Verwirrung der Gefühle: Wer sind wir und wenn ja, wie viele?
Das Erfolgsrezept der österreichischen Außenpolitik der 1970er-Jahre taugt in der Welt von heute nichts. Kurz und Kneissl glauben dennoch an seine Wirkung.
Hat Österreichs Außenpolitik endlich wieder eine Linie gefunden, mit der sich einigermaßen internationale Aufmerksamkeit erreichen lässt? Wien wird zurzeit wieder als Verhandlungsort angepriesen – für den Konflikt um Syrien und jenen zwischen der EU und Moskau wegen des Giftanschlags auf Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter in England. Ein Verhandlungsort bedeutet aber noch lang keine Vermittlerrolle. Das wird jedoch bewusst unscharf dargestellt.
Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass sich Außenministerin Karin Kneissl und ihr Vorgänger, Bundeskanzler Sebastian Kurz, als Epigonen Bruno Kreiskys in der Außenpolitik sehen. Mit seiner „Linie“in den 1970er-Jahren – „Kreisky liest der Welt die Leviten“– lässt sich tatsächlich Popularität steigern. Wir lieben es, international gehört zu werden.
Ein Titel wie „Kneissl öffnet Tür für den Westen“aus Anlass ihres MoskauBesuchs dieser Tage lässt da schon das eine oder andere ÖsterreichHerz aufgehen. Das ist schon sehr geschickt angelegt. Dagegen lässt sich auch nichts sagen.
Nur, die Welt tickt heute anders als zu Kreiskys Zeiten. Nicht nur hat Kreisky damals im Verbund mit starken europäischen Politikern wie Deutschlands Willy Brandt und Schwedens Olaf Palme Außenpolitik betrieben. Vor 40 Jahren war Österreich auch noch so etwas wie der Kopfbahnhof des Westens. Damals war die Neutralität noch ein politischer Wert, nicht nur zwischen Ost und West. Damals sah sich Österreich auch ganz bewusst als Teil des Westens. Daran hatte niemand einen Zweifel.
Die Politiker der damaligen Generation werden sich wahrscheinlich noch erinnert haben, dass die USA in der Nachkriegszeit Österreich politisch gezielt geschont haben. Die Entnazifizierungsaktionen fielen bei Weitem nicht so streng aus wie in Deutschland. Amerika wollte Österreich bewusst an den Westen binden. Auch dieser Tatsache sind Wiederaufbau, Wirtschaftswachstum, Wohlstand und schließlich auch demokrati- sche Stabilität bisher zu verdanken. Eine Mitgliedschaft Österreichs bei der EU war nicht einmal ein theoretischer Ansatz.
Es wird einmal zu den Kuriositäten der österreichischen Geschichte zählen, dass wir offenbar hier und jetzt als Mitglied der EU viele weniger wissen, wer wir sind und wo wir stehen, als damals. Nicht anders ist zu erklären, dass Bundeskanzler Kurz anlässlich des EU-Beschlusses, russische Diplomaten wegen der Skripal-Affäre auszuweisen, sagen konnte: „Wir sind mit allem einverstanden. Aber wir machen nicht mit.“Was jetzt? Auch Außenministerin Kneissl musste sich damals winden. Neutralität, mummelten andere. Wie jetzt? Mit allem einverstanden, aber eigentlich als Neutrale nicht? Es hätte wahrscheinlich damals die Linie von Kneissl jetzt in Moskau genügt: „Wir weisen Diplomaten nicht aus.“Punkt.
Man kann internationalen Beobachtern nicht verdenken, wenn sie verwirrt sind. In welchem Lager ist nun Österreich, könnte man in Abwandlung eines Zitats von Franz Grillparzer fragen. Im demokratischen des Westens, im illiberalen des Ostens?
An und für sich ist es eine ziemlich gute PR-Aktion, sich diesem Dilemma nach Wien als diplomatischer Drehscheibe zu entziehen. Auch eine riskante. Man kann am Ende des Tages dastehen wie bestellt und nicht abgeholt. Aber dieses Risiko ist es wert. Nur, es genügt nicht.
Es ist schon klar, dass alles verwirrter und komplizierter ist als zu Kreiskys Zeiten. Reine Symbolpolitik und vereinfachte Antworten wie „Wir bauen Brücken, wir vermitteln“genügen nicht. Nach Westen den Kotau machen, nach Osten den Verständnisvollen spielen oder umgekehrt, schon gar nicht. Wer um internationale Geltung ringt, muss wissen, wer seine Freunde sind und wo er in Sachen Demokratie steht. Ein stringentes Konzept muss her. Im Konsens aller Parteien übrigens. In der nächsten Krise wird es nicht um einen Verhandlungsort gehen.