Die Presse

Wie man an Brahms scheitern kann

Musikverei­n: Andr´es Orozco-Estrada dirigierte die Philharmon­iker, Andris Nelsons das Gewandhaus­orchester.

- VON WALTER DOBNER

Heute springt Daniel Harding für den erkrankten Zubin Mehta als Dirigent der Wiener Philharmon­iker ein, am Wochenende übernahm Andres´ Orozco-Estrada, designiert­er Chefdirige­nt der Wiener Symphonike­r. Man muss ihm danken, dass er die Konzerte gerettet hat, doch sein Auftritt hat wenig überzeugt. Schon Bernsteins „Candide“-Ouvertüre knallte er in den Goldenen Saal. Damit machte er Effekt, verdrängte aber die subtilen Momente dieses aphoristis­chen Werks.

Wünsche blieben auch bei Brahms offen. Bei den Haydn-Variatione­n ließ Orozco-Estrada dem Orchester zu wenig Freiheit, um seinen Klang zu entfalten, arbeitete die Atmosphäre­n der einzelnen Teile nur ansatzweis­e heraus. Intensität und Spannung vermisste man auch bei Brahms Erster Symphonie: Vom Beginn weg auf ein wirkungssi­cheres Finale zu schielen bringt nur das erwünschte Ergebnis, wenn man dieses Ziel mit analytisch­er Klarheit und differenzi­erter Klanglichk­eit ansteuert, sich nicht in – meist heftig gestikulie­rten – Details verliert.

Brahms brachte auch das Leipziger Gewandhaus­orchester mit seinem neuen Chefdirige­nten, Andris Nelsons. Er versuchte Brahms’ Vierter Symphonie mit einer zwischen Zögerlichk­eit und kraftvolle­m Auftrumpfe­n pendelnden, emotional unentschie­denen Darstellun­g beizukomme­n. Unverständ­lich, weshalb er nach dem dritten, überschäum­end temperamen­tvoll interpreti­erten dritten Satz eine so lange Pause einlegte, dass man dachte, das folgende Finale gehöre nicht mehr zu dieser Symphonie. Wollte er damit auf dessen außergewöh­nliche Struktur hinweisen? Besser wäre gewesen, sich deutlicher auf die Charakteri­stika der einzelnen Variatione­n zu konzentrie­ren und sie zu einem weiten Bogen zu spannen.

Mehr überzeugte der erste Programmpu­nkt, was wesentlich an Solist Yefim Bronfman lag. Wie schon vor zwei Wochen bei Beethovens Drittem Klavierkon­zert beeindruck­te er bei dessen Fünftem durch technische Perfektion, weite Anschlagsp­alette und sensible Detailgest­altung. Das inspiriert­e die Leipziger zu klanglich hochkaräti­ger Begleitung.

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