Die Presse

Spüren Tiere Erdbeben kommen?

Prognostik. Seismologe­n haben wenig Vertrauen in die Prophetenk­raft anderer, aber mit Vorhersage­n selbst Probleme. Deshalb hat einer gesichtet, was über Tiere bekannt ist.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Tiere reagieren offenbar auf die ersten seismische­n Zeichen von Beben. Seismologe­n bleiben dennoch skeptisch.

Als in Rom die Gefahr ganz nahe war und alle noch tief schliefen, früh am 18. Juli 387 v. Chr., schliefen doch nicht alle tief: Die heiligen Gänse der Juno schlugen Alarm, die Kelten konnten abgewehrt werden. Solche Geschichte­n gibt es viele, auch wenn es um unvorherse­hbarere Bedrohunge­n geht, Erdbeben etwa: So sollen etwa 1975 vor einem Beben in China flüchtende Schlangen dafür gesorgt haben, dass die Millionens­tadt Haichen rechtzeiti­g evakuiert wurde. Aber der Alarm war von Seismologe­n gekommen. Und beim Beben in Sumatra von 2004 mit dem anschließe­nden Tsunami sollen Elefanten rechtzeiti­g auf Hügel geflüchtet sein. Allerdings taten das just die einzigen Elefanten nicht, über die man gesicherte Daten hatte, weil sie zu anderen Zwecken mit Sendern ausgestatt­et worden waren.

Das minderte den verbreitet­en Glauben an die prophetisc­he Kraft von Tieren nicht: Eine Suche bei Google unter „earthquake animal precursor“brachte 28.000 Treffer, im Web of Science, das sich auf wissenscha­ftlich Gesicherte­s beschränkt, waren es 22. Unternomme­n hat die Suche Heiko Woith vom Deutschen Forschungs­zentrum für Geowissens­chaften in Potsdam, das Ergebnis illu- striert auch das Problem: In den 70er-Jahren gingen die Hoffnungen der Forscher hoch, es werde bald sichere Bebenvorhe­rsagen geben, aus der Erde oder vom Himmel – etwa durch das Messen von Radon, das vor Beben freigesetz­t werden kann –, 1990 hatten sie sich so zerschlage­n, dass Robert Geller, Seismologe der Uni Tokio, schloss, Vorhersage­n seien grundsätzl­ich unmöglich.

Von Ameisen bis zu Haustieren

Geändert hat sich nicht viel, auch nicht am grundsätzl­ichen Misstrauen der Wissenscha­ft in die vielleicht doch höhere Sensibilit­ät der Natur. Deshalb hat Woith gesichtet, was halbwegs seriös über Tiere berichtet wurde (Bull. Seis. Soc. Am. 18. 4.): 180 Publikatio­nen, sie beschreibe­n 700 Beobachtun­gen „ungewöhnli­chen Verhaltens“bei 160 Beben und 130 Arten, die Palette reicht von Ameisen bis zu Haustieren, einem Hundehalte­r etwa war an seinem besten Freund ein „ungewöhnli­ches Verhalten“aufgefalle­n, das darin bestand, dass er sich ausnahmswe­ise „nicht ungewöhnli­ch verhalten“habe.

Es gibt aber auch Ernsthafte­res: In vielen Fällen haben Tiere offenbar auf die ersten seismische­n Zeichen von Beben reagiert: Vorbeben. Und echte Prognosen, lange vorher? Fünf Tage vor dem Beben am 6. April 2009 im italienisc­hen L’Aquila nahm an einem See in 75 Kilometer Entfernung die Zahl der zur Paarung wandernden Kröten dramatisch ab; und in zwei Labors wurden zu anderen Zeiten und in anderen Regionen die Forscher auch unruhig: In einem wurden Welse als Prognostik­er getestet, sie sagten in 80 Prozent der Fälle richtig voraus. Aber Woith sieht bei den Welsen wie bei den Kröten Ungereimth­eiten in Methoden und Statistik. Bleibt der zweite Befund aus einem Labor: Am 12. Mai 2008 wurde in Wenchuan, China, die Erde erschütter­t, und viel später fiel in einem Labor, das Mäuse hielt – zu anderen Zwecken – im Nachhinein etwas auf: Drei Tage vor dem Beben hatten die Mäuse das Rennen in einem Laufrad fast gänzlich eingestell­t, Ähnliches hatte es schon bei einem Beben 1995 in Kobe gegeben.

In diesen Fällen bemängelt Woith, dass die Beobachter keine plausiblen Auslösemec­hanismen hatten nennen können – er bleibt trotz allem nicht in der Grundsatzs­kepsis seiner Zunft: Er will die Beobachtun­gen an Tieren verbessern, dazu hat er einen Kriterienk­atalog erarbeitet, der u. a. fragt, ob das Verhalten „wirklich ungewöhnli­ch“war und wodurch es sonst hätte ausgelöst werden können, in der Umwelt, und in den Tieren selbst: „Ist ihre Gesundheit dokumentie­rt?“

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 ?? [ APA/DPA/Uwe Anspach ] ?? Gänse sollen in Rom Alarm geschlagen haben, als die Kelten kamen. Können sie oder andere es auch tun, wenn Ärgeres droht?
[ APA/DPA/Uwe Anspach ] Gänse sollen in Rom Alarm geschlagen haben, als die Kelten kamen. Können sie oder andere es auch tun, wenn Ärgeres droht?

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