„Klientelismus und Gehirnwäsche“
EU/Polen. Wirtschaftsreformer Leszek Balcerowicz glaubt an die Widerstandskraft der polnischen Zivilgesellschaft und kritisiert die Untätigkeit der EU gegenüber Viktor Orb´an als „skandalös“.
Oxford University Press 400 Seiten Die Presse: Wie erklären Sie sich den Erfolg der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS)? Leszek Balcerowicz: Das ist eine Frage mit zwei Teilen. Erstens: Wie kann es dazu kommen, dass eine derartige Partei an die Macht kommt? Und zweitens: Wie lang – und warum – kann sie sich an der Macht halten?
Fangen wir also mit dem ersten Teil an. Dass die Regierung schalten und walten kann, wie sie will, hat auch mit dem Zufall zu tun. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der knappe Sieg des PiS-Präsidentschaftskandidaten Andrzej Duda gegen den amtierenden Staatschef, Bronisław Komorowski, im Sommer 2015 wäre unwahrscheinlicher gewesen, hätte der Amtsinhaber eine bessere Kampagne geführt. Dudas Sieg wiederum hat PiS die Möglichkeit eröffnet, verfassungswidrige Gesetze zu beschließen, ohne das Veto des Präsidenten fürchten zu müssen. All das hätte nicht sein müssen. Wir sollten uns also vor simplen Antworten auf die Frage hüten, warum in Polen und Ungarn illiberale Gruppierungen an der Macht sind.
Und wie steht es nun um den Machterhalt? PiS ist während eines Wirtschaftsbooms an die Macht gekommen und profitiert von den günstigen Rahmenbedingungen in Europa. Dadurch wird der Schaden, den die Regierung anrichtet, kaschiert. Deshalb sind seine Zustimmungsraten in der polnischen Bevölkerung nach wie vor stabil.
Der Erfolg von PiS lässt sich aber nicht ausschließlich durch gute Konjunktur erklären. Nein, es gibt drei weitere Zutaten. Erstens der Klientelismus: Man bewirft die eigene Wählerschaft mit Staatsgeld und schafft Posten in den staatlichen und staatsnahen Institutionen für Parteifreunde. Zweitens die Gehirnwäsche: PiS setzt Staatsmedien ein, um ihre Widersacher zu diskreditieren. Was der sogenannte öffentlich-rechtliche Rundfunk anstellt, übertrifft die schlimmste kommunistische Propaganda. Und drittens die Einschüchterung Andersdenkender: Sie gibt es bis dato nur in Ansätzen. Doch die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit gibt PiS die theoretische Möglichkeit, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Geheimdienste auf politische Konkurrenten zu hetzen.
Kann das gelingen? Zumindest in Richterkreisen gibt es massiven Protest gegen die Politisierung der Jurisdiktion. Ich glaube, dass PiS das Maximum der Machtfülle erreicht hat und von der totalen Übernahme des Staates abgehalten werden kann. Dafür spricht die Stärke der polnischen Zivilgesellschaft.
Was kann die Zivilgesellschaft konkret tun? Vor allem gilt es zu verhindern, dass die Regierungspartei die potenziellen Einschüchterungsressorts (Innen-, Justiz- und Verteidi- gungsministerium, Anm.) unter ihre Kontrolle bringt und umkrempelt. Das ist zunächst einmal die Aufgabe der polnischen Bürger. Allerdings wäre ich erstaunt, würde die EU die Entwicklungen in Polen und Ungarn weiterhin hinnehmen. Die Gelassenheit der Union und der Europäischen Volkspartei (der auch die ÖVP angehört, Anm.) gegenüber Viktor Orban,´ die in den vergangenen Jahren an den Tag gelegt wurde, halte ich für skandalös.
Die Möglichkeiten der EU, korrigierend einzugreifen, sind allerdings beschränkt. Brüssel kann den Polen die Arbeit nicht abnehmen, PiS in die Schranken zu weisen. Das ist und bleibt die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Aber die EU kann es nicht auf sich sitzen lassen, dass man ihre Grundwerte und Verträge missachtet. Warum sollte sich in der Zukunft irgendjemand noch an europäische Gesetze halten, wenn sich die Union in Polen nobel zurückhält, anstatt das Unionsrecht durchzusetzen. Die EU sollte nicht um Polens willen einschreiten, sondern im eigenen Interesse.
Das ändert aber nichts daran, dass der EU wirksame Instrumente fehlen. Die Wirkung des Artikel-7-Rechtsstaatlichkeitsverfahrens, das die EU-Kommission gegen Polen eingeleitet hat, ist in der Tat beschränkt. In der Causa Polen ist der Weg über den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erfolgversprechender. Der EuGH kann und muss mit Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat befasst werden. hat als Finanzminister, Vizepremier und Notenbank-Chef den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gestaltet und gilt als Vater des polnischen Wirtschaftswunders. Er unterrichtet an der WU Warschau und leitet den Thinktank FOR.