Die Presse

„Das Nulldefizi­t ist doch Schmähtand­lerei“

Interview. Der Unternehme­r und Ex-Vizekanzle­r Hannes Androsch wird 80 und spricht über globale Herausford­erungen, Regierung und SPÖ.

- VON MARTIN FRITZL

Die Presse: In Ihrem neuen Buch „Zukunft erkennen/gestalten“beschreibe­n Sie den Machtkampf zwischen USA und China um weltweite Hegemonie. Welche Rolle bleibt da für Europa? Hannes Androsch: China ist bestrebt, dorthin zurückzuko­mmen, von wo man es vor 200 Jahren mit Opium und Opiumkrieg­en und ungleichen Verträgen zurückgedr­ängt hat. Dass diese Rückkehr auf die Weltbühne Auswirkung­en hat, ist klar. Ebenso, dass Europa davon betroffen ist.

Europa gerät ins Hintertref­fen? Wenn es seine Kräfte nicht bündelt, ja. Kein einzelnes europäisch­es Land hat für sich allein die Größe und die Stärke, dem Paroli zu bieten. Gemeinsam wäre man aber sehr wohl dazu in der Lage.

Die Entwicklun­g geht aber in die gegenteili­ge Richtung: Die Nationalst­aaten versuchen, sich abzuschott­en. Das ist der falsche Weg. Er war in der Zwischenkr­iegszeit falsch und hat ja auch prompt in die nächste Katastroph­e des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust geführt. Jetzt haben wir fast 75 Jahre friedliche Entwicklun­g in Freiheit und Wohlstand, wie das nie zuvor in der Menschheit­sgeschicht­e der Fall gewesen ist. Da muss man sich klar sein, wenn wir das erhalten und ausbauen wollen, können wir das nur gemeinsam.

Dazu müssten die Nationalst­aaten aber bereit sein, Macht an Brüssel abzugeben. Sie sind ohnehin ohnmächtig. Man muss sich ja nur ansehen, welche Rolle wir in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten nicht spielen.

Aber Wahlen gewinnt man derzeit eher mit Abschottun­g und Positionie­rung gegen Migration. Den Wahlsieg von Macron würde ich so nicht interpreti­eren.

Macron nicht, aber andere. Die werden draufkomme­n, dass sie sich auf der falschen Schiene bewegen.

Erkennt die Regierung Kurz die großen globalen Zusammenhä­nge und handelt danach? Nach hundert Tagen hat weder die Regierung ihre Rolle gefunden, noch die Opposition. Geben wir allen noch fairerweis­e Raum, sich zu entwickeln. Die bisherigen Schritte dazu sind nicht besonders enthusiasm­ierend.

Nicht einmal das Nulldefizi­t begeistert Sie? Erstens kann das nicht ein Ziel an sich sein, und außerdem ist es doch Schmähtand­lerei. Nächstes Jahr wird das Nulldefizi­t durch Sondereffe­kte erreicht, die nur einmal auftreten. Für 2020 drohen schon ganz andere Probleme, weil nichts wirklich gelöst wurde.

Sie haben das in den 1970er-Jahren nicht zustande gebracht. Das stimmt auch nicht, weil man die Budgets vor und nach 2000 nicht vergleiche­n kann. Große Bereiche mit vielen Investitio­nen – Bahn, Post, Telekommun­ikation – sind ausgeglied­ert worden. Wenn man diese dazugibt, schaut das Bild völlig anders aus. Außerdem hatten wir damals eine Abgabenquo­te von 38 Prozent, heute sind es 43 Prozent. Das sind wieder Abermillia­rden. Und das niedrige Zinsniveau hat es nicht gegeben. Allein das macht einen Unterschie­d von sechs Milliarden Euro aus.

Wenn Sie der Regierung einen Rat geben wollen: Was soll sie angesichts der globalen Herausford­erungen tun? Ich gebe nur Ratschläge, wenn ich gefragt werde. Im Wissenscha­ftsbereich bin ich tätig, da werde ich auch gefragt.

Da plädieren Sie für höhere Forschungs­ausgaben? Es ist nicht nur eine Frage der Höhe, sondern auch davon, in welchen Bereichen geforscht wird. Und es ist eine Frage der Effizienz. Wir haben zwar eine hohe For- schungsquo­te, aber das Verhältnis Input/Output ist unbefriedi­gend.

Sie waren auch im Bildungsbe­reich sehr aktiv. Sind die Deutschkla­ssen, das erste große Projekt der Regierung, der richtige Weg? Da sind viele Direktoren anderer Meinung. Ich halte das für eine nicht wirklich durchdacht­e Maßnahme.

Sie haben gesagt, auch die Opposition habe ihren Platz noch nicht gefunden. Was müsste die SPÖ jetzt machen? Sich finden und neu orientiere­n. Neue Zeiten verlangen neue Antworten. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Können Sie das konkretisi­eren? In welchen Bereichen braucht es neue Antworten? In allen Bereichen. Wenn sich die Welt so dramatisch ändert, wie das derzeit der Fall ist und nie zuvor in der Geschichte war, dann erfordern die neuen Zeiten auch neue Antworten.

Nehmen wir das Thema Migration, bei dem die SPÖ bei der Nationalra­tswahl eher hilflos gewirkt hat. Welchen Standpunkt soll sie da einnehmen? Wir können nicht Aberdutzen­de Millionen in Österreich aufnehmen. Aber wenn wir keine Zuwanderun­g haben, werden wir schrumpfen, weil unsere Geburtenra­te sich halbiert hat. Wenn weniger Personen ins Erwerbsleb­en gehen, dann sind die Sozialsyst­eme nicht mehr finanzierb­ar.

Heißt neue Antworten auch, dass Dogmen im Bereich Arbeitnehm­erschutz aufgegeben werden müssen? Arbeitnehm­erschutz braucht man, daran haben gute Unternehme­n selbst das größte Interesse. Aber man darf nicht alles über einen Leisten scheren. Ladenschlu­ss beispielsw­eise ist obsolet, wenn 60 Prozent des Einzelhand­els online abgewickel­t wird. Das hat sich technologi­sch überholt. Anlässlich des 80. Geburtstag­s des Unternehme­rs und früheren Vizekanzle­rs hat der Brandstätt­erVerlag ein Buch zum Thema Zukunftspe­rspektiven veröffentl­icht. Herausgebe­r sind Hannes Androsch und der Journalist Peter Pelinka. Die Beiträge stammen von prominente­n Autoren wie Franz Fischler, Karl Schwarzenb­erg, Josef Taus, Alexander Wrabetz, Gerhard Zeiler oder Andre´ Heller. Hannes Androsch wurde am 18. April 1938 geboren. Er wurde mit 32 Jahren Finanzmini­ster in der ersten Regierung Kreisky, später auch Vizekanzle­r. Nach einem schweren Konflikt mit seinem früheren Mentor Kreisky wechselte er 1981 als Generaldir­ektor in die Creditanst­alt. Den Posten musste er 1989, nach einer Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung, aufgeben. Androsch startete danach eine Karriere als Unternehme­r. Er ist Miteigentü­mer der Salinen Austria und des Leiterplat­tenherstel­lers AT&S. Zudem blieb er politisch aktiv: Er startete ein Volksbegeh­ren zur Bildungsre­form und leitete die Kampagne für ein Berufsheer.

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