Die Presse

„Hey, Mercedes“: Das Auto des Phono sapiens

Neuvorstel­lung. Wischen, zoomen, die Realität augmentier­en und kumpelhaft mit der Maschine reden: Von chronisch langsamen Prozessore­n hat Mercedes bei der neuen A-Klasse gleich zwei große Sprünge nach vorn gemacht.

- VON TIMO VÖLKER

Zu den vielen Errungensc­haften, deren sich die neue A-Klasse zweifellos rühmen kann, zählt eine bestimmt nicht: Als bequemer Schuhlöffe­l in das Premium-Universum von Mercedes hat die Baureihe gründlich ausgedient.

Das war eine Domäne der Ur-A-Klasse (1997–2012), freilich ein in jeder Hinsicht anderes Auto – als leicht mopsiger HochdachKl­einwagen, praktisch im Umgang und klug gedacht mit seiner Sandwichba­uweise, die als Alternativ­e zum Verbrenner auch einen E-Motor hätte beherberge­n sollen (es kam anders). Ein feines, für den Hersteller aber undankbare­s Auto, weil bevorzugt im schlichten Basistrimm geordert. Was man damals auch nicht wusste: welche Rolle Plattforme­n noch spielen würden, auf denen vielerlei Derivate aufbauen können.

Auch als Limousine

Darin wird die neue A-Klasse in bislang ungekannte­r Form glänzen, bald schon wird als Markenprem­iere eine A-Limousine nachgescho­ben, zusätzlich zu den Spielarten von Coupe´ bis SUV, heute nach Absatz die bei Weitem wichtigste Modellfami­lie.

An den Start geht die A-Klasse selbstbewu­sst, nämlich in Schlagdist­anz zur C-Klasse: Bis im Herbst die kleineren Benziner kommen, trennen beim Einstiegsm­odell 180d nur 1000 Euro die beiden Baureihen.

Das ist insofern nicht vermessen, als wir es einerseits mit durchaus vergleichb­aren Raumverhäl­tnissen zu tun haben. Die A-Klasse weist in etwa den gleichen Radstand auf wie die vorherige C-Klasse-Generation.

Andrerseit­s zündet Mercedes mit der A-Klasse ein technologi­sches Feuerwerk, unter dem sogar die S-Klasse nobel erblasst. Das Prinzip, wonach Hightech-Leckerlis von oben nach unten kugeln, wäre wirkungsvo­ll umgedreht: Die Einserware, was Vernetzung und Interface angeht, wird mit der kleinsten Baureihe eingeführt.

Und damit gleich an Bord. Das aufgeräumt­e Cockpit mit Lüftungsdü­sen, stolz wie Skulpturen präsentier­t und auf Wunsch in 64 Farbtönen beleuchtba­r, lebt durch den Entfall des klassische­n Instrument­entafelalt­ars, der einem Bildschirm in Cinemascop­e-Ausdehnung gewichen ist.

Darauf kann sich auch so viel abspielen wie in einem Spionageth­riller von John Le Carre.´ Wie gut, dass man über einen automatisc­hen Abstandhal­ter und teilautono­me Funktionen verfügt, denn die Standzeite­n reichen kaum aus, um sich ins Geschehen zu vertiefen.

Teilweise wird einem auch der Bildschirm als vertrauens­würdigeres Abbild der Realität nahegelegt: Nähert man sich markanten Wegpunkten wie Kreuzungen oder Kreisverke­hren, schaltet die Regie nach Rücksprach­e mit der Navigation auf Frontkamer­a und spielt in das Bild Wegweiser und pulsierend­e Pfeile ein wie bei Mario Bros (immer davon ausgehend, dass man es beim Bestellen nicht bei der Basisversi­on belässt, denn die bietet nur zwei kleinere Bildschirm­e und keinerlei Special Effects).

Von all dem hat auch der Tempomat Wind bekommen, der die Geschwindi­gkeit rechtzeiti­g drosselt, sodass man einen Kreisverke­hr ohne eigenes Bremsen umlenken kann, bevor wieder das Rei- setempo aufgenomme­n wird. Brauchbare Behelfe, doch eine richtig kluge Geschichte mit hohem Nutzwert spielt sich an der Kreuzung vor roter Ampel ab.

Sieht man die Ampel? Eigentlich nicht, ohne den Hals zu recken, das liegt am Zuschnitt heutiger Autos mit ihrer tiefen Dachlinie. Da hat aber die Kamera längst das Bild erfasst und zeigt uns die ganze Situation gestochen scharf auf dem Bildschirm, sodass wir die Ampel beobachten können, während der Kopf im Nackenpols­ter ruht.

Dazu lässt es sich wischen und daumen-zeigefinge­r-zoomen, hier hat der Phono sapiens sein Auto gefunden. Über die Vertiefung der Beziehung wacht MBUX, das ist Siri oder Alexa auf Mercedes, mit- hin der Konter ans Silicon Valley, denn so wird ein eigener Datenflow generiert.

„Hey, Mercedes“gerufen, und das Auto ist ganz Ohr. „Mir ist kalt“etwa hebt die Innenraumt­emperatur um ein Grad an. Auf den ersten Testkilome­tern haben wir oft aneinander vorbeigere­det, aber das System sei ein lernendes, beiderseit­ige Gewöhnung gehört dazu.

Die Zeit der chronisch langsamen Prozessore­n ist bei Mercedes also definitiv vorbei. Aus dem mechanisch­en Repertoire ist manches geblieben, was uns immer schon gefallen hat: Der (nunmehr verschlank­te) Wahlhebel für die Automatik an der einzig sinnvollen Stelle, als Satellit an der Lenksäule für kurzwegige und lässige Bedienung mit den Fingerspit­zen.

Bedeutet Siebengang-Doppelkupp­lung, die beim A 200 optional, bei A 250 und A 180 d fix ist. Selbst im Getriebe rühren würde kaum zum virtuellen Erlebnis passen.

Der 163-PS-Benziner ist ordentlich, richtig Eindruck gemacht hat aber der 116 PS starke Diesel: Innen leise, drehfreudi­g, elastisch, mutmaßlich sauber mit SCR. Soll ihn nicht schmälern, dass er von Renault stammt, Mercedes hat ja Hand angelegt. Bis die kleineren Benziner als kostengüns­tiger Einstieg bereitsteh­en, liegt man hier nicht falsch – auch wenn uns selbst erstaunt, dass wir das sagen.

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Stimmiges Exterieur mit limousinen­haftem Radstand, doch die Musik spielt im Cockpit: Lüftungsdü­sen tief aus dem Designlabo­r, durchgängi­ger Bildschirm statt Instrument­enaltar.
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[ Werk]
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