Foto-Flashback
Neulich
war mein E-Mail-Postfach voll, und ich war gezwungen, Mails mit großen Dateien zu löschen. Dabei sind mir allerlei alte Fotos untergekommen, die ich an Verwandte verschickt habe. Und da war sie wieder einmal bewiesen, die These, wonach es gar nicht so schlecht wäre, regelmäßig ein Tagebuch zu führen, denn: Ich konnte mich an keines der Fotos erinnern. Auf einem Bild ist die Tür zum Kinderzimmer zu sehen, verbaut mit lauter Plastikhockern, auf einem saß unsere Katze wie ein Wachposten. Der Betreff meines Mails „Ich wurde aus dem Kinderzimmer geworfen, weil ich zu groß bin“erklärt das Bild ein wenig. (Später wurden diese physischen Barrikaden durch einen simplen Zettel ausgetauscht, auf dem neben bedrohlichen Totenköpfen „Tsimerferbot hat Mama hoite“stand.)
Ein anderes Foto ist geradezu symptomatisch für die Jahre 2013 ff., in denen das Kind wie alle Kindergartenkinder eine intensive Verkleidungsphase durchlief: Man sieht es, wie es im rosa Prinzessinnenkleid und mit Schleier im Haar den Tisch für die Adventjause deckt. Die Gäste – durchwegs Stofftiere – saßen schon bereit. (Von menschlichen Besuchern fehlt auf den Fotos jede Spur.) Was ich noch weiß: Als Lied zur Adventfeier wählte das Kind damals aus meinem beschränkten Repertoire auf der Gitarre das sehr besinnlich stimmende „What Shall We Do with the Drunken Sailor“.
Im Frühjahr darauf, so entnehme ich einem weiteren Foto, hat das Kind auf dem Balkon Samen im Blumentopf vergraben, auf das Schild musste ich „Umpflanzungsdingsbums“schreiben. Welches Dingsbums da genau gewachsen ist, weiß ich nicht mehr. Vor zwei Jahren hat das Kind selbst kleine Schilder für die Blumentöpfe geschrieben: „Petasile“stand auf dem einen. Vor wenigen Tagen hat es ebenfalls mitgeholfen und die Schilder beschriftet: „Kamille“steht da und „Petersilie“. Ganz fehlerfrei. Da wird man richtig sentimental. Ich würde das ja nie so sagen, weil mir das als Kind selbst so auf die Nerven gegangen ist, aber: Sie werden wirklich viel zu schnell groß, die Kinder. In diesem Sinne: Schreiben Sie ruhig öfter Tagebuch. Oder Kolumne.