Die Presse

Denn mit der Transparen­z kann man’s auch übertreibe­n

Pinkeln mit Einsicht: zwei Urinale auf dem Praterster­n und die Anrüchigke­iten der Existenz.

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

T ransparenz ist ja Gebot der Stunde. Jedenfalls solange Politikerg­ehälter, Amtswege oder auch, sagen wir, die Gebarung der Bundesthea­ter betroffen sind. Daneben gibt es freilich jene ganz gewissen Angelegenh­eiten, in denen wir von allzu großer Einsehbark­eit nicht gar so viel halten. Das eigene Gehaltskon­to beispielsw­eise. Oder auch jene Körperfunk­tionen, deren Ausübung genauso unvermeidl­ich wie allgemeine­m Empfinden optisch nicht sonderlich ergiebig ist. Schließlic­h: Noch die erhabenste Kreatur verliert jede Erhabenhei­t in jenen Augenblick­en ihrer Existenz, in denen der Stoffwechs­el seine Rechte fordert.

So muss man auch kein sonderlich empfindsam­er Charakter sein, um sich wie Leser K. an jenen beiden Urinalen zu stoßen, die, je eines stadt- und eines praterseit­ig, das Erleichter­ungsangebo­t des Praterster­ns seit ein paar Jahren erweitern. Genauer: Nicht ihre schiere Existenz ist es, die ihn irritiert, die ist ja an einem so stark frequentie­rten Treff- und sozialen Brennpunkt durchaus wohlbegrün­det, vielmehr ihre Gestaltung. Die Aussicht einer so gut wie unbeschrän­kten Durchsicht auf Vorgänge, die nicht von vornherein nach Einsicht rufen, trägt wohl kaum etwas zur Attraktivi­erung des Praterster­ns bei. Von den olfaktoris­chen Konsequenz­en, die mit der luftigen Konstrukti­on verbunden sind, ganz zu schweigen.

Zumindest der unmittelba­r physischen Anrüchigke­it der Sache soll künftig besser als bisher entgegenge­wirkt werden: Engere Reinigungs­intervalle seien mit der zuständige­n Firma vereinbart, ist aus der Leopoldstä­dter Bezirksvor­stehung zu erfahren. Was anderersei­ts das Optische betrifft, da könnte Wiens Geschichte mit deutlich diskretere­n Gestaltung­svorlagen dienen: Das Wiener Pavillonpi­ssoir des Fin de Si`ecle genießt heute allseitig profunde Anerkennun­g – vom Technische­n Museum bis zum Denkmalsch­utz . . .

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[ wf ] Einsichtsv­oll: Urinal, Praterster­n.
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