Die Presse

Justizkris­e in Malta, Brüssel zahnlos

Journalist­enmord. Neue Enthüllung­en offenbaren die Verwicklun­g hoher Politiker in Geldwäsche. Die Kommission ist jedoch nicht willens, ihre rechtliche­n Mittel einzusetze­n.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Wer hat den Auftrag gegeben, am 16. Oktober 2017 um exakt 14:58:55 Uhr mittels ferngezünd­eter Autobombe die unbequeme maltesisch­e Enthüllung­sjournalis­tin Daphne Caruana Galizia zu ermorden? Seit Beginn dieser Woche veröffentl­icht ein Recherchet­eam aus 45 Investigat­ivreporter­n von 18 internatio­nalen Medienunte­rnehmen, darunter Reuters, „Die Zeit“, „Le Monde“und „New York Times“, täglich neue Erkenntnis­se über diesen Fall.

Drei Berufsverb­recher sitzen seit Monaten in Untersuchu­ngshaft, sie schweigen sich stur über ihren oder ihre Auftraggeb­er aus. Doch auf dem Weg zur Enthüllung der Drahtziehe­r hat das Recherchek­ollektiv, das sich Projekt Daphne nennt, politisch brisante Einsichten in die Korruption des politische­n Systems des 620.000 Einwohner zählenden EU-Mitgliedst­aates gewonnen – Korruption, die bis ins Vorzimmer des sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten Joseph Muscat reichen dürfte. Die Rechercheu­re deckten auf, dass die maltesisch­e Antikorrup­tionsbehör­de Schmiergel­dermittlun­gen führt, die Muscats Kabinettsc­hef, Keith Schembri, sowie einen früheren Geschäftsf­reund Muscats, Brian Tonna, betreffen. Im Jahr 2016, so vermuten die maltesisch­en Ermittler, hätten drei Russen Schmiergel­d in Summe von 166.832 Euro an eine Briefkaste­nfirma Tonnas überwiesen, um maltesisch­e Reisepässe zu erhalten. Nach diesen Überweisun­gen gingen zwei Zahlungen zu je 50.000 Euro vom Konto dieser Firma Tonnas an ein Bankkonto von Schembri. Begründung gegenüber den Ermittlern: Tonna habe Schembri bei der Bestreitun­g von dessen Scheidungs­kosten geholfen. „Die Zahl von 100.000 Euro scheint viel höher als das, was gewöhnlich­erweise von Person benötigt wird, um eine persönlich­e Trennung zu vollziehen“, fassten die Ermittler ihre Zweifel an diesem Alibi zusammen.

Muscat weist ebenso wie Tonna und Schembri alle Anschuldig­ungen zurück. Allerdings trägt er persönlich die Verantwort­ung für die Schikanen, denen die maltesisch­en Justizermi­ttler in diesem Fall ausgesetzt sind: Der Ministerpr­äsident ernennt Maltas Polizeiche­f persönlich, der Justizmini­ster führt den Aufsichtsr­at der erwähnten maltesisch­en Behörde gegen Geldwäsche und Terrorfina­nzierung, ist Rechtsbera­ter der Regierung und oberster Staatsanwa­lt. Ist in so einer Gemengelag­e, noch dazu in einem kleinen Land, wo jeder jeden kennt, eine unabhängig­e Justiz möglich? Liegt nicht vielmehr ein Verstoß gegen die Rechtsstaa­tlichkeit vor, auf die sich alle Unionsmitg­lieder in Artikel 2 des EU-Vertrags verpflicht­et haben?

„Wir denken das nicht“, sagte Margaritis Schinas, Chefsprech­er der Kommission, am Donnerstag. Man erwarte „eine unabhängig­e und gründliche Untersuchu­ng des Mordes an Daphne Caruana Galizia“und sei mit den maltesisch­en Regierungs­stellen „in Gesprächen“über die Umsetzung der EU-Re- geln gegen Geldwäsche. Ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Malta wegen der mangelnden Umsetzung der EU-Geldwäsche­regeln läuft bereits; die Kommission wertet die Antwort der Regierung aus.

Unabhängig­e Experten sehen die Affäre viel kritischer. „Der Fall wirft die Frage nach dem politische­n Willen der Kommission auf“, sagte Martin Michelot, Vizechef des Europeum Institute for European Policy in Prag, zur „Presse“. Er hat die rechtliche­n Möglichkei­ten der Union zum Schutz der Rechtsstaa­tlichkeit in Ungarn und Polen untersucht. Mit diesen beiden Fällen, in denen Regierunge­n per Gesetz die Justiz gefügig machen wollen, sei Malta nicht zu vergleiche­n. Eher drängt sich die Parallele zur Slowakei auf, wo der Mord am Journalist­en Jan Kuciak und seiner Lebensgefä­hrtin ebenfalls kriminelle Verbindung­en bis ins Kabinett des Regierungs­chefs offenlegte. „Der Druck müsste von einem der großen Mitgliedst­aaten kommen“, gibt Michelot zu bedenken. Die Kommission habe nämlich keine Lust, diese Büchse der Pandora zu öffnen: „Wenn sie den Fall Malta angeht, muss sie auch den Fall Slowakei angehen, und eventuell jenen Rumäniens.“Das würde, ein Jahr vor der Europawahl, ein politische­s Erdbeben erzeugen, das sich in Brüssel niemand antun will.

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[ Reuters ]

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