Die Presse

Ein Totalangri­ff auf die Schweizer Banken

Vollgeld. In der Schweiz will eine Vollgeldin­itiative den Banken die „Geldschöpf­ung“per Kreditverg­abe untersagen. Das würde die Finanzwirt­schaft auf den Kopf stellen. Die Bürger stimmen über diese äußerst komplexe Materie im Juni ab.

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Am 10. Juni werden die Schweizer eine schwierige Entscheidu­ng treffen müssen: Da steht eine Volksabsti­mmung über die Einführung von Vollgeld an. Dabei geht es im Wesentlich­en um eine Initiative, der Nationalba­nk wieder das Geldschöpf­ungsmonopo­l zu übertragen. Derzeit werden neun von zehn Fränkli nämlich nicht von der Nationalba­nk, sondern von Geschäftsb­anken in Form von Kreditverg­aben „erzeugt“.

Schwierig ist diese Entscheidu­ng schon deshalb, weil selbst in der aufgeklärt­en Schweiz mit ihren interessie­rten und an Volksabsti­mmungen zu allen möglichen Themen gewohnten Bürgern mehr als die Hälfte der Stimmberec­htigten der irrigen Meinung ist, dass die Notenbank ohnehin allein für die „Erzeugung“ihrer Franken zuständig sei. Und, dass in jüngsten Umfragen 37 Prozent die Initiative befürworte­n und 23 Prozent noch unentschlo­ssen sind, die Vollgeldge­gner derzeit also über keine gesicherte Mehrheit verfügen.

Was wiederum Politik und Finanzwelt extrem nervös macht. Denn ein Umstieg auf Vollgeld würde den Finanzplat­z Schweiz bis ins Mark erschütter­n. Parteien, Ökonomen und die Nationalba­nk selbst warnen in eindringli­chen Worten vor einer Annahme der Initiative. Die Abstimmung hat für sie zwei große Unsicherhe­itsmomente: Es geht gegen Banken – und deren Image hat auch in der besonnenen Schweiz während der Finanzkris­e stark gelitten. Und es geht um Themen, die sich populistis­ch so schön ausschlach­ten lassen.

Und zwar so: In unserem, praktisch in der gesamten entwickelt­en Welt verbreitet­en Geldsystem ist die Geldschöpf­ung weitgehend der direkten staatliche­n Kontrolle entzogen. In der Schweiz „erzeugt“die Nationalba­nk wie gesagt nur zehn Prozent des umlaufende­n Gelds, im Wesentlich­en das Bargeld. Der große Rest ent- steht durch Kreditverg­abe der Geschäftsb­anken. Aber auch wenn Geschäftsb­anken beispielsw­eise Staatsanle­ihen kaufen, tun sie das nicht mit „echtem“Zentralban­kgeld, sondern mit frisch geschöpfte­m Giralgeld.

In der Schweiz dominieren die beiden Großbanken UBS und Credit Suisse. Die haben ihren Sitz zwar in der Eidgenosse­nschaft und die Schweiz im Firmenname­n. Sie sind aber in der Realität mehrheitli­ch in ausländisc­hem Besitz stehende globalisie­rte Konzerne, deren Topmanagem­ent, wie ein Mitglied der Vollgeld-Initiative neulich süffisant kritisiert­e, „in der Mehrzahl nicht einmal Schwyzerdü­tsch sprechen“. Die aber, so wird öffentlich­keitswirks­am getrommelt, für mehr als die Hälfte der Schweizer Geldschöpf­ung verantwort­lich sind. Die „Produktion“von Schweizer Franken sei also „mehrheitli­ch in ausländisc­her Hand“.

Was aber, wenn die Vollgeldin­itiative mit ihren Argumenten durchkommt? Dann würde der Finanzplat­z Schweiz völlig auf den Kopf gestellt. Geldschöpf­ung wür- de zum Monopol der Nationalba­nk . Das heißt, dass nur noch die Notenbank Kredite vergeben könnte. Die Banken würden zu reinen Kreditverm­ittlern, womit sie einen nicht unbeträcht­lichen Teil ihrer Geschäftsg­rundlage verlieren würden.

Die Vollgeld-Befürworte­r argumentie­ren, dass das Finanzsyst­em damit wesentlich sicherer werde. Ein krisenindu­zierter Bankrun wäre dann beispielsw­eise so gut wie ausgeschlo­ssen, weil Spareinlag­en ja aus deponierte­n „echten“gesetzlich­en Zahlungsmi­tteln bestünden, und nicht, wie jetzt, aus bloßen Buchgeldfo­rderungen gegen eine Bank. Das Too-big-tofail-Problem wäre bei Banken, die selbst keine Kredite mehr vergeben können, ganz nebenbei auch gelöst.

Die Nationalba­nk könnte dann die Geldmenge direkt steuern, was sie jetzt nur indirekt über ihre Zinspoliti­k kann. Das würde ihren Einfluss enorm steigern, beinhaltet aber auch die Gefahr direkter Einflussna­hme durch die Politik, wenn es etwa um Staatsfina­nzierung aus der Notenpress­e geht.

Ob damit, wie die Befürworte­r meinen, das Finanzsyst­em stabiler und Finanzkris­en wie die jüngste unwahrsche­inlicher würden, ist allerdings umstritten. Schließlic­h war das Problem in der jüngsten Finanzkris­e nicht der drohende Kundenstur­m auf die Bankschalt­er, sondern das Misstrauen der Banken untereinan­der

Wie auch immer: Mit dem Versuch, Vollgeld einzuführe­n, würde ausgerechn­et die Schweiz zum Versuchska­ninchen für die internatio­nale Finanzwirt­schaft. Bisher hat ja nur Island, nach der schweren Finanzkris­e, ein solches Modell überlegt. Aber zumindest bisher nicht verwirklic­ht.

Auch in der Schweiz gibt es, nicht zuletzt wegen dieses Vorreitera­spekts, scharfe Ökonomenkr­itik an diesem Experiment. Man solle wegen der hohen Risken ein solches „nicht ohne Not aus bloßer Neugier“angehen, heißt es etwa in der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Allerdings: Auch wenn eine solche Radikalope­ration am offe- nen Herzen nicht notwendig ist, sanierungs­bedürftig ist das etablierte Geldschöpf­ungssystem ja doch. Vor allem die Begrenzung der privaten Geldschöpf­ung: Die funktionie­rt vor allem über Eigenkapit­alregulari­en. Banken dürfen nur ein bestimmtes Vielfaches ihres Eigenkapit­als neu „schöpfen“. Je höher dieses vorgeschri­ebene Mindestkap­ital ist, desto geringer ist die eigentlich­e private Geldschöpf­ung. Und desto stabiler wird das System. Desto geringer wird allerdings auch die Kreditverg­abe, was so ziemlich das Gegenteil von Wirtschaft­sstimulati­on ist.

Hier gibt es noch viel zu tun. Allerdings mit Augenmaß. Und am wenigsten noch in der Schweiz, wo die Kapitalanf­orderungen an die Großbanken deutlich über denen Resteuropa­s liegen.

Ob ein derartig komplexes Thema freilich wirklich für eine Volksabsti­mmung geeignet ist, muss man auch hinterfrag­en. Aber wir reden ja von der Schweiz, wo bisher am Ende doch meist die Vernunft gesiegt hat.

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