Warum Grönland auf eine Eisschmelze hofft
Parlamentswahl. Der Urnengang weckt den Wunsch nach völliger Unabhängigkeit von Dänemark. Umfangreiche Bodenschätze und das Tor zur Arktis locken Investitionen aus China an. Sicherheitsexperten sehen darin eine Gefahr.
Auf Grönland ist der Klimawandel besonders sichtbar. Bei Bootsrundfahrten im westgrönländische Ilulissat erzählen ältere Fischer, dass die majestätischen Eisberge in den 1950erJahren noch doppelt so hoch aus dem Polarmeer emporgeragt hätten. Noch ist die größte Insel der Welt zu 80 Prozent von Eis bedeckt. Klimawandel und Eisschmelze nähren jedoch auch bei den heutigen Parlamentswahlen die Hoffnung der 56.000 Grönländer auf Unabhängigkeit von den Kolonialherren in Dänemark.
Bei der Eisschmelze sollen gigantische Mengen an Bodenschätzen – Erdöl, Uran und seltene Erden – erstmals zutage gefördert werden. Dann könnte die arme Insel sehr reich werden.
Im Grunde wollen alle Parteien diese Unabhängigkeit. Nur das Wie und Wann ist strittig. Seit 2009 hat Grönland in einem Teilautonomie-Referendum die zentrale Ho- heit über seine Bodenschätzen von Kopenhagen zurückerlangt – bisher aber ohne nennenswerte Erfolge bei der riskanten und kostspieligen Förderung. Der große Ansturm internationaler Investoren blieb aus. Deshalb ist Grönland mit seiner hohen Arbeitslosigkeit und der Fischerei als traditioneller Haupteinnahmequelle von Dänemark auch knapp zehn Jahre nach der Teilautonomie noch immer weitgehend abhängig.
Die Hälfte des grönländischen Budgets schießt die dänischen Staatskasse zu. Die Kernbereiche Außen- und Sicherheitspolitik bleiben in dänischer Regie, bis die Insel dank anderer Einnahmequellen keine Zuschüsse mehr aus Kopenhagen braucht und in die völlige Unabhängigkeit entlassen werden kann.
Die Unabhängigkeit ist den größtenteils indigenen Grönländern auch deshalb so wichtig, weil sie sich stets als unterdrücktes Volk und Dänen zweiter Klasse ge- fühlt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten sie zu „richtigen Dänen“umerzogen werden. Ihre eigene Kultur und Sprache wurden systematisch unterdrückt. Zudem wurden die sehr zerstreut auf der weiten Insel lebenden Menschen in konzentrierte Siedlungen zwangsumgesiedelt; Armut, Alkoholismus, Gewalt und sexueller Missbrauch bleiben ein Problem.
Wahlentscheidend werde sein, „welche Partei die attraktivste Politik für die Selbstständigkeit auf lange Sicht versprechen kann“, sagt Ulrik Pram, dänischer Grönland-Experte. Zwischen den beiden stärksten Parteien und Koalitionspartnern, der sozialdemokratischen Siumut, angeführt von Regierungschef Kim Kielsen, und der Linkspartei Inuit Ataqatigiit (IA), zeichnet sich ein Kopf-an-Kopfrennen ab. Zentrale Wahlkampfthemen waren die Fangquoten und die Fokussierung auf den Tourismus nach isländischem Vorbild.
Und dann ist da noch die Hoffnung auf Investitionen, vor allem aus China, das sich für den Ausbau der drei Flugplätze und die Errichtung einer Forschungsstation und einer Satellitenbodenstation interessiert. Den Verkauf einer aufgelassenen US-Marinebasis an China untersagte 2016 Nato-Mitglied Dänemark noch aus „Sicherheitsgründen“und Rücksicht auf die USA. Chinesische Firmen haben sich indessen bereits zahlreiche Förderlizenzen für Bodenschätze gesichert. Zudem ist Grönland für China ein Tor zur Arktis und zu ihren Bodenschätzen.
Sollte Grönland, das 1985 die heutige EU verlassen hat, tatsächlich finanziell autark und damit völlig selbstständig werden, könnte es auch der Nato den Rücken kehren, fürchten derzeit westliche Sicherheitsexperten. Auch wenn dies noch Zukunftsmusik sein mag, fordern sie ein stärkeres Engagement ihrer Länder bei der Entwicklung Grönlands. Auf anderen Erdteilen, insbesondere in Afrika, hat der Westen den Chinesen die Dominanz überlassen.