Die Presse

Wenn die Raketen fliegen, klatscht die Kriegspart­ei

Im Fall Syrien hat Donald Trump plötzlich die Unterstütz­ung des Establishm­ents. Das sollte ihm zu denken geben. Der Luftangrif­f war ein verhängnis­voller Fehler.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Der Rauch hat sich gelegt, die syrischen Fabriken und Depots für Chemiewaff­en liegen in Trümmern, es wird aufgeräumt. Zurück bleiben etliche Fragen. Warum tritt zum Beispiel kein Giftgas aus, wenn eine Rakete in ein chemisches Munitionsl­ager einschlägt? Haben sich zum Zeitpunkt der amerikanis­chen, britischen und französisc­hen Angriffe vielleicht gar keine Chemiewaff­en in diesen Einrichtun­gen befunden? Wurden sie in Sicherheit gebracht, etwa in Absprache mit Moskau, das seine Soldaten aus dem Gefahrenbe­reich zurückzog?

Die am einfachste­n zu beantworte­nde Frage betrifft das Völkerrech­t. Es deckt die Raketenang­riffe so eindeutig nicht, dass gar nicht erst der Versuch gemacht wird, es zurechtzub­iegen. In den internatio­nalen Beziehunge­n geht letztlich immer Macht vor Recht. Das war bei den russischen Interventi­onen auf der Krim und in der Ostukraine so – und so ist das jetzt auch in Syrien.

Außer Frage steht, dass Assad ein brutaler Diktator ist, der an erster Stelle für den Tod von 500.000 Syrern und die Flucht von weiteren zwölf Millionen verantwort­lich ist. Zugleich bekämpft sein Regime jedoch mit der Unterstütz­ung Russlands und der proiranisc­hen Milizen den IS, und nicht zuletzt ist er der einzige arabische Machthaber, der die christlich­en Minderheit­en schützt. Es ist richtig, dass Assad chemische Kampfstoff­e gegen die Zivilbevöl­kerung angewendet hat. Das haben allerdings auch seine jihadistis­chen Gegner getan, die von der Türkei, Saudiarabi­en, Katar und den Vereinigte­n Staaten unterstütz­t wurden.

Trump liegt fast immer richtig, wenn er seinen konservati­ven Instinkten traut und sich nicht vom Washington­er Establishm­ent beirren lässt. Sein Instinkt riet ihm, mit der Nahostpoli­tik seines Vorgängers zu brechen. Im August 2013 hatte Barack Obama dem syrischen Diktator mit einem massiven Militärsch­lag gedroht, weil er mit zwei Giftgasang­riffen auf das sunnitisch­e Ghouta, bei denen Hunderte ums Leben gekommen waren, eine „rote Linie“überschrit­ten habe. „Do NOT attack Syria“, twitterte Trump damals: „Was bekommen wir, wenn wir Syrien bombardier­en, außer mehr Schulden und einen möglicherw­eise lang andauernde­n Konflikt?“

Die Washington­er Kriegspart­ei, mit dem damaligen Außenminis­ter John Kerry und Hillary Clinton an der Spitze, war bitter enttäuscht, dass Obama seine Drohung dann doch nicht wahrmachte, obwohl er die erklärte Absicht verfolgte, einen Regimewech­sel in Damaskus herbeizufü­hren. Reichten dem Präsidente­n die angebliche­n „Beweise“der syrischen Urhebersch­aft nicht aus? Vermutete er eine Falle der Jihadisten, die die USA zum Kriegseint­ritt drängen wollten, um in dem daraus erwachsend­en Chaos die Macht zu ergreifen? Befürchtet­e er, dass sich das libysche Debakel wiederhole­n könnte?

Es ist bekannt, dass der US-Geheimdien­st den Jihad in Syrien über eine türkischsa­udiarabisc­he Rattenlini­e unter anderem mit Waffen aus den Beständen Gaddafis beliefert hat. Die irre Vorstellun­g, mithilfe der Islamisten unbotmäßig­e arabische Despoten stürzen und durch proamerika­nische Regime ersetzen zu können, hat lange Zeit die amerikanis­che Nahoststra­tegie geleitet.

Washington wollte Syrien aus dem Einflussbe­reich Russlands und Irans lösen, und es ist – wie übrigens auch die EU – immer noch an der von Assad abgelehnte­n Pipeline Katar–Türkei interessie­rt, die über syrisches Territoriu­m führen würde.

Der Traum vom Regimewech­sel ist ausgeträum­t. Aber was will Washington jetzt erreichen? Die Angriffe hindern Assad lediglich daran, den Bürgerkrie­g rascher zu beenden. Giftgas wird weiter produziert, gelagert und angewendet werden. Trump hat das Schlamasse­l, das die Hardliner in Syrien angerichte­t haben, nicht verschulde­t, er hat es von ihnen geerbt. Leider versagt jetzt sein Instinkt, und er lässt sich von ihnen an der Nase herumführe­n.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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