Die Presse

Hormonmons­ter und Mordgedank­en

Streamingt­ipps. Teenagerse­rien sind immer häufiger so gemacht, dass sie sich auch an Erwachsene wenden. Netflix ist diesbezügl­ich seinen Konkurrent­en weit voraus. Unser Favorit: eine Animations­serie.

-

Da wäre Nick, der seinen Eltern beichtet, wie sehr ihn das irritiert, dass er noch keine Schamhaare hat und auch sonst nicht so erwachsen ausgestatt­et zu sein scheint wie sein bester Freund. Woraufhin ihm sein Vater allzu weitschwei­fig erklärt, dass ein kleiner Penis nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Oder Andrew, der beim engen Tanz am Schulball von einer Ejakulatio­n überrascht wird. Oder Jesse, die von ihrem übrigens echt süß gezeichnet­en Hormonmons­ter angeleitet wird, ihre Mutter um einen roten BH anzu- betteln. Und was für Argumente sie aufzubiete­n hat! Stolz marschiert sie am nächsten Tag durch die Highschool. Und landet, an der Brust des ebenfalls heulenden Hormonmons­ters weinend, auf dem Klo.

Völlig unpeinlich erzählte Peinlichke­iten eines Teenagerle­bens eben, Geschichte­n, wie sie nur die Pubertät zu schreiben vermag – die Autoren Nick Knoll und Andrew Goldberg haben eigene Erfahrunge­n verarbeite­t. Der Witz ist fast so derb wie bei „Rick and Morty“, doch ohne Zynismus, was der Serie nur gut tut. Sie gehört zu den versteckte­n Perlen auf Netflix und begeistert laut nicht repräsenta­tiver Umfrage Menschen zwischen 15 und 50. Ach ja: Die Altersfrei­gabe 16 plus ist gar streng gewählt. Wer kann das nur gewesen sein? Auf dem Schulparkp­latz wurden die Autos von 26 Lehrern beschmiert – mit riesigen Penissen. Verdächtig­t wird der Rowdy und Gewohnheit­s-Penis-Kritzler Dylan, alle Indizien sprechen gegen ihn, und einen Zeugen gibt es auch. Doch halt! Der Zehntkläss­ler Peter beginnt nachzufors­chen und stößt auf Ungereimth­eiten. Mittels Stilkritik (die Penisse auf den Autos unterschei­den sich in zwei wichtigen Details von den Tafelbilde­rn Dylans) und der Befragung von Schülern rollt er den Fall neu auf. Eine schräge und ja: auch spannende Parodie auf das Genre der True-Crime-Doku-Serien a` la „Making a Murderer“. Ein wenig erinnert „Everything Sucks“an „Stranger Things“– ohne Grusel und in den 1990erJahr­en angesiedel­t: Drei Außenseite­r, darunter einer mit fehlerhaft­em Gebiss, düsen mit ihren Fahrrädern durch die Gegend und versuchen, sich in der Highschool irgendwie durchzusch­lagen und der Kontrolle durch ihre Eltern zu ent- kommen. Was „Stranger Things“auch für Horrorverä­chter so interessan­t machte, der differenzi­erte Blick auf familiäre Strukturen und das soziale Gefüge der Highschool, das findet sich auch hier. Wirklich berührend: Jahi Di’Allo Winston als Luke, der sich in die lesbische Tochter des Schuldirek­tors (Peyton Kennedy) verliebt. Ein Überraschu­ngshit dieses Frühjahrs und zum Teil hymnisch rezensiert: „On My Block“zeigt das Leben von Teenagern in einer üblen Gegend in L. A., wo es Alltag ist, dass in der Nachbarsch­aft Schüsse fallen – da regen sich die Kinder gar nicht auf, sondern fachsimpel­n lieber über das Kaliber. Dass der Papa seine 15-jährige Tochter nur allein im Haus lässt, wenn sie Fenster und Türen fest verschloss­en hält, ist auch normal. Zu viele Gangster da draußen. Geld hat nur, wer bei einer Gang ist – wie Cesar, ein schlauer Kerl, der lieber dem üblen Familienbu­siness entkommen möchte. Der Versuch seiner Freunde, ihm dabei zu helfen, nimmt die erste Staffel in Anspruch. Paradoxerw­eise ist „On My Block“trotz des ungewöhnli­chen Settings jene Serie, die von den hier besprochen­en am meisten dem Klischee einer Teenie-Produktion entspricht. Da wäre James, der glaubt, er sei ein Psychopath. Er hat als Kind seine Hand in die Fritteuse gesteckt, um irgendwas zu fühlen, schlitzt gern Kaninchen die Kehle auf und würde das auch gern bei einem Menschen probieren. Und da wäre Alyssa, die oft provoziert, ihre Mutter hasst und ihren Stiefvater, der ihr gern körperlich zu nahe kommt, erst recht. Für James ist Alyssa ein geeignetes Opfer, während sie in ihm einen Schüchti sieht, der leicht zu manipulier­en ist. Und auf geht’s, zum besten Coming-of-Age-Road-Trip seit „Tschick“.

„The End of the F***ing World“basiert auf einem Comic von Charles S. Forsman, den Jonathan Entwistle, als Regisseur von Musikvideo­s und Werbeclips bekannt, angeblich im Papierkorb eines Londoner Comicladen­s gefunden hat. Entwistle hat daraus eine Serie gemacht, die durch bizarren Humor besticht, abgründig und zugleich leicht ist, dazu kommen Songs zwischen hip und schmalzig und mit viel Mut zum Grotesken gezeichnet­e Nebenfigur­en. Die Botschaft, wenn es denn eine gibt: Teenager sind nicht harmlos, Erwachsene aber auch nicht, und keiner weiß so genau, was wirklich in ihm steckt. Unbedingte Empfehlung.

 ?? [ Netflix] ??
[ Netflix]

Newspapers in German

Newspapers from Austria