„Es ist mir wurst, ob es den Amerikanern gefällt“
Interview. Europa muss sich von der Abhängigkeit von Amerika lösen, sagt Wirtschaftskammer-Präsident Leitl. Der größte Feind der Demokratie sei nicht China, sondern der Bürokratismus. Der Regierung wünscht er die Kraft zur Umsetzung.
Die Presse: Bei Abschiedsinterviews bemerkt man das eigene Alter. Daher ist das jetzt einfach kein Abschiedsinterview. Christoph Leitl: Ich bedanke mich sehr für diese Einleitung. Ich sehe das genauso. Ich gehe nur eine Stufe höher, bin ja Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer. Ich vertrete also 47 Länder. Die große Stärke sind aber 1700 regionale Wirtschaftskammern. Wenn es uns gelingt, diese 1700 zu mobilisieren, dann wird das eine politische Kraft, die kaum eine andere Organisation aufzuweisen hat.
Eine Kraft auch in der globalen Diskussion über Handelskriege und Protektionismus? China möchte bis 2049 die stärkste politische, wirtschaftliche und militärische Macht sein. Und China möchte beweisen, dass ihre Regierungsform besser ist als jene der westlichen Demokratien.
Und wie sieht das der überzeugte Demokrat Christoph Leitl? 2049 ist nicht nur für China ein entscheidendes Datum, sondern auch für Europa. Das Jahr 1949 steht nicht nur für den Beginn der Volksrepublik, sondern auch für die Gründung des Europarats in Straßburg. Wir können das Match mit unseren demokratischen Werten gewinnen, sofern wir diese Demokratie nicht durch zu viel Bürokratie killen. Diese Gefahr besteht. Wenn wir zu einer effizienten Demokratie zurückfinden, sind wir 2049 allen autokratischen Systemen der Welt überlegen.
Aber was soll Europa diesem Investitionsimperialismus Chinas entgegensetzen? China ist ja dabei, ganze Länder aufzukaufen. Da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Österreich ist mit vier Milliarden Euro in China investiert, China mit einer Milliarde in Österreich. Die schlechte: Allein im letzten Jahr haben die Chinesen mehr als 40 Milliarden in Europa investiert, Europa allerdings nur acht in China. Wir sind hier an der Kippe. Deshalb auch meine Forderung an China: Wenn ihr es ernst meint mit Wettbewerb, dann müssen Barrieren, die österreichische Investoren in China vorfinden, beseitigt werden.
Das fordert Trump auch. Trump hat in der grundsätzlichen Analyse nicht ganz unrecht, es ist nur die Art seiner Vorgangsweise eine inferiore. Gerade mit Asiaten muss man konsequent verhandeln. Einfach hineindreschen ist kein Stil, der Vertrauen erweckt.
Einige Hiebe haben gesessen. Es ist ihm gelungen, mit den Koreanern die Öffnung des Automarkts zu erreichen. Es ist gelungen, dass China amerikanisches Rindfleisch auf seinen Markt lässt. Aber das gravierende Außenhandelsdefizit der Amerikaner hat ja mehrere Ursachen. Eine ist die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie. Man muss sich nur die Infrastruktur ansehen. Die Chinesen haben sich ihre Geldspeicher mit 4000 Milliarden Dollar gefüllt und gehen damit weltweit auf Einkaufstour.
Sie schaffen so Abhängigkeiten. Aber was machen wir Europäer? Wir lösen uns nicht aus der Abhängigkeit von den Amerikanern. Wir fürchten uns vor China und vertiefen den Konflikt mit Russland. Ich weiß wirklich nicht, welche Strategie Europa verfolgt.
Womöglich hat Europa gar keine Strategie? Das ist auch meine Befürchtung.
Wie einig Europa ist, wird man bei den Besuchen von Macron und Merkel in Washington sehen. Dass sie nicht gemeinsam, sondern hintereinander zu Trump fahren, löst bei mir schon Kritik aus. Europa muss dringend sein äußeres Erscheinungsbild ändern.
Und wie schaut es mit dem Bild nach innen aus? Ist das Europabewusstsein in Österreich genügend ausgeprägt? Wenn ich in Grein bin, heißt es: „Ihr in Linz!“Bin ich in Linz: „Die in Wien!“Und in Wien sagen sie: „Brüssel ist furchtbar.“Man ver- schiebt gern Probleme, die man selbst nicht lösen kann oder nicht lösen will. Wir müssen endlich aufhören zu sagen: „Die in Brüssel!“Es sollte heißen: Wir in Brüssel.
Beim Frühjahrstreffen von Weltbank und IWF gab es für Österreich Kritik von den USA, weil wir Russlands Präsidenten Putin im Juni nach Wien einladen. Was antworten Sie auf diese Kritik? Ehrlich gesagt, ist es mir wurst, ob es den Amerikanern gefällt oder nicht. Die USA demaskieren sich ja selbst. Jetzt wird der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un plötzlich hofiert, zugleich wird der Vertrag mit dem Iran in Frage gestellt. Auch wurde in einer unverschämten Art und Weise ein Gesetz in den US-Kongress eingebracht, in dem es um die Eindämmung des wirtschaftlichen Einflusses von Russland auf Europa geht. Es geht gar nicht um Sicherheit, sondern nur darum, Nachteile von Amerika abzuwenden. Die Amerikaner setzten immer Politik für ihre wirtschaftlichen Vorteile ein.
Aber auch bei Russland stellt sich die Frage, wie wir mit autoritären Systemen umgehen. Hans Dietrich Genscher meinte, wir müssen mit aller Welt Handel treiben, aber gleichzeitig auch unsere Werte darlegen. Aber ein erhobener Zeigefinger steht gerade uns Europäern nicht gut an. Wir haben im vergangenen Jahrhundert so viele Verbrechen begangen, dass wir zum Oberlehrer der Welt nicht taugen. Wir müssen vielmehr schauen, was in einer brüchigen Welt die Menschen noch verbindet. Und Leute, die miteinander Handel treiben, schlagen sich nicht den Schädel ein. Deshalb glaube ich auch nicht, dass Wirtschaftssanktionen wie die gegen Russland hilfreich sind.
Was empfehlen Sie Harald Mahrer, der Ihnen im Mai nachfolgt? Er braucht keine Empfehlungen. Ich freue mich, dass es zu einem Generationswechsel kommt, dass er in das digitale Zeitalter perfekt hineinpasst und politische Erfahrung mitbringt.
Sie galten als Großkoalitionär. Verlieren die Sozialpartner an Durchschlagskraft, oder können sie neben Türkis-Blau ihr Profil schärfen? Ich war Großkoalitionär, solange ich davon überzeugt war, dass die große Koalition die großen Probleme lösen kann. Das hat sie zehn Jahre vergeblich versucht. Jetzt schauen wir, ob diese Regierung nach all den Ankündigungen auch die Kraft der Umsetzung hat. Ob sie wie angekündigt die Mehrfachbestrafung von Unternehmen für ein und dasselbe Vergehen bis Ende Juni abschafft. Ob wir flexiblere Arbeitszeiten bekommen, ob nach den Landtagswahlen endlich eine Bundesstaatsreform angegangen wird. Und schließlich müssen die Defizite beseitigt werden. Es ist eine Schande, dass wir noch immer eine Schuldenpolitik machen.