Die Presse

Haben Mäuse mit Menschenhi­rnen auch Menschenre­chte?

Grundsätzl­iches. Die jüngsten Kreaturen der Molekularb­iologie sind Mischwesen mit Tierschäde­ln, in deren Gehirne Minigehirn­e von Menschen eingebaut werden, die im Labor gezogen wurden. Die Aussichten sind schwindele­rregend, für Forschung und Ethik.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wie soll man mit Versuchsti­eren umgehen, Mäusen und Ratten, die einzelne Zellen oder ganze Organe von Menschen in sich tragen, und das nicht irgendwo, sondern im Gehirn? Haben solche Mischwesen nach Ablauf der Experiment­e ein Recht auf Ausgedinge? Und wenn sie einmal tot sind, sollen sie dann in den Müll oder in ein Grab?

Absurd sind solche Fragen nicht, sie stellten sich erstmals 2004, als Molekularb­iologe Irving Weissman (Stanford) ankündigte, aus embryonale­n Stammzelle­n (ES) von Menschen in Schädeln von Mäusen komplette Menschenhi­rne wachsen zu lassen. Ob er das je versucht hat, ist unbekannt, den Segen der Ethikkommi­ssion seiner Uni hatte er. Aber die US-Gesundheit­sbehörde NIH wurde hellhörig, sie verbot der öffentlich geförderte­n Forschung das Einbringen von ES des Menschen in Schädel von Tieren.

An den Einbau schon fertiger Gehirne dachte damals niemand, die Perspektiv­e eröffnete sich erst, als es 2013 Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnol­ogie (IMBA) in Wien gelang, in Petrischal­en aus ES Minigehirn­e des Menschen zu ziehen, Organoide. Das eröffnete schwindele­rregende Aussichten: Endlich würde man unser Gehirn im Labor studieren können, und seine vielen Leiden auch!

Aber die ersten Organoide konnten nicht weit wachsen – etwa bis zur Größe von Linsen –, sie konnten auch nicht lange leben: Sie hatten keine Blutgefäße, das ist in Petrischal­en noch nicht gelungen. Aber in Mäusen und Ratten: Pflanzt man Organoide in deren Hirne ein, werden sie integriert und an die Blutversor­gung angeschlos­sen. Fred Gage (Salk Institute) und Isaac Chen (Penns) berichtete­n im November auf einem Kongress von einem entspreche­nden Experiment. In die Details gingen sie nicht, da noch nichts publiziert war. Nun ist es da (Nature Biotechnol­ogy 16. 4.). Aber zum Erstaunen und Ärger von Gage/Chen war eine Gruppe um Ben Waldau (UC Davis) rascher und veröffentl­ichte am 10. 4. ganz Ähnliches ( Neurorepor­t). Gage/Chen hatten nicht geahnt, dass andere im Rennen sind: Nicht einmal die Community hat einen Überblick darüber, wer wo was macht. Das ist das eine Problem.

Wie weit bringen es solche Gehirne?

Es werden wohl auch mehr als zwei Labors sein, das mag dahinterst­ehen, dass 17 Forscher in Nature dringlich die Grundsatzd­ebatte anmahnen (25. 4.). Zu dieser Gruppe zählt Bioethiker Henry Greely (Stanford), zu ihr zählt Biologin Paola Arlotta (Cambridge, Mass.) – sie hat bemerkt, dass Organoide in Petrischal­en auf Licht reagieren, also Wahrnehmun­g haben –, zu ihr zählt George Church, der die Molekularb­iologie vorantreib­t wie kein anderer, auf vielen Feldern, er will etwa das Mammut auferstehe­n lassen. Das ist heikel genug, aber Menschenhi­rne in Tierschäde­ln stellen andere Fragen: Wie weit können sie sich in Mäusen entwickeln, und wie weit könnten sie es in Tieren mit größeren Schädeln? Und was könnten sie entwickeln, über das Wahrnehmen hinaus, könnten sie zu Bewusstsei­n kommen? Und wie sollte man das erkennen?

Und: Wem gehören die Gehirne, den Menschen, aus deren Zellen sie gebaut wurden? Werden sie auch deren Erinnerung­sspuren haben? Und: Wer vertritt die Interessen der Gehirne, Sachwalter? „Könnte Organismen, die nicht biologisch menschlich sind, je ein gewisser Grad des moralische­n Status eines Menschen zustehen?“Die Fragen nehmen kein Ende, und die Gruppe will mit ihnen die Forschung auch nicht stoppen: „Aber um den Erfolg und die soziale Akzeptanz dieser Forschung zu sichern, muss ein ethischer Rahmen jetzt geformt werden.“

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