„Man soll uns investieren lassen“
Interview. 100 Prozent grüner Strom bis 2030 bedeute Investitionen von über 50 Mrd. Euro, sagt der Chef der Salzburg AG und derzeitige Branchensprecher, Leonhard Schitter. Das Problem sei aber nicht das Geld, sondern die Dauer der Verfahren.
Die Presse: Österreichs Klimaforscher äußern sich sehr kritisch zur Klima- und Energiestrategie der Regierung. Sie sei zu unkonkret und zu wenig ambitioniert. Können Sie das nachvollziehen? Leonhard Schitter: Zuerst einmal freue ich mich, dass diese Strategie vorliegt. Das ist wirklich positiv. Und die Energiewirtschaft steht auch hinter dieser Strategie, weil sie wichtig für den Weg Richtung CO2-Neutralität ist. Für die Strombranche lautet das Ziel: 100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2030. Das ist sehr ambitioniert. Es bedarf einer unglaublichen Kraftanstrengung, das zu erreichen. Gleichzeitig ist wichtig, dass es auch bei der Wärme und der Mobilität großer Veränderungen bedarf. Und auch hier gibt es in der Strategie klare Vorgaben, wie das Ende der Ölheizungen oder Verbesserungen bei der Elektromobilität.
Wie Sie gesagt haben, soll bis 2030 beim Strom sämtliche Erzeugung aus erneuerbaren Quellen stammen. Derzeit sind es 76 Prozent. Da der Stromverbrauch sich ebenfalls vereineinhalbfachen wird, muss die erneuerbare Erzeugung fast verdoppelt werden. Wie soll das funktionieren? Es geht um ein Plus von 35 Terawattstunden – das ist etwas mehr als die Hälfte des derzeitigen Gesamtverbrauchs. Laut unseren Potenzialstudien ist das aber möglich.
Allein die großen Laufkraftwerke stellen 40 Prozent der gesamten Erzeugung. Es gibt aber keine zweite Donau in Österreich. Bei der Wasserkraft brauchen wir sechs bis acht Terawattstunden mehr. Einiges davon ist nicht nur geplant, sondern auch in Umsetzung. Etwa das Murkraftwerk bei Graz, oder Projekte an der Salzach. Zudem sollen auch alte Kraftwerke ausgebaut werden, sodass sie leistungsfähiger sind. Ambitionierter ist da schon das Thema Wind. Da haben wir derzeit 1200 Anlagen und werden noch etwa 1700 brauchen. Auch hier sollen zudem alte durch neue leistungsfähigere ausgetauscht werden.
Das heißt, künftig wird es auch im Alpenraum größere Windkraftprojekte geben? Es gibt beispielsweise in Salzburg bereits mehrere Projekte, die geplant sind. Es ist klar, dass es diese zusätzlichen Anlagen braucht. Und die wird es auch nicht mehr nur im Osten des Landes geben können, sondern auch im Westen.
Man wird künftig beim Skifahren also auch Windräder sehen? Das kommt darauf an, wo man fährt. Aber ja, ich gehe davon aus, dass auch in solchen Gebieten Standorte hinzukommen werden.
Und wie sieht es bei der Fotovoltaik aus? Dieser Bereich ist überhaupt am ambitioniertesten. Um das Ziel eines Zubaus von bis zu 14 Terawattstunden zu schaffen, brauchen wir eine Vervierzehnfachung der derzeitigen installierten Leistung. Das entspricht ungefähr 2,4 Mio. Anlagen mit fünf Kilowattstunden Peak-Leistung. Also etwas größer als die typische Anlage auf einem Einfamilienhaus. Um das Ziel zu erreichen, müssen 200.000 solcher Anlagen pro Jahr gebaut werden. In Österreich gibt es 170 Quadratkilometer lohnende nutz- bare Dachfläche – 70 Prozent davon müsste man mit Fotovoltaikanlagen bestücken. Wenn das nicht ambitioniert ist, weiß ich nicht, was ambitioniert ist.
Dieser Ausbau dürfte hohe Kosten verursachen. Wie viel Geld wird in Summe benötigt? Bei unseren ursprünglichen Berechnungen für 85 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen haben wir mit 50 Mrd. Euro gerechnet. Da sind allerdings Erzeugungsanlagen, Netze und Speicher berücksichtigt. Denn auch Netze und Speicher werden stärker belastet und benötigt werden. Für 100 Prozent aus Erneuerbaren wird es nicht weniger sein – eher mehr.
60 bis 70 Mrd. Euro bis 2030 scheinen nicht unrealistisch. Das entspricht fünf bis sechs Mrd. pro Jahr. Wer wird das bezahlen? Allein die Energiewirtschaft investiert im Kraftwerks- und Netzbereich derzeit 1,7 Mrd. Euro im Jahr. Fotovoltaikanlagen oder Kleinwasserkraft wird in der Regel von Privaten finanziert. Ich kann dazu nur sagen: Wir werden dieses Geld investieren. Man muss uns aber auch lassen. Wir brauchen eine Vereinfachung bei den Verfahren und ein neues Energiegesetz, das auch die Ökostromförderung auf neue Beine stellt.
Wie soll das aussehen? Wir haben einen klaren Vorschlag: ein Marktprämienmodell. Das Volumen wird ausgeschrieben, und derjenige, der die geringste Prämie über den Marktpreis braucht, erhält den Zuschlag. Das ist aus unserer Sicht die wirtschaftlichste Art der Ökostromförderung.
Von kleinen Ökostromproduzenten kommt die Kritik, dass sie keine Chance mehr hätten und ihnen so die Energiewende quasi weggenommen würde. Wer Strom erzeugt, ist Unternehmer. Und da muss man halt auch Risken übernehmen. Bei Fotovoltaik können wir uns Investitionsförderungen vorstellen, weil dort der erzeugte Strom vielfach für den Eigenbedarf eingesetzt wird.
Die künftige Zunahme Stromverbrauchs wird
des auch stark mit Elektromobilität zusammenhängen. In Österreich gibt es vier Mio. Autos. Ist eine vollständige Elektrifizierung dieser Flotte machbar? Diese Umstellung wird ja schrittweise erfolgen. Laut unseren Berechnungen würde aber auch ein schlagartiger Umstieg den Energieverbrauch nur um 14 Prozent erhöhen. Das ist also durchaus schaffbar. Das größere Problem ist der Aufbau der Ladeinfrastruktur und ein Ausbau der Netze.
Ein anderes Problem ist ja, den Strom zu speichern. Speicherkraftwerke in den Bergen gelten als Lösung. Dafür braucht es aber auch Leitungen. Sie haben derzeit selbst große Probleme, die 380-kV-Salzburg-Leitung zu bauen. Gibt es das Florianiprinzip, dass jeder die Energiewende will, aber nicht in der Nähe? Wir brauchen eine Beschleunigung in den Verfahren. Die Salzburg-Leitung hat allein in der ersten Instanz 23 Monate gebraucht. Das Speicherkraftwerk Kühtei brauchte sogar 66 Monate. Laut Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen sind neun Monate. Wenn man bei der Versorgung mit erneuerbarer Energie ambitionierter sein will, dann muss man verstehen, dass es auch mehr Netze braucht. Man soll uns investieren lassen. Ich glaube, dass bei diesem Thema die öffentlichen Interessen besser ausgewogen werden müssten. Es gibt Umweltanwälte, aber keinen Standortanwalt.
Die Regierung will Wachstum als Ziel in die Verfassung schreiben. Das soll Großprojekte erleichtern. Würde das helfen? Es hilft, wenn man Projekte im öffentlichen Interesse definiert und quasi außer Streit stellt.
Sie wurden zuletzt auch als potenzieller neuer Verbund-Vorstand genannt. Würde Sie der Job interessieren? Die Frage stellt sich nicht. Das Thema ist nicht relevant.
ist seit 2012 Vorstand der Salzburg AG, seit 2016 auch Vorstandssprecher. Der 50-jährige Salzburger startete seine Karriere im Büro der ehemaligen Salzburger Landeshauptmänner Katschthaler und Schausberger, bevor er für zwölf Jahre in die Geschäftsführung des ebenfalls in Salzburg beheimateten Holzverarbeiters Kaindl wechselte.