Denn mit der Transparenz kann man’s auch übertreiben
Pinkeln mit Einsicht: zwei Urinale auf dem Praterstern und die Anrüchigkeiten der Existenz.
T ransparenz ist ja Gebot der Stunde. Jedenfalls solange Politikergehälter, Amtswege oder auch, sagen wir, die Gebarung der Bundestheater betroffen sind. Daneben gibt es freilich jene ganz gewissen Angelegenheiten, in denen wir von allzu großer Einsehbarkeit nicht gar so viel halten. Das eigene Gehaltskonto beispielsweise. Oder auch jene Körperfunktionen, deren Ausübung genauso unvermeidlich wie allgemeinem Empfinden optisch nicht sonderlich ergiebig ist. Schließlich: Noch die erhabenste Kreatur verliert jede Erhabenheit in jenen Augenblicken ihrer Existenz, in denen der Stoffwechsel seine Rechte fordert.
So muss man auch kein sonderlich empfindsamer Charakter sein, um sich wie Leser K. an jenen beiden Urinalen zu stoßen, die, je eines stadt- und eines praterseitig, das Erleichterungsangebot des Pratersterns seit ein paar Jahren erweitern. Genauer: Nicht ihre schiere Existenz ist es, die ihn irritiert, die ist ja an einem so stark frequentierten Treff- und sozialen Brennpunkt durchaus wohlbegründet, vielmehr ihre Gestaltung. Die Aussicht einer so gut wie unbeschränkten Durchsicht auf Vorgänge, die nicht von vornherein nach Einsicht rufen, trägt wohl kaum etwas zur Attraktivierung des Pratersterns bei. Von den olfaktorischen Konsequenzen, die mit der luftigen Konstruktion verbunden sind, ganz zu schweigen.
Zumindest der unmittelbar physischen Anrüchigkeit der Sache soll künftig besser als bisher entgegengewirkt werden: Engere Reinigungsintervalle seien mit der zuständigen Firma vereinbart, ist aus der Leopoldstädter Bezirksvorstehung zu erfahren. Was andererseits das Optische betrifft, da könnte Wiens Geschichte mit deutlich diskreteren Gestaltungsvorlagen dienen: Das Wiener Pavillonpissoir des Fin de Si`ecle genießt heute allseitig profunde Anerkennung – vom Technischen Museum bis zum Denkmalschutz . . .