Kanonendonner für Beethoven: Die Übersteigerungen des Currentzis
Konzerthaus. Beethovens siebente Symphonie wurde unter Teodor Currentzis zur Schlachtenmusik – durchaus nicht immer partiturgetreu.
Eine Schlachtenmusik, keine Frage. Wenn Teodor Currentzis mit seinem in Nowosibirsk ansässigen Originalklangensemble MusicAeterna Beethovens Siebente exekutiert, dann ist es gar nicht nötig, das Pendant zu dieser Symphonie mit aufzuführen, nämlich „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“op. 91 – jenes Stück, mit dem Beethoven den Triumph des britischen Feldmarschalls an der Spitze englischer, spanischer und portugiesischer Truppen über das Napoleonische Heer darstellt, Gewehrsalven und Kanonenschüsse inklusive.
Denn bei Currentzis galoppiert auch in Beethovens großer Siegessymphonie in A-Dur noch die Kavallerie durchs Baskenland, im Walkürenrhythmus des Stirnsatzes zum Beispiel, donnern die Haubitzen in den explosiven, mit eisenharten Schlägeln ausgeführten Paukenwirbeln des Trios und noch mehr in den Schlusstakten, bei denen man Angst hat, das Fell könnte platzen: je nach Sitz sogar das eigene Trommelfell.
Sollte jemand verschwitzt haben, dass in Beethovens Musik umstürzlerische Gewalt tobt, durch deren Hobeln auch manchmal Instrumentenspäne gefallen sein müssen, dann wurde er an diesem Abend lautstark daran erinnert – zum Beispiel dann, wenn im Finale die Celli bei punktierten Akkorden quasi „col legno“knattern, die Saiten also fast mit dem Bogenholz schlagen.
Ja, von der Steigerung zur Übersteigerung ist es manchmal nur ein Schritt, Currentzis aber macht da regelmäßig einen Satz, und zwar mit Anlauf. Wo genau das allerdings passiert, deckt sich keineswegs immer mit der Partitur. Fortefortissimo hat Beethoven nur in zwei seiner Symphonien und dort an wenigen Stellen verlangt. In der Siebenten tut er es zweimal, im höchsten Trubel kurz vor Schluss – Passagen, die diesmal keines- wegs als dynamische Spitzen auffielen und nicht annähernd so knallig hervorgehoben wurden wie etwa das Jubelstürme provozierende Ende, an dem sich der Komponist eigentlich mit herkömmlichem Fortissimo begnügt. Auch in der Phrasierung gab es unverständliche Überraschungen: Im Finale klaffte im vierten Takt des Hauptthemas regelmäßig ein Loch, wo eigentlich ein Bogen den Sextaufschwung zusammenhalten sollte. Keine Schlacht ohne Opfer, schien da die Lehre aus dieser mit Standing Ovations bedachten Tour de Force. Die Fans sind gleichwohl hingerissen. Bei den Salzburger Festspielen ist der Zyklus mit den Beethoven-Symphonien längst ausverkauft, und mit gutem Grunde kehrt Currentzis auch in der nächsten Saison ins Konzerthaus zurück, teils mit MusicAeterna, teils mit dem SWR Symphonieorchester. Dass sich mit dem griechisch-russischen Nonkonformisten in den schwarzen SkinnyJeans der große Konzerthaussaal mühelos füllen lässt, hat jedoch auch seine Schattenseiten – wenn nämlich Art und Stärke der aufgebotenen Besetzung in ein groteskes Missverhältnis zur Größe des Raumes treten.
Nun ist Alexander Melnikov ein bewundernswerter Pianist, überdies mit historischen Klavieren bestens vertraut – und der verwendete Lagrassa-Hammerflügel nach Wiener Schule um 1815 mag seit seiner Restaurierung durch Edwin Beunk wieder wunderbar klingen. Aber an diesem Ort belegte die Aufführung von Beethovens c-Moll-Konzert op. 37 vor allem, dass das Klavier die Entwicklung der jüngsten gut 200 Jahre dringend nötig hatte, um mit den wachsenden Sälen mithalten zu können. Die Läufe, mit denen sich der Solist einführt, glichen nicht Perlen, sondern Stecknadelköpfen; Interpretation spürte man fast nur im Rubato. Currentzis nahm mit kleiner Besetzung aufs Klavier Rücksicht, um dann für Mozarts „Figaro“-Ouvertüre aufzustocken: kurios.