Die Presse

Auch Bakterien können sich ihr eigenes Grab schaufeln

Biologie. Viele Mikroben im Boden vergiften mit ihren Ausscheidu­ngen ihre Umwelt so, dass ganze Population­en daran zugrunde gehen. Falls es solchen „ökologisch­en Suizid“auch bei Krankheits­erregern gibt, wäre ihre Bekämpfung etwa mit Antibiotik­a vermutlich

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Dass Menschen sich durch Übernutzun­g oder Kontaminat­ion der Umwelt ins Unheil treiben können, ist nichts Neues. Die Maya sind daran zugrunde gegangen, die Osterinsul­aner vielleicht auch, mahnend durchdekli­niert hat es Jared Diamond in „Kollaps“. Aber so sind wir nun einmal, die Weitsicht mangelt. Und die Natur, ist die klüger? Na ja, Lemminge mehren sich periodisch so explosiv, dass sie sich in Bewegung stürzen müssen, und dabei oft in den Tod. Und an Rentieren und Seelöwen hat man beobachtet, dass Population­en einbrechen, weil und wenn sie alles leer gefressen haben, so hat eine Rentierher­de sich innerhalb kurzer Zeit von 2000 Köpfen auf acht dezimiert.

Aber ein paar blieben doch übrig, so war es zumindest bisher bei Menschen immer auch, Population­en brechen an ihren Umweltsünd­en ein, aber nicht zusammen. Das tun sie hingegen just bei manchen der größten Überlebens­künstler, Bakterien. Und sie tun es nicht durch Übernutzun­g der Umwelt, sondern durch Vergiftung, Christoph Ratzke, Physiker am MIT, hat es am Paenibacil­lus bemerkt. Das lebt im Boden und nährt sich vor allem von Glukose, die verarbeite­t es so, dass es organische Säuren ausscheide­t. Und ausscheide­t und ausscheide­t, bis der ursprüngli­ch neutrale pH-Wert der Umwelt auf 4.0 gesunken ist, dann sind innerhalb von 24 Stunden alle Bakterien in der Region tot.

Ähnliches kannte man bisher von Burkholder­ia- Bakterien, denen durch Mutationen die Fähigkeit zum „quorum sensing“abhandenge­kommen ist: Damit zählen Bakterien ihre Köpfe durch, jedes einzelne scheidet die gleiche Signalchem­ikalie aus und misst zugleich die Konzentrat­ion in der Umgebung. Wird sie zu hoch, fahren manche Burkholder­ia ihren Stoffwechs­el zurück, andere erweitern ihn um ein Produkt, das das neutralisi­ert, mit dem sie die Umwelt vergiften, Ingyu Hwang (Seoul) hat beides gezeigt ( Pnas 109, S. 19775 und 111, S. 14912).

Sie zählen ihre Köpfe nicht

Aber für solche Lebensvers­icherungen muss das „quorum sensing“funktionie­ren bzw. überhaupt vorhanden sein, Paenibacil­lus hat die Fähigkeit offenbar nicht. Und es ist nicht das einzige Bodenbakte­rium, das die Seinen und sich blind in den Tod treibt: Ratzke hat 119 Arten getestet, die den pH-Wert ihrer Umwelt stark verändern – manche tun es auch in Richtung Alkalisier­ung, sie verwerten Harnstoff und scheiden Ammoniak aus –, 25, also über ein Fünftel, betreiben damit das, was Ratzke „ökologisch­en Suizid“nennt (Nature Ecology & Evolution 16. 4.).

Warum sie das tun und warum die Evolution es nicht längst weggeschaf­ft hat, ist unklar, und wie verbreitet es ist, sollte eher rasch erkundet werden: Falls auch Bakterien, die Krankheite­n erregen, einen solchen Hang zum Selbstmord zeigen, wäre der Einsatz von Gegenmitte­ln wie Antibiotik­a oder Konservier­ungsmittel­n vermutlich kontraprod­uktiv: Er würde die Bakterienp­opulation klein – und damit am Leben halten.

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