Einer gegen alle: Macron kämpft um EU-Reform
EU-Zukunft. Frankreichs Präsident trat im Europaparlament für mehr europäische Souveränität ein, um gemeinsame Probleme zu lösen. Ein gewagter Plan angesichts wachsenden Gegenwinds.
Daheim lähmt ihn ein zäher Bahnstreik, auf EU-Ebene arbeitet Osteuropa gegen ihn. Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, will aber nicht klein beigeben. Am Dienstag attackierte er die Ideen zu einer illiberalen Demokratie von Viktor Orban´ und sprach sich bei einem Marathonauftritt im EU-Parlament für mehr europäische Souveränität aus. Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, ließ ihn wissen, er werde seine Reformen bekommen, aber nicht so, wie er sich das vorstellt.
Mit direkten Angriffen gegen das Modell des eben wiedergewählten ungarischen Ministerpräsidenten, Viktor Orban´ – die illiberale Demokratie –, forderte Frankreichs Präsident am Dienstag im Europaparlament mehr liberale Demokratie, wie sie Westeuropa seit dem Zweiten Weltkrieg vorgelebt hat. „Es darf nicht die Illusion der Macht, die auf Verzicht von Freiheit verbunden ist, gewinnen. Die Antwort ist nicht eine autoritäre Demokratie.“
Emmanuel Macron ging zwar nicht direkt auf den aktuellen West-Ost-Konflikt ein, erhöhte aber den Druck auf Osteuropa, sich den europäischen Reformen anzuschließen. Die national ausgerichtete Politik dieser Länder, so stellte er klar, laufe den Ideen der EU diametral entgegen. Denn das gemeinsame Europa habe sich für ein Modell einer liberalen Demokratie entschieden, das den Einzelnen und die Minderheitsrechte respektiert. „Durch die Freiheit des Einzelnen werden die Bürger erst mündig.“Zum anderen könne der von rechten Parteien propagierte Multilateralismus – gemeint ist das auch von der FPÖ propagierte Europa der Vaterländer – nie das Modell einer Gemeinschaft ersetzen.
Macron wies darauf hin, dass es eine „unheimliche Wut“unter den Bürgern auf die EU gäbe. Das dürfe nicht ignoriert werden. „Wer diese Wut aber schürt, wird lediglich neue Konflikte provozieren.“Statt dieser Wut freien Lauf zu lassen, müsse etwa die „vergiftete Debatte“zur Flüchtlingspolitik endlich überwunden werden. Als einen Schritt nannte Macron eine Einigung über eine neue DublinVerordnung über die Zuständigkeit bei Asylverfahren.
Frankreichs Präsident sprach sich erneut für tiefgreifende Reformen der EU aus. Wobei er sich auch hier klar gegen Forderungen einiger osteuropäischer Länder nach einer möglichst schlanken Gemeinschaft stellte. Er warb für eine „europäische Souveränität“. „Sie bedeutet keine Auflösung nationaler Souveränitäten. Sondern es geht um etwas Starkes, das diese nationale Souveränität ergänzt, um gemeinsam die Umwälzungen in der Welt zu bewältigen.“Als Beispiele nannte Macron die Regeln und die Förderung der digitalen Wirtschaft, die Währungsunion, die Bankenunion, den Klimaschutz und die Stärkung gemeinsamer außenpolitischer Positionen.
Wenngleich Macron im Europaparlament außer von den rechten Fraktionen viel Applaus erhielt, steht er ähnlich wie bei seinen innerfranzösischen Reformen auch auf europäischer Ebene noch lange nicht vor dem Ziel. Zur Durchsetzung etwa einer von ihm vorgeschlagenen vertieften Währungsunion mit eigenem Euro-Finanzminister, einem europäischen Währungsfonds und einer zentral gemanagten Wirtschaftspolitik fehlt ihm eine breite Unterstützung der Mitgliedstaaten. Widerstand gibt es nun auch von deutscher Seite, auf die der französische Präsident lange gesetzt hatte.
Für Forderungen aus Osteuropa, aber auch aus Österreich, nach einer raschen Erweiterung der EU um die Westbalkanländer zeigte Macron zwar Sympathien, hielt dem aber entgegen, dass zuvor die Europäische Union reformiert und vertieft werden müsse.
Der Auftritt Macrons belegte aber auch, dass der Europawahlkampf begonnen hat. Frankreichs Präsident weiß, dass er seine Ideen für eine EU-Reform nur durchsetzen kann, wenn letztlich die Mehrheit der EU-Abgeordneten hinter ihm steht. Erstmals ließ er deshalb auch eine offene Debatte zu seiner Rede im Abgeordnetenhaus zu. Er hörte sich drei Stunden lang die Einwände zahlreicher Abgeordneter an, reagierte auf Kritik, antwortete auf fast jede Wortmeldung.
Noch ist nicht klar, welcher Fraktion sich die Abgeordneten von Macrons Bewegung En Marche künftig im Europaparlament anschließen werden. Die Liberalen unter ihrem Fraktionschef Guy Verhofstadt hoffen zwar auf erheblichen Zuwachs durch die liberal ausgerichtete Gruppe. Aber es ist auch möglich, dass Macron nach der nächsten Europawahl eine eigene Fraktion gründet, mit der er die bisherige Machtbalance verändern könnte. Etwa indem er über bisherige Fraktionsgrenzen hinweg dazu einlädt, sich seiner neuen Bewegung auf europäischer Ebene anzuschließen. Damit könnte En Marche nach der Europawahl im Mai 2019 mehr erreichen als innerhalb der derzeit viertgrößten Fraktion, den europäischen Liberalen.
Durchaus emotional verteidigte Macron am Dienstag die Beteiligung Frankreichs an militärischen Vergeltungsschlägen in Syrien: „Der Chemiewaffeneinsatz des syrischen Regimes von Assad war nicht hinnehmbar. Man muss irgendwann auch einmal Tacheles reden und nicht immer denen das Wort überlassen, die Dinge nur predigen.“