Die Presse

Ewig der kleine Bruder im Schatten des Comandante

Die Castros. Raul´ konnte sich nie von seinem übermächti­gen Bruder Fidel befreien. Er wollte es auch nicht.

- Von unserem Mitarbeite­r OSCAR ALBA

Havanna. 60 Jahre. Kein anderes Brüderpaar hat in Lateinamer­ika länger ein Land regiert als die Castros in Kuba. Fidel und Rau´l waren ein höchst ungleiches, jedoch unschlagba­res Doppel, das über Jahrzehnte alle Widersache­r aus dem Weg geräumt hat. Fidel, der vor eineinhalb Jahren mit 90 Jahren gestorben ist, war groß und stark, charismati­sch und blitzgesch­eit. Rau´l, der nun mit 86 Jahren als Staatschef abtritt, ist klein und fein, wortkarg und unauffälli­g. Sein großer Bruder war ihm in allen Belangen überlegen.

Fidel war in Kuba alles, über ihm stand niemand. Kuba war Fidel. Rau´l war stets seine Nummer zwei im Schatten. Alles, was aus dem kleinen Mann geworden ist, ist er wegen Fidel. Rau´l war immer ein Anhang von Fidel – und blieb es auch nach dessen Rücktritt 2006 und sogar über dessen Tod hinaus.

Die Rollen waren schon in der Kindheit verteilt: Fidel war draufgänge­risch und unberechen­bar, der Chef unter den Geschwiste­rn, Rau´l galt als der kleine Schwächlin­g. Der Vater wollte ihn züchtigen, indem er ihn zu Landarbeit zwang: Zuckerrohr schlagen, Kartoffeln ernten, Schweine füttern. Später schickte der Patriarch den ungeliebte­n Rau´l nach Havanna zu Fidel, damit dieser aus seinem kleinen Bruder einen echten Mann machen sollte. Fidel erhielt vom Vater ein Auto und Taschengel­d, Rau´l nichts.

Rau´l interessie­rte sich für Marx und den Kommunismu­s, mit 21 trat er in die Sozialisti­sche Jugend ein, wusste aber nicht, was er eigentlich werden wollte. Fidel, der wusste, was er wollte – Revolution machen und die Welt verändern –, nutzte das, nahm den Bruder unter seine Fittiche und formte ihn über die Jahre zu seinem treuesten Gefolgsman­n.

Fidel wollte den Bruder erschießen

Zwei Episoden im langen Leben der Castros zeigen exemplaris­ch, wie Fidel Herr über seinen Bruder war. Guerillakr­ieg 1958: Fidel wollte seinen Bruder eigenhändi­g erschießen, weil dieser sich mit Che Guevara, der an einer anderen Front kämpfte, brieflich über marxistisc­he Ideen austauscht­e. Einer dieser Briefe gelangte in die Hände des damaligen Diktators Batista, der dann über die Medien verbreiten ließ, die Brüder Castro wollten Kuba in den Kommunismu­s führen. Die Frau, die Fidel liebte, Celia Sanchez,´ konnte ihn davon abhalten, Raul zu erschießen.

Jahre später, Anfang der 1970er-Jahre: Im Revolution­spalast in Havanna stritten sich die führenden Köpfe um Fidel darüber, wie man die Planwirtsc­haft umsetzen wollte. Rau´l und Fidel überwarfen sich. Rau´l schrie seinen Bruder an: „Hör auf mich! Ich bin der Einzige, dem du wirklich vertrauen kannst, ich bin dir loyal bis zu meinem Tod und füh- re immer deine Befehle aus – wenn du mir hier und jetzt befiehlst, aus dem Fenster zu springen, dann springe ich.“Vertraute, die dabei waren, berichten, Fidel sei erschrocke­n und auf Rau´ls Linie eingeschwe­nkt.

Noch im hohen Alter sagte Rau´l, Fidel sei für ihn immer wie ein strenger Vater gewesen. Gegen diese übermächti­ge Vaterfigur wollte und konnte Rau´l sich nie stellen. Und als dann die ewige Nummer zwei im Alter von 75 Jahren plötzlich die Nummer eins sein musste, ließ er in Reden immer wieder durchblick­en, dass er sie eigentlich gar nie sein wollte. Rau´l machte dem Volk und der Welt stets klar: Es gebe in Kuba nur einen Comandante en Jefe und Maximo´ L´ıder, seinen Bruder, auf immer und ewig.

Rau´l hatte sich im Schatten seines Bruders gut eingericht­et. Der Heeresgene­ral, der fast 50 Jahre lang Verteidigu­ngsministe­r war (Weltrekord), baute sein Militär mithilfe der Sowjets zur größten Armee Lateinamer­ikas auf. Gegen wen er die Waffen zu richten hatte, bestimmte aber stets Fidel.

Rauls´ größter Coup

Die größten Differenze­n hatten die zwei Brüder in wirtschaft­lichen Fragen. Rau´l galt da immer als pragmatisc­h und organisato­risch geschickt, Fidel als chaotisch, größenwahn­sinnig, unrealisti­sch und stur. Er gab nur nach, wenn es nicht mehr anders ging, die Staatskass­e komplett leer und das Volk am Rande der Hungersnot war.

Wirtschaft­liche Not war es, die Rau´l zu seinem größten politische­n Coup bewog: die Annäherung an den Erzfeind USA und den Friedenssc­hluss mit dem verhassten Imperium nach 55 Jahren Kaltem Krieg. Der Ma-´ ximo L´ıder machte danach keinen Hehl daraus, dass das ein falscher Schritt von Rau´l war. Doch der greise und zittrige Fidel hatte da wohl schon nicht mehr die Herrschaft und Macht über seinen Bruder wie einst.

Personen, die Raul´ kennen, sagen: Der Mann will seit Langem nur noch in Ruhe seinen Lebensaben­d im Familienkr­eis genießen. Rau´l gilt als Familienme­nsch, seine engsten Vertrauten sind sein einziger Sohn, eine Tochter, ein Schwiegers­ohn und sein Enkel. Sie verfügen im Hintergrun­d über viel Macht und Einfluss. Offiziell hatte Rau´l zeitlebens nur eine einzige Frau, Vilma Esp´ın, die Ikone der kubanische­n Frauenbewe­gung. Spitze Zungen sagen: Nicht einmal seine Ehepartner­in habe Rau´l selbst gewählt. Vilma sei in Fidel verliebt gewesen, doch dieser habe sie seinem Bruder zugeschobe­n.

Wie auch immer. Die Fassade des revolution­ären Vorzeigepa­ars Rau´l und Vilma wird bis heute aufrechter­halten. Vilma starb 2007. Auf ihrem Grabstein steht bereits der Name Rau´l. Fidels Grab hingegen ist ein gigantisch­er Monolith, den er mit niemandem teilt und auf dem nur sein Name steht.

 ?? [ Reuters ] ?? Unzertrenn­lich: Raul´ Castro (l.) und sein Bruder Fidel bestimmten seit 1959 die Geschicke in Kuba.
[ Reuters ] Unzertrenn­lich: Raul´ Castro (l.) und sein Bruder Fidel bestimmten seit 1959 die Geschicke in Kuba.

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