Wieviel Gangsta ist in Kendrick Lamar?
Hip-Hop. Kendrick Lamar ist der erste Rapper, der einen Pulitzer-Preis bekommt – in der Sparte Musik. Aber gewiss auch für seine virtuosen Texte. Wie verhalten sich diese zum derzeit heftig umstrittenen deutschen Gangsta-Rap?
Die hohe Auszeichnung für Kendrick Lamar kommt wie gerufen – auch für die derzeit im deutschen Sprachraum laufende Debatte über Hip-Hop, angestoßen durch die sexistischen, gewaltverherrlichenden und (in zwei Fällen) den Holocaust verharmlosenden Texte der unlängst mit dem Echo-Preis der deutschen Musikindustrie ausgezeichneten Rapper Kollegah und Farid Bang.
So sei es nun einmal im Rap, erklärten dazu manche. Das sei alles nicht so ernst gemeint, der Gangster (meist Gangsta geschrieben) sei eben eine überhöhte Kunstfigur. Die meisten Kommentatoren verstünden halt nichts davon, schrieb etwa „Welt“-Redakteur Dennis Sand: „Im Battle-Rap gibt es keine moralischen Grenzen. Im Battle-Rap hat jede Minderheit das gleiche Recht auf die respektloseste Beleidigung. Aber am Ende geben sich die Kontrahenten die Hand, denn sie wissen, dass die Beleidigungen in einem abgesteckten Rahmen gefallen sind.“
Als die Gewalt in den Hip-Hop kam
Das mag sein. Wiewohl man sich fragt, ob die Kontrahenten z. B. den nebenher beleidigten Frauen – Textprobe von Kollegah und Farid Bang: „Danach fick’ ich deine Ma, die Flüchtlingsschlampe“– auch die Hand reichen. Aber natürlich ist Rap spätestens seit „Rapper’s Delight“(1979, Zitat: „I can bust you out with my super sperm!“) auch eine Übertreibungskunst, voll der überdrehten Sexualprotzerei am Rand der Selbstironie. Die Gewaltfantasien kamen Mitte der Achtzigerjahre dazu, mit den ersten GangstaRappern wie Ice-T oder Ice Cube, die gern mit Feuerwaffen posierten.
Zugleich ist Rap, in dem der GangstaRap ja nur eine Sparte darstellt, längst eine ernst zu nehmende literarische Form, die sich – etwa über die „Poetry Slams“– auch mit anderen Formen der Poesie vermischt. Dieser Status wird durch den Pulitzer-Preis an Lamar quasi offiziell bestätigt. Wobei dieser allerdings den Preis in der Kategorie Musik bekommen hat. In dieser wurden bisher nur E-Musiker (z. B. Aaron Copland, Steve Reich, zuletzt der Chinese Du Yun) und Jazzer (z. B. Wynton Marsalis, Ornette Coleman) ausgezeichnet, noch nie ein Rockoder Popmusiker im engeren Sinn! Auch das macht Kendrick Lamars Preis so sensationell – und spricht dafür, dass seine Texte für die Vergabe ausschlaggebend waren.
Ist auch Kendrick Lamar irgendwie ein Gangsta? Stehen seine Raps in der Tradition des Gangsta-Rap? Ganz naiv biografisch betrachtet: Ja. Sein Vater war bei der Chicagoer Streetgang Gangster Disciples (in die Popgeschichte eingegangen mit einer Zeile aus „Sign o’ the Times“von Prince), entkam dieser aber, indem er nach Compton zog, wo er bei KFC anheuerte. In diesem tristen Vorort von Los Angeles war der junge Kendrick erst recht mit Gangsterbanden konfrontiert, dort treiben bis heute die Bloods und die Crips ihr Unwesen, die Kriminalitätsrate war in den Achtzigerjahren bedrückend hoch. Und auch die Hip-Hop-Aktivität, man denke nur an das Album „Straight Outta Compton“von N. W. A. (für „Niggaz Wit Attitudes“, sic!) aus dem Jahr 1988.
Kendrick Lamar war selbst nie Mitglied einer Gang, er verzichtet auf Alkohol und Drogen, doch in seinen Texten befasst er sich ausführlich mit den Zuständen seiner Hood (von „neighborhood“, Nachbarschaft) – auch mit der Psyche ihrer Einwohner. Wobei aus dem Zusammenhang gerissene Zeilen als Gewaltverherrlichung missverstanden werden könnten: „I put a bullet in the back of the back of the head of the po- lice“, heißt es etwa in „i“(auf dem Album „To Pimp a Butterfly“), doch das ist nur ein Zitat in einem Pastiche, der, wenn überhaupt, in einer Diagnose mündet: „Everybody lacks confidence.“In „The Blacker the Berry“übersteigert er das Motiv des schwarzen Stolzes sogar bis ins Karikaturhafte: „Came from the bottom of mankind, my hair is nappy, my dick is big, my nose is round and wide, you hate me, don’t you?“
Reichtum und das Böse in der DNA
Ähnlich ambivalent spielt er im Track „DNA“(auf seinem jüngsten Album „Damn“) mit biologistischen Vorstellungen: „I got realness, I just kill shit ’cause it’s in my DNA, I got millions, I got riches buildin’ in my DNA, I got dark, I got evil that rots inside my DNA.“Und am Schluss, die Gangsta-Klischees radikal zusammenfassend: „Sex, money, murder, our DNA.“
Man kann in einer knappen Würdigung nur solche – isoliert vielleicht plakativ wirkenden – Schlüsselzeilen zitieren, sie stehen in einem dichten Geflecht, in dem – manchmal auch durch die teils prominenten Gastvokalisten (z. B. Rihanna oder Bono von U2) verkörpert – Stimmen einander ergänzen und widersprechen, was bisweilen wirkt, als ob Lamar das Schema des Battle-Rap zum Streit der Ideen sublimieren wollte. Im Titeltrack etwa, in dem virtuoses Protzen (z. B. „If I quit your BM, I still ride Mercedes“) gegen das Ideal der Bescheidenheit abgewogen wird. Nebenbei erzählt Kendrick Lamar – oder sein Alter ego Kung Fu Kenny? – ein bisschen etwas über seine ästhetischen Vorlieben: „I’m so fuckin’ sick of the Photoshop, show me somethin’ natural like ass with some stretch marks.“Was manche Feministinnen erst recht als sexistisch empfanden.
Texte voller Bibelzitate
Ganz selbstverständlich stehen solche obszönen Passagen – die aber frei von der aggressiven Frauenfeindlichkeit sind, die in Deutsch-Rap a` la Kollegah herrscht – neben religiösen: Kendrick Lamar ist gläubiger Christ. Seine Texte sind voller Bibelzitate, in „Lust“sogar mit Quellenangabe: „Lately in James 4:4 says, friend of the world is enemy of the Lord, brace yourself, lust is all yours.“Dabei wirkt er nie dogmatisch, er kann auch über seinen Glauben lächeln, wenn er etwa als „Yeshua’s new weapon“posiert oder kokett ein Hiob-Schicksal fürchtet: „All this money, is God playin’ a joke on me? Is it for the moment, and will he see me as Job?“
Und jetzt auch noch der Pulitzer. Weiß Gott, was ihm dazu für Reime einfallen.