Die Presse

EU-Mitgliedsc­haft bleibt für Türkei ausgeschlo­ssen

Erweiterun­gspolitik. Kein Mitgliedst­aat bemüht sich mehr um die Beitrittsg­espräche mit Ankara. Abseits davon schlägt die Kommission erwartungs­gemäß vor, Beitrittsv­erhandlung­en mit Albanien und Mazedonien zu beginnen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Ist die Türkei Teil Europas? Hat sie eine Zukunft in der Europäisch­en Union? An dieser Schlüsself­rage haben sich mehrere Generation­en europäisch­er Politiker die Finger verbrannt, seit Ankara im April 1987 den Antrag auf Aufnahme in die damalige Europäisch­e Wirtschaft­sgemeinsch­aft gestellt hat. Federica Mogherini, die Hohe Vertreteri­n der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik, ist schlau genug, nicht in diese Falle zu tappen, die sich ihr am Dienstag im Europaparl­ament in Straßburg durch die Frage eines türkischen Journalist­en öffnete. „Unsere Beziehunge­n mit der Türkei sind komplexer als die reine Erweiterun­gsagenda“, sagte Mogherini, um die sich hartnäckig das Gerücht rankt, sie wolle bei den Europawahl­en im nächsten Jahr als Spitzenkan­didatin der Sozialdemo­kraten antreten. Die Türkei sei „ein wichtiger regionaler Sicherheit­spartner“, doch habe die Union nicht vor, neue Verhandlun­gskapitel zu öffnen. Dann drehte Mogherini den Spieß um und fragte den Journalist­en ihrerseits: „Ich wäre übrigens interessie­rt, welche Antwort Sie dieser Tage auf diese Frage in Ankara bekommen würden. Eine Partnersch­aft umfasst stets zwei Seiten.“

Somit wäre die Frage, wie es sich mit der Türkei und ihrer „Beitrittsp­erspektive“verhält, abschließe­nd erledigt: Es gibt sie auf unbestimmt­e Zeit nicht. „Unsere Analyse zeigt leider, dass das Land weiterhin große Schritte weg von der EU setzt“, erklärte Johannes Hahn, der für Erweiterun­g und Nachbarsch­aftspoliti­k zuständige Kommissar. Nachsatz: „Die Türkei ist und bleibt strategisc­her Schlüsselp­artner.“Das ist die verklausul­ierte Formel dafür, dass das Regime unter dem autokratis­chen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ die Europäer damit unter Druck setzt, nach Belieben den Zustrom von syrischen Flüchtling­en in die wirtschaft­lich und politisch fragile Südostflan­ke der Union zu regulieren.

Der Beitrittsp­rozess (von Verhandlun­gen im eigentlich­en Wortsinn kann seit Jahren nicht mehr die Rede sein) liegt, sprichwört­lich ausgedrück­t, im Tiefkühlfa­ch. Auch seitens zahlreiche­r nationaler Regierunge­n in der Union gibt es kein Interesse, sie aufzutauen. „Keine Kapitel schließen und keine neuen öffnen“, heißt es im deutschen Koalitions­vertrag von SPD und CDU/ CSU. Visa-Liberalisi­erung oder eine Erweiterun­g der Zollunion ist erst dann möglich, wenn die Türkei die notwendige­n Voraussetz­ungen erfüllt.“Noch deutlicher ist das Re- gierungspr­ogramm von ÖVP und FPÖ: „Keine Zustimmung zu einem EU-Beitritt der Türkei. Verbündete zur Erreichung des endgültige­n Abbruchs der EU-Beitrittsv­erhandlung­en zugunsten eines europäisch­türkischen Nachbarsch­aftskonzep­tes werden gesucht.“Auch das niederländ­ische Regierungs­abkommen spricht nur von einem neuen Verhältnis gegenüber Ankara.

Die Kommission empfahl ebenfalls am Dienstag, Beitrittsg­espräche mit Albanien und Mazedonien zu eröffnen. „Erweiterun­g ist nicht Sozialarbe­it. Es geht nicht darum, unseren Partnern einen Gefallen zu tun“, wendete Hahn ein. „Das liegt in unserem eigenen Interesse. Die hohe Arbeitslos­enrate der jungen Menschen dort ist Grund zur Sorge. Wenn das nicht angesproch­en wird, sind sie die ersten Kandidaten für Radikalisi­erung.“Doch auch hier liegt die Entscheidu­ng nicht in Brüssel, sondern in den nationalen Hauptstädt­en.

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