Töne, die sich wie Pfeile in die Seele bohren
Musikverein. Patricia Petibon widmete ihren ausdrucksstarken Gesang dem Andenken ihres verstorbenen Mannes.
Ein ganz normaler Liederabend war das nicht. Das war auch nicht zu erwarten, Natalie Dessay musste ihren Auftritt im Abonnementzyklus der Gesellschaft der Musikfreunde absagen, Patricia Petibon sprang ein. Die Sopranistin garantiert mit ihrer kongenialen Pianistin Susan Manoff für originelle Programmfolgen und eine noch originellere Umsetzung derselben. Doch diesmal schwang noch ein besonders schmerzlicher Unterton mit, bohrten sich manche der vibratolos direkt angesteuerten Spitzentöne wie Pfeile in die Seele – des Rätsels Lösung gaben die Künstlerinnen erst am Ende des Abends preis: Dieses Konzert war der erste große Auftritt Petibons nach dem plötzlichen Tod ihres Lebenspartners.
Das erklärte rückwirkend manch grelle, aggressive Note – der eine oder andere Trauergesang des französisch-spanischen Programms hatte tatsächlich wie ein schonungsloser Rekonstruktionsversuch antiker Klagelieder geklungen. So, dachte man hie und da, müssen Euripides’ „Troerinnen“ihr Leid herausgeschleudert haben. Die Petibon, nie zurückhaltend, wenn es um unmittelbare Umsetzung inhaltlicher Botschaften in vokale geht, hatte diesmal manch chthonischen Trauergesang im Repertoire – wäre aber nicht die Petibon, wenn sie nicht im nächsten Augenblick auch gleich (bleiben wir beim antikisierenden Vergleich) das Satyrspiel mitlieferte.
In Susan Manoff hat sie auch diesbezüglich eine ideale Gefährtin zur Seite: Sie spielt nicht nur Klavier mit all dem dynamischen Zugriff, dem klanglichen Raffinement und der artikulatorischen Finesse, die den gesanglichen Kunstfertigkeiten der Sopranistin sensibel entsprechen, sie bläst auch, wo’s gefordert ist, in ein Pfeifchen, um eine Vogelstimme zu imitieren.
Wie immer boten die beiden Künstlerinnen auch an diesem Ausnahmeabend eine Bühnenshow, die den jähen Akzenten und Kontrastwirkungen szenische Effekte hinzugesellte. Vom anmutigen Port de bras bis zum pantomimischen Spiel mit Papierschiffchen gibt es auch optisch allerhand zu bestaunen. Und wer im ersten Teil noch meinen mochte, der Petibon mangle es mittlerweile an der Möglichkeit, die Töne gegen die Höhe zu auch subtil und in zartem Piano zu bilden, wurde spätestens in den ungemein filigran gesponnenen Linien von Heitor Villa Lobos’ „Nesta rua“eines Besseren belehrt: Alles, was diese beiden Damen auf dem Podium tun, tun sie in vollem Bewusstsein ihrer künstlerischen Verantwortung und im Vollbesitz ihrer gestalterischen Kräfte.
Das gilt auch für Manoffs Soli, die in einer rhythmisch messerscharf geschliffenen, brillanten Wiedergabe von de Fallas „Feuertanz“gipfelten, das gilt für die im Detail wie in großen Bögen stupende Modulationsfähigkeit von Petibons Gesang.
So gab es mit Ravel und Poulenc, Satie und manch zeitgenössischem ChansonMeister, mit Obradors und Rodrigo Rede und Gegenrede, stille Introversion und lauthals bekundete Schmerzensgesten, zwischendurch – in den stärksten Augenblicken – vollkommene Ruhepunkte der Melancholie. Das Leben, so lautete die abschließende, erklärende Botschaft, sei Improvisation – von Sekunde zu Sekunde . . .