„Helden“, nicht nur von David Bowie
Theater an der Gumpendorfer Straße. „Unterm Strich“, sehr lose angelehnt an den „Jahrmarkt der Eitelkeit“, erzählt im Zeitreiseformat von Menschen, die gerne Helden geworden wären. Ein turbulenter Theaterabend.
In zotteliger weißer Perücke, Rüschenhemd und Gehrock steht er da, der Strippenzieher des Abends, und haut die Finger in die Tasten seines Akkordeons: „Heroes“von David Bowie. Ein Lied, das die Darsteller später auch a cappella anstimmen werden. Die Zeilen bleiben Wunschtraum, diese Figuren werden keine Helden, auch nicht „just for one day“, das hat der Autor der literarischen Vorlage schon im Untertitel klargemacht. William Makepeace Thackerays englischer Gesellschaftsroman „Jahrmarkt der Eitelkeit“ist eine „Novel without a Hero“. „Unterm Strich“, die neue Produktion im Theater an der Gumpendorfer Straße, hat sich aus dem 170 Jahre alten Wälzer zwar nur Inspiration für die Figuren und die grobe Konstruktion genommen – ein Spielleiter auf einem Jahrmarkt, der die Handlung als Puppenspiel erzählt und moralisierend kommentiert –, heldenhaftes Verhalten bleibt aber auch hier Mangelware.
Dafür sind diese Leute, liebevoll überzeichnet vom TAG-Ensemble dargestellt, nämlich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die egozentrische Becky (Petra Strasser), die allen ins Wort fällt. Die gutmütige, gnadenlos naive Emma (Lisa Schrammel), die nicht merkt, dass ihr geliebter Martin (Georg Schubert), ein gewissenloser Schmarotzer, sie mit Becky betrügt. Und Richard (Jens Claßen), der heimlich in Emma verliebt ist, die Briefe an sie aber nicht abzuschicken wagt. Regisseurin Margit Mezgolich zeigt ihre Entwicklung über mehrere Zeitebenen: Als Schauspielstudenten im Jahr 1989, als man noch Raider naschte und in Notfällen aus der Telefonzelle die Rettung rufen musste, bis in die Emoji-Gegenwart, in der bei einem unheimlichen Klassentreffen über Geschafftes und Versäumtes referiert wird. Dazwischen schmücken Nachrichtenschnipsel und Popsongs die Zeitreise durch die Jahre, die Lebensläufe hangeln sich von EU-Beitritt zu Sonnenfinsternis.
Mehr als oberflächliche Referenzen sind diese Zeitmarker allerdings nicht, zu dominant sind hier die jeweiligen Egos, um Platz für gesellschaftliche Entwicklungen oder tiefgründigere Überlegungen zu lassen. So dreht sich alles um gescheiterte Beziehungen, beruflichen (Miss-)Erfolg, Befindlichkeiten und Banalitäten, Neid und Stolz der Figuren, die sich mit Sinnfragen nicht aufhalten wollen. Das Leben, eine Seifenoper, temporeich und amüsant inszeniert: Da fliegen auch die Achtzigerjahre-Blusen in Anfällen jugendlicher Wollust über die Bühne.
Und dann ist da noch der Jahrmarkt-Spielleiter, der seine selbstvergessenen Puppen durchs Geschehen lenkt – oder sind sie doch mehr als das? Der auch musikalisch viel begabte Raphael Nicholas spielt ihn mit einer Mischung aus Melancholie und gequälter Überschwänglichkeit. Er ist zugleich der Fünfte im Bunde der (ehemaligen) Studenten, ein unsicherer Träumer, der sich nach mehr Sinn sehnt und zum ersten Mal die Frage nach dem Schicksal stellt, die hier verhandelt werden soll: Was bleibt von uns, wenn wir wieder in der Puppenkiste landen? Hätten wir mit dem Hauch einer Ahnung von unserer Zukunft anders gelebt? Hätten wir gar doch noch Helden werden können?