Wenn die Raketen fliegen, klatscht die Kriegspartei
Im Fall Syrien hat Donald Trump plötzlich die Unterstützung des Establishments. Das sollte ihm zu denken geben. Der Luftangriff war ein verhängnisvoller Fehler.
Der Rauch hat sich gelegt, die syrischen Fabriken und Depots für Chemiewaffen liegen in Trümmern, es wird aufgeräumt. Zurück bleiben etliche Fragen. Warum tritt zum Beispiel kein Giftgas aus, wenn eine Rakete in ein chemisches Munitionslager einschlägt? Haben sich zum Zeitpunkt der amerikanischen, britischen und französischen Angriffe vielleicht gar keine Chemiewaffen in diesen Einrichtungen befunden? Wurden sie in Sicherheit gebracht, etwa in Absprache mit Moskau, das seine Soldaten aus dem Gefahrenbereich zurückzog?
Die am einfachsten zu beantwortende Frage betrifft das Völkerrecht. Es deckt die Raketenangriffe so eindeutig nicht, dass gar nicht erst der Versuch gemacht wird, es zurechtzubiegen. In den internationalen Beziehungen geht letztlich immer Macht vor Recht. Das war bei den russischen Interventionen auf der Krim und in der Ostukraine so – und so ist das jetzt auch in Syrien.
Außer Frage steht, dass Assad ein brutaler Diktator ist, der an erster Stelle für den Tod von 500.000 Syrern und die Flucht von weiteren zwölf Millionen verantwortlich ist. Zugleich bekämpft sein Regime jedoch mit der Unterstützung Russlands und der proiranischen Milizen den IS, und nicht zuletzt ist er der einzige arabische Machthaber, der die christlichen Minderheiten schützt. Es ist richtig, dass Assad chemische Kampfstoffe gegen die Zivilbevölkerung angewendet hat. Das haben allerdings auch seine jihadistischen Gegner getan, die von der Türkei, Saudiarabien, Katar und den Vereinigten Staaten unterstützt wurden.
Trump liegt fast immer richtig, wenn er seinen konservativen Instinkten traut und sich nicht vom Washingtoner Establishment beirren lässt. Sein Instinkt riet ihm, mit der Nahostpolitik seines Vorgängers zu brechen. Im August 2013 hatte Barack Obama dem syrischen Diktator mit einem massiven Militärschlag gedroht, weil er mit zwei Giftgasangriffen auf das sunnitische Ghouta, bei denen Hunderte ums Leben gekommen waren, eine „rote Linie“überschritten habe. „Do NOT attack Syria“, twitterte Trump damals: „Was bekommen wir, wenn wir Syrien bombardieren, außer mehr Schulden und einen möglicherweise lang andauernden Konflikt?“
Die Washingtoner Kriegspartei, mit dem damaligen Außenminister John Kerry und Hillary Clinton an der Spitze, war bitter enttäuscht, dass Obama seine Drohung dann doch nicht wahrmachte, obwohl er die erklärte Absicht verfolgte, einen Regimewechsel in Damaskus herbeizuführen. Reichten dem Präsidenten die angeblichen „Beweise“der syrischen Urheberschaft nicht aus? Vermutete er eine Falle der Jihadisten, die die USA zum Kriegseintritt drängen wollten, um in dem daraus erwachsenden Chaos die Macht zu ergreifen? Befürchtete er, dass sich das libysche Debakel wiederholen könnte?
Es ist bekannt, dass der US-Geheimdienst den Jihad in Syrien über eine türkischsaudiarabische Rattenlinie unter anderem mit Waffen aus den Beständen Gaddafis beliefert hat. Die irre Vorstellung, mithilfe der Islamisten unbotmäßige arabische Despoten stürzen und durch proamerikanische Regime ersetzen zu können, hat lange Zeit die amerikanische Nahoststrategie geleitet.
Washington wollte Syrien aus dem Einflussbereich Russlands und Irans lösen, und es ist – wie übrigens auch die EU – immer noch an der von Assad abgelehnten Pipeline Katar–Türkei interessiert, die über syrisches Territorium führen würde.
Der Traum vom Regimewechsel ist ausgeträumt. Aber was will Washington jetzt erreichen? Die Angriffe hindern Assad lediglich daran, den Bürgerkrieg rascher zu beenden. Giftgas wird weiter produziert, gelagert und angewendet werden. Trump hat das Schlamassel, das die Hardliner in Syrien angerichtet haben, nicht verschuldet, er hat es von ihnen geerbt. Leider versagt jetzt sein Instinkt, und er lässt sich von ihnen an der Nase herumführen.