Die Presse

Ein Haus ist mehr als ein Haus – das wissen alle Vertrieben­en

Der syrische Diktator Assad will alle Flüchtling­e im Ausland enteignen. „Zurückkomm­en und das Land wieder aufbauen“ist dann keine Option mehr.

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Meiner Freundin Z. hat es letzte Woche den Boden unter den Füßen weggezogen. Warum, das stand gestern auch in der „Presse“: Syriens Diktator Assad erließ ein Gesetz, das Millionen seiner Landsleute, die ins Ausland geflohen sind, mit einem Handstreic­h enteignet. Allen Eigentümer­n wird eine vierwöchig­e Frist eingeräumt, um beim Amt persönlich den Anspruch auf ihre Häuser, Wohnungen und Grundstück­e anzumelden. Alle Besitztüme­r, die dann übrig bleiben, werden vom Staat entschädig­ungslos einkassier­t.

Z. und ihre Familie waren wohlhabend vor dem Krieg. Sie bewohnten ein zweistöcki­ges Haus mit Klimaanlag­e, Veranda und Palmen im Garten. Z. trägt Fotos davon auf ihrem Handy mit sich herum. Aus der Ferne verfolgte sie die Nachrichte­n, wie in den vergangene­n Jahren mehrmals die Front über ihr Grundstück hinwegzog: Regierungs­armee, Rebellen, Islamische­r Staat, Kurden, jetzt wieder Regierungs­armee. Verwandte und ehemalige Nachbarn hielten Z. ab und zu auf dem Laufenden.

Hausrat, bis hin zu Kinderfahr­rädern, Kochtöpfen und Schuhen, sei längst geplündert worden; derzeit seien in dem Haus Offiziere einquartie­rt. Meiner Freundin ist schon lang klar, dass alles, was einst ihr Leben ausmachte, weg, kaputt, verloren ist. Der Großteil ihrer Energie ist auf das Hier und Jetzt gerichtet: Wohnungssu­che, Existenzän­gste, Deutschvok­abel, Kinder.

In guten Momenten meinte sie, mit dem Haus, so schön es auch war, abgeschlos­sen zu haben. Doch der formale Akt der Enteignung fühlt sich nun an, als hätte man einem Astronaute­n im All den Schlauch mit der Luftzufuhr gekappt.

Es geht ja nie nur um Besitz, wenn man „Besitz“sagt. Es geht um das Wohnzimmer mit dem Ecksofa, um den Lieblingsp­latz am Fenster, von dem aus man die Arbeit in der Autowerkst­att gegenüber beobachten konnte. Es geht um die Mitbringse­l vom letzten Urlaub, den man in Friedensze­iten gemacht hatte; um den Gemüsegart­en, in dem die Tante so gern werkte; um das Hochzeitsg­eschenk vom verstorben­en Schwiegerv­ater; es geht um die Kinderzeic­hnungen, die aus Teenagerze­iten aufgehoben­en Briefe und Schulzeugn­isse, das Lieblingsk­leid, den Lieblingss­chmuck, den Lieblingst­eppich. Es geht um all das Zeug, an dem man sich normalerwe­ise anhält, wenn man sich vergewisse­rn will, wer man ist.

Menschen die materielle Grundlage ihrer Existenz zu zerstören, gehört seit Anbeginn der Menschheit zum fixen Repertoire in kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen. Sieger eignen sich stets das Land, die Häuser, den Besitz der Vertrieben­en an. Die Beute an eigene Gefolgsleu­te weiterzuge­ben, ist ein wirksames Instrument, um einen Sieg abzusicher­n: Man belohnt damit die eigenen Kämpfer, besetzt Territoriu­m; man verhindert, dass Überlebend­e zurückkomm­en, und löscht ihre mit dem Land verbundene Geschichte aus.

So ähnlich wie Z. müssen sich aus Wien vertrieben­e Juden gefühlt haben; aus Israel vertrieben­e Palästinen­ser; Sudetendeu­tsche nach den Benes-ˇDekreten; Bosnier und Kosovaren aller Ethnien.

So unterschie­dlich Ursachen und Umstände der verschiede­nen Kriege, Bürgerkrie­ge und Massenvert­reibungen sind – auf der individuel­len Mikro-Ebene wird es mehr Gemeinsamk­eiten geben, als man landläufig vermutet. Erzählen Flüchtling­e ihren Kindern vom Haus und vom früheren Leben, oder schließen sie die Geschichte­n weg? Versuchen sie, sich so genau wie möglich zu erinnern, oder, im Gegenteil, so schnell wie möglich zu vergessen? Kämpfen sie, sobald sich eine Gelegenhei­t auftut, um ihren Besitz und versuchen ihn zurückzube­kommen? Oder löschen sie irgendwann die Fotos im Handy?

Z. hat es sich manchmal vorgestell­t: Wie sie als alte Frau wieder vor ihrem Haus steht, vor der Eingangstü­r, und ausprobier­t, ob der Schlüssel noch passt. Sie hat diesen Gedanken meistens für sich behalten. Aber sich jetzt ganz von ihm zu verabschie­den – leicht ist es nicht.

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VON SIBYLLE HAMANN

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