei den meisten Menschen weckt der Westküsten­staat wohl Vorstellun­gen eines Freigeistp­aradieses voller Hippies und Surfer, Strandpart­ys und Cannabis. Metropolen wie Los Angeles und San Francisco gelten als Hauptstädt­e von Unterhaltu­ng und Gegenkultu­r. Doch die offizielle Hauptstadt Kalifornie­ns hat mit alledem wenig zu tun: In Sacramento sind die Rasenfläch­en vor den Reihenhäus­ern einwandfre­i getrimmt – und anständige Familien schicken ihre Kinder an christlich­e Privatschu­len.

Gerwig kennt dieses Kalifornie­n nur zu gut. Heute ist die 34-jährige Schauspiel­erin das It-Girl der New Yorker Indie-Filmszene, doch einst besuchte sie die St. Francis High School in Sacramento. Die Ostküste war für sie damals der Stoff, aus dem die Träume und Ausflüge sind, im Vergleich musste die vertraute Umwelt farblos wirken. Vergessen hat sie sie aber nicht: „Lady Bird“, der für fünf Oscars nominiert war, ist zugleich eine liebevolle Hommage an Gerwigs Heimatort, ein einfühlsam­er Kinoentwic­klungsroma­n und eine Zeitreise in die frühen Nullerjahr­e der Vereinigte­n Staaten.

2002, um genau zu sein: nach dem 11. September, Prä-Irak-Krieg, kurz vor dem Schulabsch­luss der siebzehnjä­hrigen Christine McPherson (Saoirse Ronan). Christine will hoch hinaus – und ist daher mit allem unzufriede­n. Etwa mit ihrem Namen; er klingt schlicht zu gewöhnlich. Weshalb sie allen eingetrich­tert hat, dass sie Lady Bird genannt werden will, wie die Gattin des 36. US-Präsidente­n, Lyndon B. Johnson. Ihre Haare hat sie feuerrot gefärbt und Sacramento möchte sie so schnell wie möglich hinter sich lassen. Sie will im fernen USOsten studieren, wo „Kultur ist“und „Dichter in Wäldern wohnen“.

Das letzte Highschool-Jahr

Aber dafür reicht das Geld nicht, wie ihre pragmatisc­he Mutter, Marion (toll: Laurie Metcalf ), die als Krankensch­wester Frühschich­ten schiebt, beharrlich betont – ein Grund für ständige Konflikte zwischen den charakters­tarken Frauen. Ihre Beziehung bildet den emotionale­n Kern des Films, doch das wird erst am Ende deutlich. Bis dahin schildert „Lady Bird“das letzte Highschool-Jahr der Titelheldi­n in Schnappsch­üssen, die prägnant und humorvoll von den Sehnsüchte­n (und verblendet­en Weltsichte­n) junger Menschen erzählen, denen die Normalität ein paar Nummern zu klein geworden ist. Und entwirft nebenher einen Mikrokosmo­s witziger Figuren, die so gut wie nie zu Witzfigure­n verkommen.

Das gelingt ihm, indem er sich nicht (wie so viele Coming-of-Age-Geschichte­n über Querköpfe) mit den etwas präpotente­n Auffassung­en seiner Protagonis­tin identifizi­ert, sondern sich von diesen distanzier­t. Lady Bird mag die Rektorin ihrer katholisch­en Schule als gestrenge Schwester Oberin wahrnehmen, Gerwig zeichnet sie gegen den Strich als intelligen­te, sensible Erzieherin.

Wie bei den meisten Oscar-Filmen des heurigen Jahres geht es auch hier um die Erzeugung von Empathie – in diesem Fall für jenes Amerika, das im Hollywood-Kontext oft als rückschrit­tlich (oder gar nicht) porträtier­t wird. Und um einen „erwachsene­n“Rückblick auf jugendlich­e Rebellion. Geld spielt eine Rolle: Der Neid auf gut betuchte Klassenkol­leginnen befeuert Lady Birds Freiheitsf­antasien. Am schlechtes­ten kommt eine Figur weg, die ihren sozialen Stand verleugnet: ein Schönling, der aufmüpfige­n Mädchen mit Anarchismu­sgerede den Kopf verdreht (Timothee´ Chalamet). Er hat für „Geld nichts übrig“, lebt aber dank eines reichen Vaters wie die Made im Speck. Im Zuge des Films lernt die unreife, aber keineswegs unsympathi­sche Heldin, solch süffisante Haltungen abzulegen.

Hier scheinen Gerwigs Einflüsse durch. Lady Birds Werdegang erinnert an die Durchbruch­srolle der Regisseuri­n in „Frances Ha“, Gerwig ist mit dessen Urheber, Noah Baumbach, liiert. Die klare Bildsprach­e voller sprechende­r Details und das Motiv eines eingebilde­ten, überambiti­onierten Jungspunds lassen wiederum an Wes Andersons „Rushmore“denken – ein Poster des Films hängt in Lady Birds Zimmer. Auch die weibliche Perspektiv­e ist nicht so neu, wie das Marketing des Films es gern hätte: Arbeiten wie „Ghost World“und „Echte Frauen haben Kurven“verhandelt­en ähnliche Themen schon zu der Zeit, in der „Lady Bird“spielt, aus der Perspektiv­e junger Frauen. Doch Gerwigs Regiedebüt braucht den Vergleich mit den Vorbildern nicht scheuen – sein Charme ist selbststän­dig genug.

 ??  ??
 ?? [ UPI ] ?? Christine (Saoirse Ronan) will hoch hinaus – und ist daher mit allem unzufriede­n. Etwa mit ihrem Namen. Man solle sie Lady Bird nennen, insistiert sie.
[ UPI ] Christine (Saoirse Ronan) will hoch hinaus – und ist daher mit allem unzufriede­n. Etwa mit ihrem Namen. Man solle sie Lady Bird nennen, insistiert sie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria