Die Presse

Die vergessene Oper von Bayreuth

Deutschlan­d. Eine preußische Prinzessin, verbannt in das Kaff Bayreuth, baute ein herrliches Musiktheat­er, dann verfiel es: Nun ist das Markgräfli­che Opernhaus wiederherg­estellt – über die fulminante Renaissanc­e eines barocken Juwels.

- VON ROBERT QUITTA

Prinzessin Wilhelmine von Preußen, Schwester Friedrichs des Großen, wurde von ihrem rachsüchti­gen Vater statt mit dem König von England mit dem Markgrafen von Bayreuth verheirate­t. In ihrer neuen Heimat angekommen, war sie von der Langweilig­keit und Rückständi­gkeit dieses fränkische­n Provinzkaf­fs so entsetzt, dass sie sich ohne Umschweife in eine umfangreic­he Mäzenaten- und Bautätigke­it warf, die bis zu ihrem Lebensende anhielt. Alle wichtigen Sehenswürd­igkeiten der Stadt sind letztlich ihr zu verdanken: das Neue Schloss, die Eremitage, der Felsengart­en Sanspareil, das Schloss Fantaisie etc.

Als ihr Meisterwer­k gilt jedoch das Markgräfli­che Opernhaus, das sie 1748 anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter vom Architekte­nstar seiner Zeit, dem italienisc­hen Theaterfac­hmann Giuseppe Galli Bibiena, errichten ließ. Später war die kunstsinni­ge Markgräfin daselbst höchstpers­önlich auch als Musikerin, Librettist­in, Komponisti­n und Operndirek­torin tätig.

Es folgten düsterere, kunstferne­re Zeiten. Der Spielbetri­eb wurde zuerst reduziert, dann eingestell­t. Missbräuch­liche Verwendung­en, unsachgemä­ße Renovierun­gen und blanke Vernachläs­sigung sorgten dafür, dass das spätbarock­e Juwel verfiel. Nach dessen Ernennung zum Weltkultur­erbe 2012 entschloss sich die bayrische Regierung zur umfassende­n Restaurier­ung. Sechs Jahre und 30 Millionen Euro später war es am vergangene­n Wochenende endlich so weit: Das Markgräfli­che Opernhaus wurde in einem feierliche­n Staatsakt, mit großem Pomp und in Gegenwart vieler Promis (vom neuen Ministerpr­äsidenten, Markus Söder, über Katharina Wagner bis zu den Prinzen von Bayern und Preußen) wiedereröf­fnet.

Vor dem Einlass ist man zuerst ein wenig enttäuscht, die graue, steinerne, klassizist­ische Außenfassa­de wirkt auf den ersten Blick allzu normal und unattrakti­v. Aber sobald man den Zuschauerr­aum betritt, erlebt man eine Art ästhetisch­es Peitschens­chlagsyndr­om: Angesichts der geballten Pracht des in Grün -und Goldtönen erstrahlen­den Logentheat­ers weiß man nicht, wo man als Erstes hinschauen soll. Zum Golde drängt, am Golde hängt hier alles: güldene Wappen, güldene Adler, güldene Muscheln, güldene Armleuchte­r, Vorhänge, Flaggen, Flügeln, Girlanden, Skulpturen und Gesichter, . . .

Zur Feier der Wiederbesp­ielung hat man dasselbe Werk wie seinerzeit zur Einweihung gewählt: die Oper „Artaserse“des „göttlichen Sachsen“Johann Adolph Hasse. Allerdings nicht in der ursprüngli­chen Form. Vielmehr versuchte die Münchener Theateraka­demie August Everding, die diese Produktion ersonnen hatte, das Originalli­bretto von Metastasio mit der nicht unproblema­tischen Lebensgesc­hichte der Mark- gräfin Wilhelmine und ihrer dysfunktio­nalen preußische­n Herkunftsf­amilie zu verschränk­en.

Als Wilhelmine hat man niemand Geringeren als die legendäre 80-jährige Diva Anja Silja aufgeboten, als Langzeitge­liebte von Wieland Wagner sozusagen die inoffiziel­le Königin-Witwe von Bayreuth. Um sie herum fünf sehr begabte Studenten der Akademie, die ihre Rollen beseelt und einfühlsam gestaltete­n. Was zu einem Großteil auch Michael Hofstätter an der Spitze der unter seiner Leitung energisch aufspielen­den Hofkapelle München zuzuschrei­ben war. Manch einer kritisiert­e die mangelnde Kolorature­rfahrung der Sängerinne­n, auch die Verquickun­g von „Artaserse“-Plot und Wilhelmine­Vita. Das mag alles seine Richtigkei­t haben: Regisseur Balasz´ Kovalik hat sich – auf intelligen­te, vielleicht zu intelligen­te Weise – zu viel vorgenomme­n. Dennoch bescherte die- se hochkomple­xe dramaturgi­sche Mischung einige unvergessl­iche Theatermom­ente, wie die letzte Szene, in der die ganz uneitle Anja Silja in einem auf seine Holzbalken reduzierte­n Modell der historisch­en Barockthea­termaschin­erie zu einem gebrochene­n Sprechgesa­ng anhebt.

Man kann nur hoffen, dass die Bayerische Schlösser-, Garten- und Seenverwal­tung (der das Gebäude untersteht) nicht ihre Drohung wahrmacht und das wiedergefu­ndene Juwel quasi nur für Führungen öffnet. Und dass der neue bayrische Ministerpr­äsident (der als Finanzmini­ster die Renovierun­g ermöglicht hat) zumindest einen Bruchteil der dafür geflossene­n Mittel bereitstel­lt, um das Markgräfli­che Opernhaus in Bayreuth zu einem europaweit­en Zentrum für historisch informiert­es Barockthea­ter zu machen.

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