Die vergessene Oper von Bayreuth
Deutschland. Eine preußische Prinzessin, verbannt in das Kaff Bayreuth, baute ein herrliches Musiktheater, dann verfiel es: Nun ist das Markgräfliche Opernhaus wiederhergestellt – über die fulminante Renaissance eines barocken Juwels.
Prinzessin Wilhelmine von Preußen, Schwester Friedrichs des Großen, wurde von ihrem rachsüchtigen Vater statt mit dem König von England mit dem Markgrafen von Bayreuth verheiratet. In ihrer neuen Heimat angekommen, war sie von der Langweiligkeit und Rückständigkeit dieses fränkischen Provinzkaffs so entsetzt, dass sie sich ohne Umschweife in eine umfangreiche Mäzenaten- und Bautätigkeit warf, die bis zu ihrem Lebensende anhielt. Alle wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt sind letztlich ihr zu verdanken: das Neue Schloss, die Eremitage, der Felsengarten Sanspareil, das Schloss Fantaisie etc.
Als ihr Meisterwerk gilt jedoch das Markgräfliche Opernhaus, das sie 1748 anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter vom Architektenstar seiner Zeit, dem italienischen Theaterfachmann Giuseppe Galli Bibiena, errichten ließ. Später war die kunstsinnige Markgräfin daselbst höchstpersönlich auch als Musikerin, Librettistin, Komponistin und Operndirektorin tätig.
Es folgten düsterere, kunstfernere Zeiten. Der Spielbetrieb wurde zuerst reduziert, dann eingestellt. Missbräuchliche Verwendungen, unsachgemäße Renovierungen und blanke Vernachlässigung sorgten dafür, dass das spätbarocke Juwel verfiel. Nach dessen Ernennung zum Weltkulturerbe 2012 entschloss sich die bayrische Regierung zur umfassenden Restaurierung. Sechs Jahre und 30 Millionen Euro später war es am vergangenen Wochenende endlich so weit: Das Markgräfliche Opernhaus wurde in einem feierlichen Staatsakt, mit großem Pomp und in Gegenwart vieler Promis (vom neuen Ministerpräsidenten, Markus Söder, über Katharina Wagner bis zu den Prinzen von Bayern und Preußen) wiedereröffnet.
Vor dem Einlass ist man zuerst ein wenig enttäuscht, die graue, steinerne, klassizistische Außenfassade wirkt auf den ersten Blick allzu normal und unattraktiv. Aber sobald man den Zuschauerraum betritt, erlebt man eine Art ästhetisches Peitschenschlagsyndrom: Angesichts der geballten Pracht des in Grün -und Goldtönen erstrahlenden Logentheaters weiß man nicht, wo man als Erstes hinschauen soll. Zum Golde drängt, am Golde hängt hier alles: güldene Wappen, güldene Adler, güldene Muscheln, güldene Armleuchter, Vorhänge, Flaggen, Flügeln, Girlanden, Skulpturen und Gesichter, . . .
Zur Feier der Wiederbespielung hat man dasselbe Werk wie seinerzeit zur Einweihung gewählt: die Oper „Artaserse“des „göttlichen Sachsen“Johann Adolph Hasse. Allerdings nicht in der ursprünglichen Form. Vielmehr versuchte die Münchener Theaterakademie August Everding, die diese Produktion ersonnen hatte, das Originallibretto von Metastasio mit der nicht unproblematischen Lebensgeschichte der Mark- gräfin Wilhelmine und ihrer dysfunktionalen preußischen Herkunftsfamilie zu verschränken.
Als Wilhelmine hat man niemand Geringeren als die legendäre 80-jährige Diva Anja Silja aufgeboten, als Langzeitgeliebte von Wieland Wagner sozusagen die inoffizielle Königin-Witwe von Bayreuth. Um sie herum fünf sehr begabte Studenten der Akademie, die ihre Rollen beseelt und einfühlsam gestalteten. Was zu einem Großteil auch Michael Hofstätter an der Spitze der unter seiner Leitung energisch aufspielenden Hofkapelle München zuzuschreiben war. Manch einer kritisierte die mangelnde Koloraturerfahrung der Sängerinnen, auch die Verquickung von „Artaserse“-Plot und WilhelmineVita. Das mag alles seine Richtigkeit haben: Regisseur Balasz´ Kovalik hat sich – auf intelligente, vielleicht zu intelligente Weise – zu viel vorgenommen. Dennoch bescherte die- se hochkomplexe dramaturgische Mischung einige unvergessliche Theatermomente, wie die letzte Szene, in der die ganz uneitle Anja Silja in einem auf seine Holzbalken reduzierten Modell der historischen Barocktheatermaschinerie zu einem gebrochenen Sprechgesang anhebt.
Man kann nur hoffen, dass die Bayerische Schlösser-, Garten- und Seenverwaltung (der das Gebäude untersteht) nicht ihre Drohung wahrmacht und das wiedergefundene Juwel quasi nur für Führungen öffnet. Und dass der neue bayrische Ministerpräsident (der als Finanzminister die Renovierung ermöglicht hat) zumindest einen Bruchteil der dafür geflossenen Mittel bereitstellt, um das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth zu einem europaweiten Zentrum für historisch informiertes Barocktheater zu machen.