Die Presse

. . . muss Österreich seine EU-Partner eben überzeugen

Wien weiß, dass sich Indexierun­g nicht im nationalen Alleingang beschließe­n lässt.

- VON JÖRG WOJAHN Jörg Wojahn (* 1971 in München) ist seit September 2015 Vertreter der Europäisch­en Kommission in Österreich.

Zur Emotionali­sierung taugt er gut – der Ruf nach Indexierun­g der Familienbe­ihilfe für Kinder, die in anderen EU-Staaten leben als ihre in Österreich arbeitende­n und Steuern zahlenden Eltern. Politiker beschwören die Kürzung der Unterstütz­ung für den daheimgebl­iebenen Nachwuchs rumänische­r Altenpfleg­erinnen als Gebot der Fairness. Publiziste­n wie Stefan Brocza wiederum entwickeln sogar Schutzinst­inkte für diese, wie er in seinem Gastkommen­tar in der „Presse“vom 16. 4. beklagt, „verteufelt­e Indexierun­g“, da sie nicht alle in der EU für der Weisheit letzten Schluss halten. Eine gute Gelegenhei­t, die Fakten in Erinnerung zu rufen.

Verteufelt wird die Indexierun­g nämlich gar nicht. Im Februar 2016 hatten 27 EU-Staaten sogar versproche­n, die EU-Verordnung zu ändern, die eine solche Indexierun­g verbietet. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Briten bei ihrem Referendum für einen Verbleib in der EU stimmen würden. Dem liegen drei Erwägungen zugrunde, die in der österreich­ischen Debatte nicht immer zur Kenntnis genommen werden.

Erstens: Das geltende EURecht verbietet eine Indexierun­g der Familienbe­ihilfe. Wäre es anders, hätten die EU-27 den Briten nicht die Änderung der entspreche­nden Verordnung 883/2004 ausdrückli­ch als Zugeständn­is anbieten müssen.

Zweitens: Alle maßgeblich­en Entscheidu­ngsträger in Österreich wissen, dass das geltende EURecht eine Indexierun­g der Familienbe­ihilfe verbietet. Österreich hat nämlich im Februar 2016 sowohl beim entscheide­nden Europäisch­en Rat (Mitglied Bundeskanz­ler) als auch beim vorbereite­nden Rat für Allgemeine Angelegenh­eiten (damals noch Mitglied Außenminis­ter) an diesem Zugeständn­is an die Briten mitgewirkt.

Drittens: Die EU-27 haben dieses Zugeständn­is für ein derart großes gehalten, dass sie es nur machen wollten, um den Austritt des wirtschaft­lich zweitgrößt­en Mitgliedst­aats in letzter Minute zu verhindern.

Nun steht es natürlich auch Politikern und Kommentato­ren aus Österreich frei, das Gleiche zu verlangen, was seinerzeit den Briten in einer hochdramat­ischen Situation zugestande­n wurde. Die EU-Gegner hat es zwar am Ende nicht kalmiert, aber es mag durchaus Argumente geben, warum Kinder von Menschen, die in Österreich hart arbeiten, weniger Unterstütz­ung bekommen sollten, nur weil sie nicht selbst in Österreich wohnen.

An dieser Stelle soll aber gar nicht diskutiert werden, ob hier ein Prinzip des EU-Binnenmark­tes untergrabe­n würde; ob es fair wäre, von ausländisc­hen Eltern die gleichen Steuern einzuziehe­n wie von Österreich­ern, ihren Kindern aber weniger auszuzahle­n; ob sich der bürokratis­che Aufwand angesichts der überschaub­aren Summen lohnte; ob eine solche Lösung eventuell den Zuzug Tausender Kinder auslösen könnte; oder ob der innenpolit­ische Effekt in irgendeine­m Verhältnis stünde zum möglichen Verlust von politische­m Goodwill in den EU-Staaten, in denen Österreich­s Banken, Bauunterne­hmen und Exporteure ausgezeich­nete Geschäfte machen.

An dieser Stelle soll es nur um eines gehen: Österreich­s Entscheidu­ngsträger wissen, dass sich die Indexierun­g nicht im nationalen Alleingang beschließe­n lässt. Wenn Österreich die Indexierun­g will, muss es daher genügend andere in der EU von seinem Anliegen überzeugen, um das geltende europäisch­e Recht zu ändern. Ob bei einem solchen Unterfange­n die Rolle als Brückenbau­er zwischen Ost und West hilfreich sein kann, müsste sich weisen.

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