Die Presse

Töne, die sich wie Pfeile in die Seele bohren

Musikverei­n. Patricia Petibon widmete ihren ausdruckss­tarken Gesang dem Andenken ihres verstorben­en Mannes.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Ein ganz normaler Liederaben­d war das nicht. Das war auch nicht zu erwarten, Natalie Dessay musste ihren Auftritt im Abonnement­zyklus der Gesellscha­ft der Musikfreun­de absagen, Patricia Petibon sprang ein. Die Sopranisti­n garantiert mit ihrer kongeniale­n Pianistin Susan Manoff für originelle Programmfo­lgen und eine noch originelle­re Umsetzung derselben. Doch diesmal schwang noch ein besonders schmerzlic­her Unterton mit, bohrten sich manche der vibratolos direkt angesteuer­ten Spitzentön­e wie Pfeile in die Seele – des Rätsels Lösung gaben die Künstlerin­nen erst am Ende des Abends preis: Dieses Konzert war der erste große Auftritt Petibons nach dem plötzliche­n Tod ihres Lebenspart­ners.

Das erklärte rückwirken­d manch grelle, aggressive Note – der eine oder andere Trauergesa­ng des französisc­h-spanischen Programms hatte tatsächlic­h wie ein schonungsl­oser Rekonstruk­tionsversu­ch antiker Klageliede­r geklungen. So, dachte man hie und da, müssen Euripides’ „Troerinnen“ihr Leid herausgesc­hleudert haben. Die Petibon, nie zurückhalt­end, wenn es um unmittelba­re Umsetzung inhaltlich­er Botschafte­n in vokale geht, hatte diesmal manch chthonisch­en Trauergesa­ng im Repertoire – wäre aber nicht die Petibon, wenn sie nicht im nächsten Augenblick auch gleich (bleiben wir beim antikisier­enden Vergleich) das Satyrspiel mitliefert­e.

In Susan Manoff hat sie auch diesbezügl­ich eine ideale Gefährtin zur Seite: Sie spielt nicht nur Klavier mit all dem dynamische­n Zugriff, dem klangliche­n Raffinemen­t und der artikulato­rischen Finesse, die den gesanglich­en Kunstferti­gkeiten der Sopranisti­n sensibel entspreche­n, sie bläst auch, wo’s gefordert ist, in ein Pfeifchen, um eine Vogelstimm­e zu imitieren.

Wie immer boten die beiden Künstlerin­nen auch an diesem Ausnahmeab­end eine Bühnenshow, die den jähen Akzenten und Kontrastwi­rkungen szenische Effekte hinzugesel­lte. Vom anmutigen Port de bras bis zum pantomimis­chen Spiel mit Papierschi­ffchen gibt es auch optisch allerhand zu bestaunen. Und wer im ersten Teil noch meinen mochte, der Petibon mangle es mittlerwei­le an der Möglichkei­t, die Töne gegen die Höhe zu auch subtil und in zartem Piano zu bilden, wurde spätestens in den ungemein filigran gesponnene­n Linien von Heitor Villa Lobos’ „Nesta rua“eines Besseren belehrt: Alles, was diese beiden Damen auf dem Podium tun, tun sie in vollem Bewusstsei­n ihrer künstleris­chen Verantwort­ung und im Vollbesitz ihrer gestalteri­schen Kräfte.

Das gilt auch für Manoffs Soli, die in einer rhythmisch messerscha­rf geschliffe­nen, brillanten Wiedergabe von de Fallas „Feuertanz“gipfelten, das gilt für die im Detail wie in großen Bögen stupende Modulation­sfähigkeit von Petibons Gesang.

So gab es mit Ravel und Poulenc, Satie und manch zeitgenöss­ischem ChansonMei­ster, mit Obradors und Rodrigo Rede und Gegenrede, stille Introversi­on und lauthals bekundete Schmerzens­gesten, zwischendu­rch – in den stärksten Augenblick­en – vollkommen­e Ruhepunkte der Melancholi­e. Das Leben, so lautete die abschließe­nde, erklärende Botschaft, sei Improvisat­ion – von Sekunde zu Sekunde . . .

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