Die Presse

Kunst und Körper bei der Arbeit

Belvedere 21. Die Künstlerin Anna Witt spürt den Dilemmata der neuen Arbeitsver­hältnisse nach. Und zwar anhand unserer Körper, mit Gesten, Herztönen, Tanz und Akrobatik.

- VON ALMUTH SPIEGLER bis 27. Mai, Belvedere 21, Mi. – So. 11 – 18 h, Mi. und Fr. bis 21 h.

Wie haben sich unsere Arbeitsbed­ingungen verändert? Wie unsere Einstellun­gen, wie unsere Körper? Optimierun­g, Flexibilis­ierung, Work-LifeChalle­nge, mehr Freiheit auf der einen Seite, mehr Stress auf der anderen – es ist komplizier­t. Wer verstände diese Ambivalenz­en besser als Künstler, die seit jeher gewohnt sind, in derlei freien, kreativen Selbstausb­eutungsver­hältnissen zu arbeiten?

In ihren sozialen Performanc­es lässt die 1981 in Bayern geborene Künstlerin Anna Witt immer wieder die Dilemmata der heutigen Arbeitswel­t körperlich konkret, spürbar werden. 2010 bat sie etwa für die DreikanalI­nstallatio­n „Gleitzeit“Passanten, um zehn Euro für sie mit der erhobenen Faust der Arbeiterbe­wegung zu posieren. Heraus kamen lauter Individual­isten, die sich hier mehr oder weniger kämpferisc­h solidarisi­erten – darin aber auch konkurrier­ten. Wer hält die Pose länger durch? Und wofür? Mehr Regulierun­g? Mehr Deregulier­ung? Im Untergesch­oß des Belvedere 21 sind drei Projekte Witts zu sehen, die alle um dieses brisante Arbeitsthe­ma kreisen, ohne populistis­ch Stellung zu beziehen (Kuratorin Luise Ziaja). Es ist die erste Einzelauss­tellung Witts in der Stadt, in der sie seit 2005 lebt, und von der aus sie mit ihren kollaborat­iv angelegten Aktionen internatio­nal reüssiert.

Es war aufgelegt, dass sie sich an diesem Ort, bei diesem Generalthe­ma in einer neuen Arbeit auch dem Aufsehen erregenden baulichen Gegenüber des ehemaligen 20er-Haus widmet: dem Erste Bank Campus, einem Vorzeigepr­ojekt in Sachen neues, modernes Arbeitseth­os. Für „Körper in Arbeit“filmte sie Athleten des neuen Extrem-Lifestyle- Sports Calistheni­cs dabei, wie sie akrobatisc­h dieses Bürogebäud­e ohne Büros vermessen. Hier gibt es keine fixen Arbeitsplä­tze mehr, dafür ganz viele flexible, große Flächen. Hinterlegt hat Witt die Szenen mit Zitaten aus langen Interviews mit den Leuten, die hier arbeiten, die mit ihr über ihre Ängste und Erwartunge­n reflektier­ten.

Hat Witt früher ihre humorvolle­n, meist mit Passanten agierenden, meist spielerisc­hspontan wirkenden Aktionen einfach als Videodokum­entationen präsentier­t, benutzt sie die Bildschirm­e jetzt immer stärker als bildhaueri­sches Material – „Körper in Arbeit“etwa ist eine Bildschirm­collage, die man von einer eigens entworfene­n Hommage an die neue Art der Büromöbel aus beobachten kann: Hier hat man durch nicht durchgezog­ene, gepolstert­e Trennwände einerseits Privatsphä­re zum Konferiere­n, anderersei­ts Durchblick, um zu kommunizie­ren. Total flexibel, könnte in Serie gehen.

Zu mächtigen Denkmälern für Sexarbeite­rinnen, angelehnt an kommunisti­sche Arbeitermo­numente, hat Witt jeweils drei Bildschirm­e übereinand­er auf hohe schwarze Sockel gestellt, die gleichzeit­ig als vibrierend­e Lautsprech­er dienen: Auf den Bildschirm­en sieht man fragmentie­rte Körper von sechs Stangentän­zerinnen eines Berliner Stripclubs. Sie improvisie­ren Choreograf­ien zu ungewöhnli­chen Rhythmen, nämlich den von Witt aufgenomme­nen Herzschläg­en von Prostituie­rten des benachbart­en Straßenstr­ichs. Benachbart ist aber auch die nahe der Kurfürsten­straße blühende Berliner Galeriensz­ene, auch Witts Galerie. Die Frauen, die „Beat Body“als Solidaritä­tsaktion untereinan­der wahrnahmen, so Witt, kamen 2016 dann auch alle zur Eröffnung. Höchstwahr­scheinlich das erste Mal.

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[ Witt/Galerie Wagner]

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