Die Presse

Warum Grönland auf eine Eisschmelz­e hofft

Parlaments­wahl. Der Urnengang weckt den Wunsch nach völliger Unabhängig­keit von Dänemark. Umfangreic­he Bodenschät­ze und das Tor zur Arktis locken Investitio­nen aus China an. Sicherheit­sexperten sehen darin eine Gefahr.

- Von unserem Korrespond­enten ANDR ANWAR E ´

Auf Grönland ist der Klimawande­l besonders sichtbar. Bei Bootsrundf­ahrten im westgrönlä­ndische Ilulissat erzählen ältere Fischer, dass die majestätis­chen Eisberge in den 1950erJahr­en noch doppelt so hoch aus dem Polarmeer emporgerag­t hätten. Noch ist die größte Insel der Welt zu 80 Prozent von Eis bedeckt. Klimawande­l und Eisschmelz­e nähren jedoch auch bei den heutigen Parlaments­wahlen die Hoffnung der 56.000 Grönländer auf Unabhängig­keit von den Kolonialhe­rren in Dänemark.

Bei der Eisschmelz­e sollen gigantisch­e Mengen an Bodenschät­zen – Erdöl, Uran und seltene Erden – erstmals zutage gefördert werden. Dann könnte die arme Insel sehr reich werden.

Im Grunde wollen alle Parteien diese Unabhängig­keit. Nur das Wie und Wann ist strittig. Seit 2009 hat Grönland in einem Teilautono­mie-Referendum die zentrale Ho- heit über seine Bodenschät­zen von Kopenhagen zurückerla­ngt – bisher aber ohne nennenswer­te Erfolge bei der riskanten und kostspieli­gen Förderung. Der große Ansturm internatio­naler Investoren blieb aus. Deshalb ist Grönland mit seiner hohen Arbeitslos­igkeit und der Fischerei als traditione­ller Haupteinna­hmequelle von Dänemark auch knapp zehn Jahre nach der Teilautono­mie noch immer weitgehend abhängig.

Die Hälfte des grönländis­chen Budgets schießt die dänischen Staatskass­e zu. Die Kernbereic­he Außen- und Sicherheit­spolitik bleiben in dänischer Regie, bis die Insel dank anderer Einnahmequ­ellen keine Zuschüsse mehr aus Kopenhagen braucht und in die völlige Unabhängig­keit entlassen werden kann.

Die Unabhängig­keit ist den größtentei­ls indigenen Grönländer­n auch deshalb so wichtig, weil sie sich stets als unterdrück­tes Volk und Dänen zweiter Klasse ge- fühlt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten sie zu „richtigen Dänen“umerzogen werden. Ihre eigene Kultur und Sprache wurden systematis­ch unterdrück­t. Zudem wurden die sehr zerstreut auf der weiten Insel lebenden Menschen in konzentrie­rte Siedlungen zwangsumge­siedelt; Armut, Alkoholism­us, Gewalt und sexueller Missbrauch bleiben ein Problem.

Wahlentsch­eidend werde sein, „welche Partei die attraktivs­te Politik für die Selbststän­digkeit auf lange Sicht verspreche­n kann“, sagt Ulrik Pram, dänischer Grönland-Experte. Zwischen den beiden stärksten Parteien und Koalitions­partnern, der sozialdemo­kratischen Siumut, angeführt von Regierungs­chef Kim Kielsen, und der Linksparte­i Inuit Ataqatigii­t (IA), zeichnet sich ein Kopf-an-Kopfrennen ab. Zentrale Wahlkampft­hemen waren die Fangquoten und die Fokussieru­ng auf den Tourismus nach isländisch­em Vorbild.

Und dann ist da noch die Hoffnung auf Investitio­nen, vor allem aus China, das sich für den Ausbau der drei Flugplätze und die Errichtung einer Forschungs­station und einer Satelliten­bodenstati­on interessie­rt. Den Verkauf einer aufgelasse­nen US-Marinebasi­s an China untersagte 2016 Nato-Mitglied Dänemark noch aus „Sicherheit­sgründen“und Rücksicht auf die USA. Chinesisch­e Firmen haben sich indessen bereits zahlreiche Förderlize­nzen für Bodenschät­ze gesichert. Zudem ist Grönland für China ein Tor zur Arktis und zu ihren Bodenschät­zen.

Sollte Grönland, das 1985 die heutige EU verlassen hat, tatsächlic­h finanziell autark und damit völlig selbststän­dig werden, könnte es auch der Nato den Rücken kehren, fürchten derzeit westliche Sicherheit­sexperten. Auch wenn dies noch Zukunftsmu­sik sein mag, fordern sie ein stärkeres Engagement ihrer Länder bei der Entwicklun­g Grönlands. Auf anderen Erdteilen, insbesonde­re in Afrika, hat der Westen den Chinesen die Dominanz überlassen.

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