Amnesty sieht türkische NGOs in Gefahr
Menschenrechte. Organisation kritisiert systematische Demontage von zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Ankara/Wien. Die einst dynamische Zivilgesellschaft ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst – das ist eine der Erkenntnisse von Amnesty International zur aktuellen Lage in der Türkei. In ihrem neuen Bericht hält die Menschenrechtsorganisation fest, dass Ankara zivilgesellschaftliche Akteure systematisch und bewusst demontiere und festnehmen lasse. Darüber hinaus werde „ein erdrückendes Klima der Angst geschaffen“, wie Gauri van Gulik, Europadirektorin von Amnesty sagt. Kritisiert wird vor allem der Ausnahmezustand, der nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 verhängt und erst in der vergangenen Woche zum siebten Mal verlängert worden ist.
Im Rahmen dieses Ausnahmezustandes – es gilt beispielsweise ein eingeschränktes Versammlungsrecht – schlossen die Behörden mehr als 1300 Nichtregierungsorganisationen, „weil sie nicht näher benannte Verbindungen zu ,terroristischen‘ Organisationen unterhalten haben sollen“, heißt es weiter. Betroffen ist etwa ein Verein in der ostanatolischen Provinz Van, der Frauen und Kinder über sexuelle Gewalt aufgeklärt hat, oder Organisationen für die Stärkung der Homosexuellenrechte. Einer der prominenteren Fälle in der Türkei betrifft Amnesty International selbst: Der Präsident dieser Niederlassung, Taner Kılıc,¸ saß mehrere Monate in Haft. Die Behörden werfen ihm vor, die Mitteilungsapp ByLock benutzt zu haben; diese App hätten schließlich auch die Verschwörer des gescheiterten Putsches verwendet. Amnesty International ließ das Mobiltelefon Kılıcs¸ forensisch untersuchen und kommt zu dem Schluss, dass er diese App nie verwendet habe.
Prozess gegen Me¸sale Tolu fortgesetzt
Auch der Fall Osman Kavala schlägt hohe Wellen: Der Unternehmer und Aktivist sitzt seit Oktober 2017 im Gefängnis, er soll in Kontakt mit den Putschisten gewesen sein. Amnesty kritisiert, dass die Ermittler bis heute keine Beweise dafür erbracht haben. Die Liste der Betroffenen ließe sich noch lange fortsetzen. Allein seit Jänner, mit dem Beginn der türkischen Offensive im syrischkurdischen Afrin, haben die Behörden 845 Menschen festgenommen, weil sie sich in sozialen Medien kritisch über den Einsatz geäußert haben, heißt es im Bericht. Auch der neueste Bericht der NGO Reporter ohne Grenzen zeichnet ein düsteres Bild von der Türkei. Das Land ist im Ranking der internationalen Pressefreiheit erneut abgerutscht und belegt nun Platz 157 von insgesamt 180. Gleich mehrere Prozesse werden derzeit gegen Journalisten geführt, etwa das Verfahren gegen Mitarbeiter der liberalen Zeitung „Cumhuriyet“.
Der Prozess gegen die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale¸ Tolu wird indessen am heutigen Donnerstag fortgesetzt. Fast acht Monate lang war Tolu in Istanbul inhaftiert, zeitweise mit ihrem kleinen Sohn. „Ich hoffe natürlich, dass meine Meldepflicht und meine Ausreisesperre aufgehoben werden“, sagte Tolu der Deutschen Presse-Agentur. Momentan darf sie die Türkei nicht verlassen, sie muss sich regelmäßig bei der Polizei melden. Ihr und auch den „Cumhuriyet“-Journalisten werfen die Behörden Terrorpropaganda vor. Die Inhaftierung von Tolu sowie dem „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel hatte zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Berlin und Ankara geführt.
Wien. Was er von den Reformplänen der Bundesregierung für die Sozialversicherungen halte? Grundsätzlich viel, sagt der steirische Gesundheitslandesrat, Christopher Drexler (ÖVP). Der „tiefgreifende und weitgehende Ansatz“sei „goldrichtig“– es müssten allerdings einige wesentliche Punkte berücksichtigt werden.
Krankenkassen
Nach der Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer bundesweiten Kasse (ÖGK) brauche es „teilautonome Landesstellen mit entscheidungsbefugten, kompetenten Ansprechpartnern“. Die Länder sollten ihre Gesundheitsziele weiterhin selbst festlegen. Und auch die Gesundheitsplanung sei vor Ort sinnvoller. Denn hier, so Drexler, müsse sich der niedergelassene Bereich mit dem stationären Bereich, der ja von den Bundesländern verwaltet wird, abstimmen.
Was sich dann, abgesehen vom neuen Etikett ÖGK, überhaupt ändern werde? „Wir bekommen ein einheitliches Leistungsniveau, vom Neusiedler See bis zum Bodensee“, prophezeit der steirische Landesrat. Im Backoffice-Bereich würden sämtliche Synergien geschlossen, wobei man sich bei Reformen nie einen schnellen Gewinn erwarten dürfe (das hat unter anderem die Fusion von Eisenbahner- und Bergbaukasse gezeigt). Und es sei ihm auch egal, ob die zentrale Beitragseinhebung dann in Wien, Linz oder Graz über die Bühne gehe.
Dass die Sozialversicherungsbeiträge künftig vom Finanzminister und nicht mehr von den Sozialversicherungen eingehoben werden könnten, wie in den vergangenen Wochen immer wieder kolportiert wurde, glaubt der Landesrat nicht. Zumal es rechtliche Bedenken von Experten gebe. Er selbst sei für beide Varianten zu haben, aber es wäre wohl „eleganter“, wenn die Beitragshoheit bei den Kassen bliebe.
AUVA
Veränderungen kann sich Drexler bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) vorstellen. „Wir können über jede Reform bis hin zur Auflösung reden.“Im Falle einer Zerschlagung müsste das Aufgabenportfolio der AUVA aufgeteilt werden: Die Heilbehandlung sollte in den niedergelassenen Bereich, also zu den Krankenkassen wandern, die Rehabilitation in die Pensionsversicherung, die Unfallprävention ins Arbeitsinspektorat. Und die Länder, die ohnehin für die Spitäler zuständig sind, müssten dann konsequenterweise die Unfallkrankenhäuser übernehmen. „Aber ohne Standortgarantie, wie sie Ministerin Beate Hartinger-Klein abgegeben hat“, so Drexler. Das sei Politik aus dem vorigen Jahrhundert.
Sollte es so kommen, werde man jedenfalls auch übers Finanzielle reden müssen: „Wenn wir die Unfallkrankenhäuser übernehmen, muss auch das Geld dafür (aus dem Bundestopf, Anm.) mitwandern.“Die Zusatzkosten könnten die Länder nämlich nicht einfach aus ihren Budgets stemmen.
Hauptverband
Wenn am Ende der Reform bloß vier oder fünf Sozialversicherungsträger übrig bleiben, verändert sich laut Drexler auch die Rolle des Hauptverbandes, des Dachverbands der Kassen. Die Frage sei, ob man diese Stelle für Koordinationstätigkeiten und den Finanzausgleich zwischen den einzelnen Trägern dann überhaupt noch brauche.
Jedenfalls, so der Landesrat, müsse der Hauptverband, der gemäß türkis-blauem Reformkonzept in Dachverband umbenannt werden soll, stark verschlankt werden. „Für die Menschen ist es wichtig, dass es ausreichend Ärzte und Pfleger gibt – und nicht, wie viele Direktoren und Funktionäre im Hintergrund werken.“
Wir bekommen ein einheitliches Leistungsniveau, vom Neusiedler See bis zum Bodensee.
Christopher Drexler, Gesundheitslandesrat