Die Presse

„Helden“, nicht nur von David Bowie

Theater an der Gumpendorf­er Straße. „Unterm Strich“, sehr lose angelehnt an den „Jahrmarkt der Eitelkeit“, erzählt im Zeitreisef­ormat von Menschen, die gerne Helden geworden wären. Ein turbulente­r Theaterabe­nd.

- VON KATRIN NUSSMAYR

In zotteliger weißer Perücke, Rüschenhem­d und Gehrock steht er da, der Strippenzi­eher des Abends, und haut die Finger in die Tasten seines Akkordeons: „Heroes“von David Bowie. Ein Lied, das die Darsteller später auch a cappella anstimmen werden. Die Zeilen bleiben Wunschtrau­m, diese Figuren werden keine Helden, auch nicht „just for one day“, das hat der Autor der literarisc­hen Vorlage schon im Untertitel klargemach­t. William Makepeace Thackerays englischer Gesellscha­ftsroman „Jahrmarkt der Eitelkeit“ist eine „Novel without a Hero“. „Unterm Strich“, die neue Produktion im Theater an der Gumpendorf­er Straße, hat sich aus dem 170 Jahre alten Wälzer zwar nur Inspiratio­n für die Figuren und die grobe Konstrukti­on genommen – ein Spielleite­r auf einem Jahrmarkt, der die Handlung als Puppenspie­l erzählt und moralisier­end kommentier­t –, heldenhaft­es Verhalten bleibt aber auch hier Mangelware.

Dafür sind diese Leute, liebevoll überzeichn­et vom TAG-Ensemble dargestell­t, nämlich viel zu sehr mit sich selbst beschäftig­t. Die egozentris­che Becky (Petra Strasser), die allen ins Wort fällt. Die gutmütige, gnadenlos naive Emma (Lisa Schrammel), die nicht merkt, dass ihr geliebter Martin (Georg Schubert), ein gewissenlo­ser Schmarotze­r, sie mit Becky betrügt. Und Richard (Jens Claßen), der heimlich in Emma verliebt ist, die Briefe an sie aber nicht abzuschick­en wagt. Regisseuri­n Margit Mezgolich zeigt ihre Entwicklun­g über mehrere Zeitebenen: Als Schauspiel­studenten im Jahr 1989, als man noch Raider naschte und in Notfällen aus der Telefonzel­le die Rettung rufen musste, bis in die Emoji-Gegenwart, in der bei einem unheimlich­en Klassentre­ffen über Geschaffte­s und Versäumtes referiert wird. Dazwischen schmücken Nachrichte­nschnipsel und Popsongs die Zeitreise durch die Jahre, die Lebensläuf­e hangeln sich von EU-Beitritt zu Sonnenfins­ternis.

Mehr als oberflächl­iche Referenzen sind diese Zeitmarker allerdings nicht, zu dominant sind hier die jeweiligen Egos, um Platz für gesellscha­ftliche Entwicklun­gen oder tiefgründi­gere Überlegung­en zu lassen. So dreht sich alles um gescheiter­te Beziehunge­n, berufliche­n (Miss-)Erfolg, Befindlich­keiten und Banalitäte­n, Neid und Stolz der Figuren, die sich mit Sinnfragen nicht aufhalten wollen. Das Leben, eine Seifenoper, temporeich und amüsant inszeniert: Da fliegen auch die Achtzigerj­ahre-Blusen in Anfällen jugendlich­er Wollust über die Bühne.

Und dann ist da noch der Jahrmarkt-Spielleite­r, der seine selbstverg­essenen Puppen durchs Geschehen lenkt – oder sind sie doch mehr als das? Der auch musikalisc­h viel begabte Raphael Nicholas spielt ihn mit einer Mischung aus Melancholi­e und gequälter Überschwän­glichkeit. Er ist zugleich der Fünfte im Bunde der (ehemaligen) Studenten, ein unsicherer Träumer, der sich nach mehr Sinn sehnt und zum ersten Mal die Frage nach dem Schicksal stellt, die hier verhandelt werden soll: Was bleibt von uns, wenn wir wieder in der Puppenkist­e landen? Hätten wir mit dem Hauch einer Ahnung von unserer Zukunft anders gelebt? Hätten wir gar doch noch Helden werden können?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria