EU-Abgeordnete drängen zu Verfahren gegen Orb´an
Rechtsstaatlichkeit. Geht es nach einem Antragsentwurf, an dem momentan gearbeitet wird, soll gegen die Regierung in Budapest ein Artikel-7-Verfahren wegen Verletzung der EU-Grundwerte eingeleitet werden.
Straßburg. Bisher wurde das EUVerfahren zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags nur ein einziges Mal lanciert – und zwar im vergangenen Dezember gegen Polen wegen der Politisierung der Jurisdiktion. Ginge es nach den Vorstellungen der Grünen-Politikerin Judith Sargentini, könnte demnächst Ungarn als zweiter Fall hinzukommen. Die niederländische Europaabgeordnete, die Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europaparlaments ist, hat nämlich einen Bericht zur möglichen Einleitung des Artikel-7-Verfahrens gegen Budapest ausgearbeitet. Sukkus des Reports, der der „Presse“vorliegt: Unter Premier Viktor Orban´ droht das Land in die Autokratie abzurutschen.
Das Rechtsstaatlichkeitsverfahren besteht aus zwei Phasen: In der ersten Phase stellt der Rat auf Ersuchen der EU-Kommission bzw. des Europaparlaments mit Vierfünftelmehrheit (mindestens 22 Jastimmen) fest, dass in einem Mitgliedstaat „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“der europäischen Grundrechte besteht. Kann das beschuldigte EUMitglied die Vorwürfe nicht ausräumen, droht in der zweite Phase des Verfahrens die Aussetzung der Stimmrechte im Rat – wofür allerdings die Einstimmigkeit der Ratsmitglieder benötig wird. Angesichts der Tatsache, dass Ungarn und Polen einander den Rücken decken, verfehlte diese Drohung bis dato ihre Wirkung.
Allerdings hatte es in der Vergangenheit immer wieder Stimmen gegeben, denen zufolge die Einleitung des Artikel-7-Verfahrens das betroffene EU-Mitglied für die Abstimmung im Rat disqualifiziert. Soll heißen: Sollte auch gegen Ungarn ein Grundrechteverfahren eingeleitet werden, könnte Budapest kein Veto bei einer Abstimmung über die Rechtsstaatlichkeit in Polen einlegen – und vice versa. Diese Deutung gehört aber ins Reich der juristischen Spekulation.
Am Gängelband der Regierung
Doch zurück zum Antragsentwurf: Europaabgeordnete Sargentini wirft in dem Dokument der ungarischen Regierung unter anderem vor, die Befugnisse des Verfassungsgerichts über die Maße eingeschränkt und die Unabhängigkeit der Richter geschwächt zu haben. Weitere Vorwürfe betreffen die freie Meinungsäußerung, beziehen sich auf die vorhandenen Gutachten und Stellungnahmen der Venedig-Kommission des Europarats und betreffen den Umgang der Regierung mit den Me- dien des Landes und mit der akademischen Freiheit – bei Letzterem geht es um die Versuche, die vom ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros kofinanzierte Central European University (CEU) aus Budapest zu vertreiben. Ob die Soros-Hochschule in Ungarn bleiben kann, ist nicht klar, denn die neue Gesetzeslage benachteiligt ausländische Bildungseinrichtungen. In der Zwischenzeit plant die CEU einen Teilumzug nach Wien.
Ebenfalls kritisiert wird der laxe Umgang der ungarischen Regierung mit der Versammlungsfreiheit (bezogen auf Vorgaben für Nichtregierungsorganisationen) sowie mit dem Schutz von Minderheiten (etwa Juden und Roma). Im Entwurf, über den noch nicht abgestimmt wurde, wird der Rat aufgefordert, innerhalb von drei Monaten Stellung zur Lage in Ungarn zu beziehen.