Profiteure der Krise um das Palmöl
Handel. Seit Palmöl im Verdacht steht, krebserregend zu sein, verschwindet es aus Supermärkten. Lebensmittelhersteller fühlen sich ins Eck gedrängt. Von der Angst der Kunden profitieren andere.
Lebensmittelhersteller fühlen sich ins Eck gedrängt; von der Angst der Kunden profitieren andere.
Wien. Zuerst war nur der Orang-Utan betroffen. Umweltschützer begannen vor Jahren, gegen die kilometerweiten Palmölplantagen in Indonesien und Malaysia zu demonstrieren, die seinen Lebensraum bedrohen.
Heute bangen die Konsumenten eher um sich als um den Affen. Besonders seit im Herbst über Nacht Produkte von Erdbeerschokolade bis Margarine aus den Regalen der großen Ketten Spar und Rewe (Billa, Merkur, Adeg) verschwanden. Greenpeace hatte Alarm geschlagen: Tests würden hohe Konzentrationen von gefährlichen, wahrscheinlich krebserregenden Schadstoffen in den palmölhaltigen Produkten zeigen. Kinder würden nach zwei Stückchen der Erdbeerschokolade zu viel davon zu sich nehmen. Wenig später standen die Artikel wieder im Regal. Die Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) hatte nachgeprüft und entwarnt. Die Verstimmung in der Lebensmittelbranche blieb groß. Das diffuse Unbehagen, das sich seit einer EU-Studie zur Krebsgefahr bei Palmöl 2016 aufgebaut hat, will nicht mehr verschwinden. „Hier wird ein Rohstoff verteufelt, der es nicht verdient hat“, sagt Katharina Koßdorff.
Sie ist die Geschäftsführerin der Lebensmittelhersteller in der WKO. „Der Vorwurf der Gesundheitsschädlichkeit geht ins Leere. So, wie es auf den Markt kommt, ist Palmöl sicher.“Sie stützt sich wie Greenpeace auf die Funde der Lebensmittelhüter Österreichs und der EU – allerdings mit anderem Ergebnis: Die Menge der umstrittenen Fettsäure-Ester, die bei der Raffinierung der Öle entstehen und potenziell krebserregend sind, sei dank neuer Verarbeitungstechniken deutlich gesunken. Österreichs Industrie bleibe außerdem weit unter den festgelegten Grenzwerten. „Aber viele Vereine verdienen ihren Lebensunterhalt mit den Ängsten der Menschen rund um Lebensmittel – egal, ob Fett, Zucker oder Palmöl.“
Doch wie viele Artikel im Supermarkt enthalten das umstrittene Öl? Landläufig wird von jedem zweiten gesprochen. Schließlich bietet sich Palmöl, das im Anbau rekordverdächtig billig ist, aufgrund der langen Haltbarkeit, Textur und Geschmacksneutralität für Chips, Tiefkühlpizza, Fertigsuppen und Schokolade, Reinigungsmittel oder Kosmetika an. Hersteller wie NutellaErfinder Ferrero verteidigen es daher auch vehement. Tatsächlich wissen in Österreich nicht einmal Experten die genaue Zahl der Produkte mit Palmöl.
Eines ist aber sicher: Sie sinkt. Die Supermärkte reagieren auf die Kundenangst. Die Umstellung läuft seit Herbst noch etwas schneller. Alle betonen aber, lang vor dem Greenpeace-Aufreger der Umwelt zuliebe umgedacht zu haben. Die zweitgrößte Kette, Spar, prescht voran. Sie will bis Jahresende bei allen Eigenmarken auf Palmöl verzichten. Keine kleine Ansage: Chef Gerhard Drexel brüstet sich, gut 40 Prozent vom Geschäft mit Eigenmarken zu machen. Hofer und Rewe trennen sich vorerst nur bei Biolinien vom verrufenen Öl, betonen aber, auch sonst an Alternativen zu basteln und nur nachhaltig angebautes Palmöl zuzulassen.
Mit dem Umstieg wird kräftig geworben. Schaut man ins Supermarktregal, machen selbst entworfene Logos deutlich, dass neben Fett, Zucker oder Laktose auch auf Palmöl verzichtet wurde. „Das ist dann die Werbestrategie eines Unternehmens“, sagt Ages-Expertin Ingrid Kiefer knapp. Ihr solle das recht sein. Je weniger die Österreicher von den Estern konsumieren, umso besser. Mögliche Gesundheitsbedenken der EUWächter – vor allem bei Kleinkindern und Menschen mit Hang zu Fertiggerichten – seien berechtigt.
Eigenmarken machen Druck
Koßdorff sieht ihre Branche in die Enge getrieben. Spar, Rewe und Hofer teilen sich gut 85 Prozent des Markts. „Sobald da zwei reagieren, entsteht der Eindruck, dass das die allgemeine Meinung ist.“Man sollte denken, dass lässt Österreichs Hersteller, die ohnehin Nachhaltigkeit und schonende Verfahrenstechniken betonen, kalt.
Für Druck sorge aber der hohe Eigenmarkenanteil ihrer Abnehmer. Im Schnitt liegt er bei 30 Prozent, Spar sticht mit gut 40 Prozent hervor. „Hier haben wir Zugriff auf die Rezepte“, sagt Sprecherin Nicole Berkmann. Spar-Chef Drexel nennt das seinen „Unabhängigkeitsindex“. Seine Hersteller sehen das naturgemäß anders.
Der Wirbel um Palmöl schaffte es in die Politik – 2016 in den Nationalrat, 2017 ins türkis-blaue Regierungsprogramm. Beide Male wurde vage eine Reduktion gefordert. Den Vorschlag der Abgeordneten, stärker auf heimische Butter zu setzen, befolgen die Handelsketten längst. Der Rekordpreis von 2,39 Euro pro 250 Gramm im Herbst korrelierte mit dem angeknacksten Ruf der asiatischen Konkurrenz. Dass Ernährungsexperten auch vor kanzerogenen Stoffen in anderen tierischen und pflanzlichen Fetten warnen, schadete nicht.
Die EU-Parlamentarier haben Palmöl jedenfalls schon verbannt – jedoch aus Biosprit. Im Jänner beschlossen sie, dass es der Umwelt zuliebe ab 2021 nicht mehr in die Tanks darf. Von den mehr als sieben Millionen Tonnen Palmöl, die jährlich in die EU eingeführt werden, wird die Hälfte vertankt. Koßdorff begrüßt die Entscheidung – hier würden die richtigen Akzente gesetzt. Fakt ist aber auch: Ein weiteres Drittel des Öls geht in Lebensmittel. Und da zählt die Angst um die Gesundheit mindestens so viel wie die um den Orang-Utan.