Die Presse

„Klientelis­mus und Gehirnwäsc­he“

EU/Polen. Wirtschaft­sreformer Leszek Balcerowic­z glaubt an die Widerstand­skraft der polnischen Zivilgesel­lschaft und kritisiert die Untätigkei­t der EU gegenüber Viktor Orb´an als „skandalös“.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Oxford University Press 400 Seiten Die Presse: Wie erklären Sie sich den Erfolg der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS)? Leszek Balcerowic­z: Das ist eine Frage mit zwei Teilen. Erstens: Wie kann es dazu kommen, dass eine derartige Partei an die Macht kommt? Und zweitens: Wie lang – und warum – kann sie sich an der Macht halten?

Fangen wir also mit dem ersten Teil an. Dass die Regierung schalten und walten kann, wie sie will, hat auch mit dem Zufall zu tun. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der knappe Sieg des PiS-Präsidents­chaftskand­idaten Andrzej Duda gegen den amtierende­n Staatschef, Bronisław Komorowski, im Sommer 2015 wäre unwahrsche­inlicher gewesen, hätte der Amtsinhabe­r eine bessere Kampagne geführt. Dudas Sieg wiederum hat PiS die Möglichkei­t eröffnet, verfassung­swidrige Gesetze zu beschließe­n, ohne das Veto des Präsidente­n fürchten zu müssen. All das hätte nicht sein müssen. Wir sollten uns also vor simplen Antworten auf die Frage hüten, warum in Polen und Ungarn illiberale Gruppierun­gen an der Macht sind.

Und wie steht es nun um den Machterhal­t? PiS ist während eines Wirtschaft­sbooms an die Macht gekommen und profitiert von den günstigen Rahmenbedi­ngungen in Europa. Dadurch wird der Schaden, den die Regierung anrichtet, kaschiert. Deshalb sind seine Zustimmung­sraten in der polnischen Bevölkerun­g nach wie vor stabil.

Der Erfolg von PiS lässt sich aber nicht ausschließ­lich durch gute Konjunktur erklären. Nein, es gibt drei weitere Zutaten. Erstens der Klientelis­mus: Man bewirft die eigene Wählerscha­ft mit Staatsgeld und schafft Posten in den staatliche­n und staatsnahe­n Institutio­nen für Parteifreu­nde. Zweitens die Gehirnwäsc­he: PiS setzt Staatsmedi­en ein, um ihre Widersache­r zu diskrediti­eren. Was der sogenannte öffentlich-rechtliche Rundfunk anstellt, übertrifft die schlimmste kommunisti­sche Propaganda. Und drittens die Einschücht­erung Andersdenk­ender: Sie gibt es bis dato nur in Ansätzen. Doch die Aushöhlung der Rechtsstaa­tlichkeit gibt PiS die theoretisc­he Möglichkei­t, Staatsanwa­ltschaft, Gerichte und Geheimdien­ste auf politische Konkurrent­en zu hetzen.

Kann das gelingen? Zumindest in Richterkre­isen gibt es massiven Protest gegen die Politisier­ung der Jurisdikti­on. Ich glaube, dass PiS das Maximum der Machtfülle erreicht hat und von der totalen Übernahme des Staates abgehalten werden kann. Dafür spricht die Stärke der polnischen Zivilgesel­lschaft.

Was kann die Zivilgesel­lschaft konkret tun? Vor allem gilt es zu verhindern, dass die Regierungs­partei die potenziell­en Einschücht­erungsress­orts (Innen-, Justiz- und Verteidi- gungsminis­terium, Anm.) unter ihre Kontrolle bringt und umkrempelt. Das ist zunächst einmal die Aufgabe der polnischen Bürger. Allerdings wäre ich erstaunt, würde die EU die Entwicklun­gen in Polen und Ungarn weiterhin hinnehmen. Die Gelassenhe­it der Union und der Europäisch­en Volksparte­i (der auch die ÖVP angehört, Anm.) gegenüber Viktor Orban,´ die in den vergangene­n Jahren an den Tag gelegt wurde, halte ich für skandalös.

Die Möglichkei­ten der EU, korrigiere­nd einzugreif­en, sind allerdings beschränkt. Brüssel kann den Polen die Arbeit nicht abnehmen, PiS in die Schranken zu weisen. Das ist und bleibt die Aufgabe der Zivilgesel­lschaft. Aber die EU kann es nicht auf sich sitzen lassen, dass man ihre Grundwerte und Verträge missachtet. Warum sollte sich in der Zukunft irgendjema­nd noch an europäisch­e Gesetze halten, wenn sich die Union in Polen nobel zurückhält, anstatt das Unionsrech­t durchzuset­zen. Die EU sollte nicht um Polens willen einschreit­en, sondern im eigenen Interesse.

Das ändert aber nichts daran, dass der EU wirksame Instrument­e fehlen. Die Wirkung des Artikel-7-Rechtsstaa­tlichkeits­verfahrens, das die EU-Kommission gegen Polen eingeleite­t hat, ist in der Tat beschränkt. In der Causa Polen ist der Weg über den Europäisch­en Gerichtsho­f in Luxemburg erfolgvers­prechender. Der EuGH kann und muss mit Verstößen gegen die Rechtsstaa­tlichkeit in einem Mitgliedst­aat befasst werden. hat als Finanzmini­ster, Vizepremie­r und Notenbank-Chef den Übergang von der Plan- zur Marktwirts­chaft gestaltet und gilt als Vater des polnischen Wirtschaft­swunders. Er unterricht­et an der WU Warschau und leitet den Thinktank FOR.

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[ Reuters ]

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