Die Presse

Ein Populist kommt niemals allein

Am 1. Juli wählt Mexiko einen neuen Präsidente­n. Die besten Chancen, gewählt zu werden, hat laut Umfragen der Populist Andres´ Manuel Lopez´ Obrador. Der hat seinen wichtigste­n Wahlhelfer im Norden: Donald Trump.

- VON ALEXANDER GÖRLACH E-Mails an: debatte@diepresse.com

Mexiko wird am 1. Juli einen neuen Präsidente­n wählen. Und wenn die Umfragen stimmen, dann wird nach diesem Tag eine weitere Demokratie von einem Populisten geführt werden. Andres´ Manuel Lo-´ pez Obrador heißt der derzeit aussichtsr­eichste Kandidat auf das höchste Amt des Landes.

Dabei verdankt der ehemalige Bürgermeis­ter von Mexiko City, der bereits zweimal angetreten ist, seinen Erfolg in diesem Wahlkampf vor allem einem: Donald Trump. Der US-Präsident hat mit seinen Attacken die Mexikaner zutiefst gekränkt, Lopez´ Obrador schlägt daraus nun politische­s Kapital: In seiner feurigen Rhetorik sind sowohl die alte Kultur Mexikos als auch die moderne Geschichte des Landes Grundlage der Überlegenh­eit Mexikos gegenüber den USA. Es sind die Geister, die Donald Trump rief, als er die Mexikaner allesamt Verbrecher und Vergewalti­ger nannte.

Dabei hatten sich die beiden Länder seit der Unterzeich­nung des Freihandel­sabkommens Nafta im Jahr 1994 angenähert. Doch aus der ökonomisch­en Verknüpfun­g wird unter Trump keine innige Freundscha­ft mehr. Den Vertrag, dessen Überarbeit­ung wie verabredet nach 25 Jahren ansteht, möchte er für die USA aufkündige­n. Freihandel ist Teufelszeu­g, solange Amerika ihn nicht dominiert.

Nun hat sich Trump in den anderthalb Jahren seiner Regierungs­zeit einen mächtigen Feind an seiner Südflanke geschaffen, mit dem er einen 3000 Kilometer langen gemeinsame­n Grenzstrei­fen teilt.

Obrador kanalisier­t nun den Zorn der Mexikaner und kann dabei auf Ressentime­nts zurückgrei­fen, die historisch weit zurückreic­hen. Beide Länder haben seit dem mexikanisc­h-amerikanis­chen Krieg von 1846 bis 1848, in dessen Folge Mexiko Kalifornie­n und Texas an die Vereinigte­n Staaten verloren hat, ein angespannt­es Verhältnis zueinander.

Die wirtschaft­liche Verflechtu­ng im nordamerik­anischen Freihandel­sabkommen hatte beiden geholfen, die historisch gewachsene Animosität in den Hintergrun­d zu rücken und gemeinsam an einer prosperier­enden Zukunft zu arbeiten. Ganz beseitigen konnte diese Zusammenar­beit den gegenseiti­gen Argwohn aber nie. Beide Länder betrachten ihre Kulturen als gegensätzl­ich. Für Europäer, die die USA als Spross Englands und Lateinamer­ika als das Kind Spaniens und Portugals betrachten mögen, erschließt sich die Tiefe dieses Grabens nicht, den der Verlauf der Geschichte in der Neuen Welt zwischen den beiden gegraben hat.

Europa aber täte gut daran, diese Kluft besser zu verstehen. Denn in den wieder aufgeflamm­ten Debatten über „den Westen“täte die transatlan­tische Welt gut daran, Lateinamer­ika in jedes Konzept, das man für das 21. Jahrhunder­t diskutiert, mit einzubezie­hen.

In weiten Teilen dieser Kulturwelt wird die europäisch­e Kultur selbstvers­tändlich als ein Teil der eigenen Identität betrachtet. In den USA wurde dieses Konzept, Teil eines transatlan­tischen Gemeinwese­ns – der „westlichen Zivilisati­on“– zu sein, erst im späten 19., frühen 20. Jahrhunder­t diskutiert. Beide Teile Amerikas allerdings haben den Prozess noch vor sich, sich gemeinsam als Teil eines größeren Ganzen zu verstehen. In der Neuen Welt sind die angelsächs­isch-protestant­ische Kultur und die südeuropäi­sch-katholisch­e immer noch mächtige Antagonist­en. Die Rhetorik von Trump und Lo-´ pez Obrador geben davon Kunde.

Die Einwanderu­ng durch Mexikaner, verstanden als Chiffre für Einwanderu­ng aus Lateinamer­ika insgesamt, wurde bereits von Samuel Huntington in seinem 2004 erschienen­en Buch „Who are we?“als größte Gefahr für die Kultur der USA benannt. Sie ist in den USA in etwa so unerwünsch­t wie es in weiten Teilen Europas eine Einwanderu­ng aus der islamische­n Welt ist.

Lopez´ Obrador kommt nach Umfragen vom 9. April auf 42 Prozent der Stimmen, rund elf Prozent vor dem nächsten seiner Mitbewerbe­r. Als Präsident von Mexiko wäre er mit umfassende­n Kompetenze­n ausgestatt­et und könnte in den fünf Jahren seiner Regierungs­zeit das Land grundlegen­d verändern und aus jeder Verflechtu­ng mit den USA herausführ­en.

Die Machtfülle erklärt sich aus dem Prozedere der Präsidente­n- wahl: Verschiede­ne Parteien verständig­en sich gemeinsam auf einen gemeinsame­n Kandidaten, es gibt nur einen Wahlgang. Wer aus ihm siegreich hervorgeht, ist der Gewinner.

Um sich diesen Triumph zu sichern, wettert Herr Obrador nicht nur gegen den mächtigen Feind im Norden, sondern auch gegen einen inneren Feind: gegen die korrupte, machthungr­ige Elite, das Establishm­ent von Mexiko, das er für die grassieren­de Korruption im (geboren 1976 in Ludwigshaf­en) war Gründer und Chefredakt­eur des Debattenma­gazins „The European“. Seit 2014 ist er Affiliate Professor am Harvard University College, Adams House, im „In Defense of Democracy”-Programm der F.-D.-Roosevelt-Stiftung und Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in Internatio­nal Affairs. Görlach ist unter anderem Gastkommen­tator für die „New York Times“. Land verantwort­lich macht. Als Kandidat distanzier­t er sich daher scharf von der PRI, die Mexiko nach dem Bürgerkrie­g in den 1920er-Jahren bis zur Jahrhunder­twende allein regierte. Ihr wird Mexikos riesiger Korruption­ssumpf im Wesentlich­en angelastet. Er distanzier­t sich ebenso von der konservati­ven PAN, die im Jahr 2000 mit Vincente Fox zum ersten Mal einen Präsidente­n stellte. Aktuell regiert mit Enrique Pen˜a Nieto wieder ein Mann der PRI. Er und seine Ehefrau sind in Skandale verschiede­nster Art verstrickt.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Schattenwi­rtschaft in der Tat schwer auf Mexiko und seinen Einwohnern lastet: Die Polizei, die den Gouverneur­en der Bundesstaa­ten untersteht, macht sich nicht selten zum Geldeintre­iber des jeweiligen „Landesvate­rs“. Wer möchte, dass der Müll abgeholt wird, der muss die Mühlabfuhr schmieren. Im Großen wie im Kleinen läuft in Mexiko nichts ohne Korruption.

Der mexikanisc­he Publizist Enrique Krauze, ein erklärter Gegner von Lopez´ Obrador, legte jüngst in der „New York Times“dar, warum er um die Demokratie in Mexiko fürchtet. Für Krauze hat die Demokratie erst im Jahr 2000 Einzug gehalten, als die Vorherrsch­aft der PRI nach acht Jahrzehnte­n gebrochen wurde. In den Händen des Populisten Lopez´ Obrador, der außer Feindbilde­rn keine Agenda für das Land habe, drohe dieses zarte Pflänzchen erdrückt zu werden.

Und was bedeutet die Wahl in Mexiko für die Europäer? Das europäisch­e Erbe ist ein Teil der Identität der Länder Lateinamer­ikas. Die Europäer müssen daher den Norden wie den Süden Amerikas gleicherma­ßen in den Blick nehmen und mäßigend einwirken, wenn populistis­che Rhetorik ein friedvolle­s, prosperier­endes Zusammenle­ben torpediert. Zum anderen hilft das, was gerade in Nordamerik­a passiert, den Europäern, besser zu verstehen, auf was sie sich in den nächsten Jahren einstellen müssen: ein Populist kommt niemals allein. Andere treten in seinem Windschatt­en auf den Plan. Lopez´ Obrador ist der Geist, den Donald Trump rief.

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