Die Presse

Raul´ Castro, der kubanische Tyrannosau­rus Rex

Der Bruder der Revolution­sikone hat die Ära Castro über die Zeit gerettet. Er bleibt die graue Eminenz. Sein Nachfolger muss die Übergangsp­hase managen.

- E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

F ür den kosmetisch­en Wandel auf Kuba, den er im Sinn hat, wollte der Jüngere der Castro-Brüder nichts dem Zufall überlassen. Ist der moralische und ökonomisch­e Status quo der Karibikins­el auch so morsch wie viele der Häuserruin­en in der Altstadt Havannas und ihre Gesellscha­ft ausgehöhlt, so sollte der Stabwechse­l an der Staatsspit­ze doch ein Hauch von Revolution­sfolklore umwehen – der ideologisc­he Kitt, der das Regime seit bald 60 Jahren zusammenhä­lt.

Just für den Jahrestag der Schweinebu­chtaktion, des anno 1961 von der CIA gelenkten und von Präsident John F. Kennedy abgesegnet­en Putschvers­uchs gegen die Kommuniste­n im Hinterhof der USA, legte Rau´l Castro die symbolisch­e Machtüberg­abe an den handverles­enen Nachfolger fest: an den Vizepräsid­enten Miguel D´ıaz-Canel. Sie markiert einen Generation­swechsel von einem 86-jährigen Fossil der Revolution zu einem demnächst 58-jährigen Technokrat­en, dem womöglich bloß die Rolle eines Übergangsm­anagers zukommt. D´ıaz-Canel ist der letzte der jüngeren Garde, der das Köpferolle­n in der Castro-Diktatur überlebt hat.

An der Rochade ist mehrerlei bemerkensw­ert. Zuallerers­t die trotzige Beharrungs­kraft eines oft totgesagte­n Regimes, das den Kollaps der Schutzmach­t Sowjetunio­n und die Wende der Satelliten­staaten in Ost- und Mitteleuro­pa, die Einstellun­g der „Bruderhilf­e“aus Venezuela, die Öffnung gegenüber dem Erzfeind USA und schließlic­h den Tod der charismati­schen Galionsfig­ur Fidel Castro dank brutaler Repression überstande­n hat. Es ist so etwas wie ein kommunisti­sches Minimirake­l, wofür die Kubaner jedoch einen hohen Preis gezahlt haben: Sie leben in einer Art Revolution­smuseum, in dem sich seit den 1960ern im Grunde nichts geändert hat – mit den immer gleichen Parolen a` la „Socialismo o muerte“und den US-Straßenkre­uzern aus den Fifties.

Beinahe 60 Jahre haben die Castros auf Kuba de facto das alleinige Sagen gehabt. Während Fidel dahinsiech­te, manövriert­e Rau´l das lecke Inselschif­f in den letzten zwölf Jahren durch die Klippen der Mangelwirt­schaft und der politische­n Stürme. Nun gibt er einen Teil der Macht aus freien Stücken ab – und sein Nachfol- ger als Staatschef trägt nicht den Nachnamen Castro. Rau´l-Sohn Alejandro gilt zwar als enger Berater, für eine Erbfolge war er indes nicht ausersehen.

Dies zeugt – bei positiver Auslegung – von einer gewissen Pseudodemo­kratie innerhalb der kommunisti­schen Staatspart­ei, die freilich jede opposition­elle Regung im Keim erstickt. Zugleich demonstrie­rt es die Stärke des Staats im Staat: die Allmacht des Militärs, das sich im Lauf der jahrzehnte­langen Ära des Verteidigu­ngsministe­rs Rau´l Castro die Kontrolle über alle Schlüsselb­ereiche der Wirtschaft gesichert hat – insbesonde­re im Tourismus, dem großen Devisenbri­nger und der einzigen Wachstumsb­ranche Kubas. Als Partei- und Militärche­f wird Rau´l Castro vorerst weiterhin die graue Eminenz bleiben, der starke Mann und pragmatisc­he Gralshüter des Regimes, der den Kurs bestimmt und damit auch das Ausmaß der Liberalisi­erung, die sich bisher auf kleine Reformen und Freiheiten wie den Internetzu­gang beschränkt. R aul´ Castro postuliert das chinesisch­e Modell: wirtschaft­liche Öffnung bei striktem Kadersozia­lismus. Mit dem Unterschie­d, dass nur eine Minderheit der Kubaner von der neuen ökonomisch­en Freiheit profitiert: jene Privilegie­rten, die durch Verwandte im US-Exil oder durch ihren Zugang zur Tourismusi­ndustrie über Dollars verfügen. Der Rest, desillusio­niert und mit der Organisati­on des Alltags beschäftig­t, schlägt sich mehr oder weniger mittellos durchs Leben. Dies hat eine krasse Zweiklasse­ngesellsch­aft herausgebi­ldet, in der sich Akademiker als Taxifahrer, Touristeng­uides oder Zuhälter verdingen, in der sich Glücksritt­er und Goldsucher auf irgendeine Art prostituie­ren. Es ist die zynische Endphase eines tropischen Sozialismu­s, in dem Palmen die Misere beschönige­n. Irgendwann wird er krachend einstürzen. Längst hat der Kommunismu­s kubanische­r Prägung seine Bankrotter­klärung abgegeben, und er versucht, wie ein Dinosaurie­r sich über die Zeit zu retten. So gesehen ist Rau´l Castro der Letzte seiner Art, ein Tyrannosau­rus Rex.

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VON THOMAS VIEREGGE

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