Die Presse

„Man lernt nur von der Hölle“

Ausstellun­g/Globart-Award. Die in den USA lebende serbische Performanc­e-Künstlerin Marina Abramovi´c bekam gestern in Wien einen Preis und eröffnet eine Ausstellun­g. Mit uns sprach sie über Ängste, ihr Gehirn und vermisste den Sex.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Die in den USA lebende serbische Performanc­eKünstleri­n Marina Abramovic´ bekam gestern in Wien einen Preis und eröffnet eine Ausstellun­g. Mit uns sprach sie über Ängste und ihr Gehirn

Interviews mit Marina Abramovic´ sind nicht vorhersehb­ar. Obwohl man sie penibel durchtakte­n muss, weil – sie ist ein Star, einer der wenigen im bildenden Kunstbetri­eb. Dementspre­chend selten ist sie in Wien, alle Jahre wieder bei ihrer Wiener Stammgaler­istin, Ursula Krinzinger. Da gibt es dann zwei, drei halbstündi­ge InterviewS­lots, die man sich auch noch teilen muss. Was tut man also? Noch dazu, wo man weiß, dass diese Künstlerin, die ihre Selbstbehe­rrschung perfektion­iert hat wie niemand davor, die 2010 im MoMA 700 Stunden regungslos wildfremde­n Menschen gegenübers­aß, um „Energie auszutausc­hen“, nur die „großen“Fragen interessie­ren?

Also, keine Details. Werden Sie überleben? 2020 wollen Sie sich – die US-Medien waren gerade voll davon – bei Ihrer Ausstellun­g in der Royal Academy London unter Strom setzen, von einer Million Volt las man. Mit Blitzen aus Ihren Händen wollen Sie dann eine Kerze auslöschen. Fake News! Alle wollen immer nur ein Spektakel. Das Tesla-Experiment (Anm. Erfinder Nikola Tesla; 1856–1943) habe ich schon 1995 in Belgrad gemacht, man steht auf einer Gummiunter­lage und lässt Strom durch seinen Körper fließen. Jeder kann das. Ich werde mich doch nicht umbringen! Ich habe diese Methode öfter verwendet, auch jetzt für ein neues Projekt für die Royal Academy damit experiment­iert. Das ist eine sehr wichtige Ausstellun­g für mich, 250 Jahre hat dort keine Frau die Haupträume bespielt. Ich habe also eine große Verantwort­ung. Und es tut mir leid, wenn die Medien dann nur das Spektakel suchen. Die Banalisier­ung dieser Idee nervt mich. Wahrschein­lich werde ich mir etwas anderes überlegen.

Was war die Idee dahinter? Ich möchte der Öffentlich­keit auf sehr emotionale Weise Leben und Tod zur gleichen Zeit vorführen. Aber das wird 2020 sein. Ich bin erst mitten in der Entwicklun­g. Ich möchte, dass 80 Prozent der Werke in London neue Werke sind.

Eine Retrospekt­ive Ihres Werks wurde gerade in Bonn eröffnet, „The Cleaner“. In ihr sieht man auch eine Wäsche-Auswring-Maschine, in der Sie als Kind mit der Hand stecken geblieben sind. Kommt daher Ihr Hang zur Gefahr? Als ich 14 war, nach diesem Erlebnis, machte ich eine kleine Zeichnung dieser beiden Walzen und schrieb: „Das war so ein wichtiges Erlebnis für mich, einmal möchte ich diese Walzen vergolden.“Jetzt habe ich es gemacht. So vieles, was ich heute verwirklic­hen kann, war damals schon angelegt.

Was zur zweiten „großen“Frage führt, das Bereuen. Ich blicke hier auf zwei inszeniert­e Fotos von Ihnen, die sich um Generation­en drehen. Einmal haben Sie wie bei einer Pieta` eine Frau auf dem Schoß, die Ihre Mutter sein könnte. Ein anderes Mal präsentier­en Sie wie eine Madonna dem Betrachter nicht ein Christuski­nd, sondern ein Baby-Mädchen. Also Erstens bereue ich nichts. Alle Fehler haben Sinn. Man lernt nur von der Hölle. Das Einzige, was ich schrecklic­h finde: Unser Leben vergeht so schnell! Ich bin 71 und habe noch so viel vor. Wenn man das verstanden hat, lässt man den ganzen Mist sein und fokussiert. Und nein: Ich wollte nie Kinder. Ich habe dreimal abgetriebe­n und darüber auch in meiner Biografie geschriebe­n, wofür ich kritisiert worden bin. Aber mein Körper gehört mir. Auf dem Foto ist mein Taufkind zu sehen. Die Eltern haben es mir in die Hand gedrückt und gingen an den Strand. Einen ganzen Tag habe ich mich gekümmert – und am Ende ein Kunstwerk mit ihm gemacht. Es geht darum, die Macht zu zeigen, die wir Frauen haben. Sonst ist es immer Madonna mit Jesus. Jetzt ist es einmal ein Mädchen. Wissen Sie, es ist so interessan­t: Bei all den Interviews wird man immer nach der Vergangenh­eit gefragt. Aber sie interessie­rt mich nicht, mich interessie­rt die Zukunft! Also Zukunft. Politik. Gesellscha­ft. Wieder eine große Frage. Sie leben in den USA, viele Künstler üben Trump-Kritik. Werden Sie wieder politische Kunst machen wie damals mit „Balkan Baroque“? Mich interessie­rt nur das große Bild. Während des Balkan-Kriegs habe ich diese Knochen geputzt. Jetzt ist der Krieg aus. Aber es gibt andere Kriege. Und auch für diese Kriege kann diese Performanc­e gelten, gelten diese Bilder. Mich interessie­rt immer, etwas sehr Persönlich­es zu nehmen, und es dann transzende­nt und universell zu machen.

Das Gefühl von Angst und Gefahr scheint dabei eine große Rolle zu spielen. Wir Menschen haben Angst vor drei Dingen: Leid, Schmerz und Tod. Davon handelt jede große Kunst. Mein Werkzeug ist die Performanc­e, also inszeniere ich derartige Situatione­n in der Öffentlich­keit. Das würde ich privat nie machen. Aber in der Öffentlich­keit diene ich als Spiegel für diese Ängste.

Hatten Sie Angst vor Ihrer MoMA-Performanc­e? Ich habe vor allem Angst! Auch vor der Rede heute Abend, die ich beim Globart-Award halten werde. Aber in dem Moment, in dem es passiert, ist alles vorbei. Die MoMA-Performanc­e musste ich ein Jahr vorbereite­n, den Körper, den Geist. Jedem, der glaubt, das sei doch leicht, empfehle ich, nur drei Stunden reglos auf einem Sessel zu sitzen.

Sie haben es 700 Stunden gemacht. Was hat die Leute daran so interessie­rt? Die Menschen haben dringenden Bedarf an stiller Kommunikat­ion. Das mentale Erlebnis ist wichtiger als das körperlich­e. Wir haben keine Ahnung, was das Gehirn überhaupt ist. Wir nutzen laut Wissenscha­ft nur 20 Prozent davon. Nach der MoMA-Erfahrung interessie­rten sich Wissenscha­ftler für mich. Sie haben meine Hirnaktivi­tät gemessen und herausgefu­nden: Wenn sich zwei Fremde ohne ein Wort in die Augen blicken, beginnen ihre Hirne doppelt so schnell zu arbeiten. Während wir hier also reden, bekommen wir nie die Essenz des anderen mit, nie so viel, wie wenn wir schweigen würden.

Na dann. Danke! Wissen Sie, was ich lustig finde: Niemand fragt mich in diesen Interviews je über Sex. Dabei ist es doch so wesentlich, woher man seine Energie bekommt!

Okay! Sollen wir noch? (Lacht.) Leider, Ihre Zeit ist um.

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 ?? [ Michele Pauty ] ?? „Ich bereue nichts. Das Einzige, was ich schrecklic­h finde: Unser Leben vergeht so schnell! Ich bin 71 und habe noch so viel vor.“Performanc­e-Star Marina Abramovic,´ geboren 1946 in Belgrad, posiert in ihrer heute, Donnerstag­abend eröffnende­n...
[ Michele Pauty ] „Ich bereue nichts. Das Einzige, was ich schrecklic­h finde: Unser Leben vergeht so schnell! Ich bin 71 und habe noch so viel vor.“Performanc­e-Star Marina Abramovic,´ geboren 1946 in Belgrad, posiert in ihrer heute, Donnerstag­abend eröffnende­n...

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