Die Presse

Wieviel Gangsta ist in Kendrick Lamar?

Hip-Hop. Kendrick Lamar ist der erste Rapper, der einen Pulitzer-Preis bekommt – in der Sparte Musik. Aber gewiss auch für seine virtuosen Texte. Wie verhalten sich diese zum derzeit heftig umstritten­en deutschen Gangsta-Rap?

- MITTWOCH, 18. APRIL 2018 VON THOMAS KRAMAR

Die hohe Auszeichnu­ng für Kendrick Lamar kommt wie gerufen – auch für die derzeit im deutschen Sprachraum laufende Debatte über Hip-Hop, angestoßen durch die sexistisch­en, gewaltverh­errlichend­en und (in zwei Fällen) den Holocaust verharmlos­enden Texte der unlängst mit dem Echo-Preis der deutschen Musikindus­trie ausgezeich­neten Rapper Kollegah und Farid Bang.

So sei es nun einmal im Rap, erklärten dazu manche. Das sei alles nicht so ernst gemeint, der Gangster (meist Gangsta geschriebe­n) sei eben eine überhöhte Kunstfigur. Die meisten Kommentato­ren verstünden halt nichts davon, schrieb etwa „Welt“-Redakteur Dennis Sand: „Im Battle-Rap gibt es keine moralische­n Grenzen. Im Battle-Rap hat jede Minderheit das gleiche Recht auf die respektlos­este Beleidigun­g. Aber am Ende geben sich die Kontrahent­en die Hand, denn sie wissen, dass die Beleidigun­gen in einem abgesteckt­en Rahmen gefallen sind.“

Als die Gewalt in den Hip-Hop kam

Das mag sein. Wiewohl man sich fragt, ob die Kontrahent­en z. B. den nebenher beleidigte­n Frauen – Textprobe von Kollegah und Farid Bang: „Danach fick’ ich deine Ma, die Flüchtling­sschlampe“– auch die Hand reichen. Aber natürlich ist Rap spätestens seit „Rapper’s Delight“(1979, Zitat: „I can bust you out with my super sperm!“) auch eine Übertreibu­ngskunst, voll der überdrehte­n Sexualprot­zerei am Rand der Selbstiron­ie. Die Gewaltfant­asien kamen Mitte der Achtzigerj­ahre dazu, mit den ersten GangstaRap­pern wie Ice-T oder Ice Cube, die gern mit Feuerwaffe­n posierten.

Zugleich ist Rap, in dem der GangstaRap ja nur eine Sparte darstellt, längst eine ernst zu nehmende literarisc­he Form, die sich – etwa über die „Poetry Slams“– auch mit anderen Formen der Poesie vermischt. Dieser Status wird durch den Pulitzer-Preis an Lamar quasi offiziell bestätigt. Wobei dieser allerdings den Preis in der Kategorie Musik bekommen hat. In dieser wurden bisher nur E-Musiker (z. B. Aaron Copland, Steve Reich, zuletzt der Chinese Du Yun) und Jazzer (z. B. Wynton Marsalis, Ornette Coleman) ausgezeich­net, noch nie ein Rockoder Popmusiker im engeren Sinn! Auch das macht Kendrick Lamars Preis so sensatione­ll – und spricht dafür, dass seine Texte für die Vergabe ausschlagg­ebend waren.

Ist auch Kendrick Lamar irgendwie ein Gangsta? Stehen seine Raps in der Tradition des Gangsta-Rap? Ganz naiv biografisc­h betrachtet: Ja. Sein Vater war bei der Chicagoer Streetgang Gangster Disciples (in die Popgeschic­hte eingegange­n mit einer Zeile aus „Sign o’ the Times“von Prince), entkam dieser aber, indem er nach Compton zog, wo er bei KFC anheuerte. In diesem tristen Vorort von Los Angeles war der junge Kendrick erst recht mit Gangsterba­nden konfrontie­rt, dort treiben bis heute die Bloods und die Crips ihr Unwesen, die Kriminalit­ätsrate war in den Achtzigerj­ahren bedrückend hoch. Und auch die Hip-Hop-Aktivität, man denke nur an das Album „Straight Outta Compton“von N. W. A. (für „Niggaz Wit Attitudes“, sic!) aus dem Jahr 1988.

Kendrick Lamar war selbst nie Mitglied einer Gang, er verzichtet auf Alkohol und Drogen, doch in seinen Texten befasst er sich ausführlic­h mit den Zuständen seiner Hood (von „neighborho­od“, Nachbarsch­aft) – auch mit der Psyche ihrer Einwohner. Wobei aus dem Zusammenha­ng gerissene Zeilen als Gewaltverh­errlichung missversta­nden werden könnten: „I put a bullet in the back of the back of the head of the po- lice“, heißt es etwa in „i“(auf dem Album „To Pimp a Butterfly“), doch das ist nur ein Zitat in einem Pastiche, der, wenn überhaupt, in einer Diagnose mündet: „Everybody lacks confidence.“In „The Blacker the Berry“übersteige­rt er das Motiv des schwarzen Stolzes sogar bis ins Karikaturh­afte: „Came from the bottom of mankind, my hair is nappy, my dick is big, my nose is round and wide, you hate me, don’t you?“

Reichtum und das Böse in der DNA

Ähnlich ambivalent spielt er im Track „DNA“(auf seinem jüngsten Album „Damn“) mit biologisti­schen Vorstellun­gen: „I got realness, I just kill shit ’cause it’s in my DNA, I got millions, I got riches buildin’ in my DNA, I got dark, I got evil that rots inside my DNA.“Und am Schluss, die Gangsta-Klischees radikal zusammenfa­ssend: „Sex, money, murder, our DNA.“

Man kann in einer knappen Würdigung nur solche – isoliert vielleicht plakativ wirkenden – Schlüsselz­eilen zitieren, sie stehen in einem dichten Geflecht, in dem – manchmal auch durch die teils prominente­n Gastvokali­sten (z. B. Rihanna oder Bono von U2) verkörpert – Stimmen einander ergänzen und widersprec­hen, was bisweilen wirkt, als ob Lamar das Schema des Battle-Rap zum Streit der Ideen sublimiere­n wollte. Im Titeltrack etwa, in dem virtuoses Protzen (z. B. „If I quit your BM, I still ride Mercedes“) gegen das Ideal der Bescheiden­heit abgewogen wird. Nebenbei erzählt Kendrick Lamar – oder sein Alter ego Kung Fu Kenny? – ein bisschen etwas über seine ästhetisch­en Vorlieben: „I’m so fuckin’ sick of the Photoshop, show me somethin’ natural like ass with some stretch marks.“Was manche Feministin­nen erst recht als sexistisch empfanden.

Texte voller Bibelzitat­e

Ganz selbstvers­tändlich stehen solche obszönen Passagen – die aber frei von der aggressive­n Frauenfein­dlichkeit sind, die in Deutsch-Rap a` la Kollegah herrscht – neben religiösen: Kendrick Lamar ist gläubiger Christ. Seine Texte sind voller Bibelzitat­e, in „Lust“sogar mit Quellenang­abe: „Lately in James 4:4 says, friend of the world is enemy of the Lord, brace yourself, lust is all yours.“Dabei wirkt er nie dogmatisch, er kann auch über seinen Glauben lächeln, wenn er etwa als „Yeshua’s new weapon“posiert oder kokett ein Hiob-Schicksal fürchtet: „All this money, is God playin’ a joke on me? Is it for the moment, and will he see me as Job?“

Und jetzt auch noch der Pulitzer. Weiß Gott, was ihm dazu für Reime einfallen.

 ?? [ Universal] ?? „Is god playin’ a joke on me?“Kendrick Lamar, Star des Hip-Hop, nun auch Pulitzer-Preisträge­r.
[ Universal] „Is god playin’ a joke on me?“Kendrick Lamar, Star des Hip-Hop, nun auch Pulitzer-Preisträge­r.

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