Etwas Besseres als den Tod findest du überall
Das britische Höchstgericht hat den kleinen Alfie zum Tod verurteilt. Angeblich in seinem Interesse. Alfies Eltern aber wollen ihn weiter behandeln lassen.
Zwei Babys, zwei Mütter gleichen Namens, zwei Schicksale, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Während die internationalen Fotoagenturen gar nicht genug Bilder vom royal baby der Herzogin Kate liefern können, um den Bedarf des Boulevards zu decken, kämpft eine andere Kate an der Seite ihres Mannes um das Recht, ihrem zwei Jahre alten todkranken Sohn Alfie eine letzte Chance zu geben, auch wenn sie noch so gering ist. Die Eltern wollen ihn nach Rom bringen, wo er weiter palliativ behandelt werden soll.
Alfie ist seit eineinhalb Jahren Patient des Alder Hey Kinderspitals in Liverpool. Seit Dezember 2016 wird er dort künstlich beatmet und ernährt. Er leidet an einer seltenen, bisher nicht klassifizierten, unheilbaren degenerativen und progressiven Krankheit, die sein Gehirn zerstört. Die Ursachen der Erkrankung sind nicht bekannt, eine Therapie gibt es nicht.
Alfies Eltern stammen aus einfachen Verhältnissen. Tom Evans ist 21, seine Frau Kate ist 20 Jahre alt. Das sind nicht gerade ideale Voraussetzungen, um sich gegen prominente Ärzte, ein renommiertes Kinderspital und die britischen Gerichte bis hinauf zum Obersten Gerichtshof zur Wehr setzen zu können.
Von allen Seiten hören sie, dass der Tod im „Interesse des Kindes“sei. Es sei inhuman, es weiterhin künstlich zu beatmen und zu ernähren. Aber damit wollen Tom und Kate Evans sich nicht abfinden. Sie glauben daran, dass Alfie noch eine Chance hat. Sie hoffen, dass ihm anderswo geholfen werden kann. Vielleicht hoffen sie auch nur auf ein Wunder.
An der Kompetenz der britischen Kinderärzte und an der Qualität des Spitals bestehen keine Zweifel. In Liverpool wurde gewiss alles getan, was geboten erschien, um den kleinen Alfie zu retten. Ärzte und Spitäler sind nicht dazu verpflichtet, aussichtslose Fälle auf unbeschränkte Zeit zu versorgen – weder rechtlich noch moralisch. In jedem Spital der Welt ist der Tod zu Hause.
Die Eltern können die Ärzte nicht dazu zwingen, die künstliche Beatmung und Ernährung ad infinitum fortzusetzen, aber sie dürfen auch nicht daran gehindert werden, ihr Kind in ein anderes Spital zu bringen, das bereit ist, die palliative Behandlung fortzusetzen. Das Recht der Ärzte steht nicht über dem Recht der Eltern, selbst über den Zeitpunkt des Todes ihres Kindes zu entscheiden.
Der Fall Alfie wirft ein grundsätzliches Problem auf: Wer entscheidet, was im Interesse des Kindes ist? Der Staat, vertreten durch die Gerichte, die sich auf die medizinischen Gutachten stützen, oder die Eltern? Tom und Kate sind weder Alkoholiker noch drogenabhängig, sie sind nicht gewalttätig, sie haben ihr Kind weder geschlagen noch vernachlässigt. Es besteht überhaupt kein Grund, ihnen im Interesse des Kindes das Elternrecht zu verweigern. Ganz im Gegenteil, sie haben alles getan, um Alfie weiter behandeln zu lassen.
Das vatikanische Kinderspital Bambino Gesu` ist darauf vorbereitet, den Kleinen sofort aufzunehmen. Die italienische Regierung hat ein mit den nötigen medizinischen Geräten ausgestattetes Militärflugzeug bereitgestellt, um den gefahrlosen Transport nach Rom sicherzustellen.
Um die Übergabe zu erleichtern, hat die Regierung in Rom Alfie sogar die italienische Staatsbürgerschaft verliehen. Eine Welle mitmenschlicher Solidarität hat Italien und Großbritannien erfasst.
An Schmerzen scheint Alfie nicht zu leiden. Seine Konstitution ist robuster als vermutetet. Am Montagabend wurde die künstliche Beatmung eingestellt, aber zur großen Überraschung der Ärzte atmet Alfie weiter. Das Spital weigert sich jedoch immer noch, ihn herauszugeben. Die Direktorin des römischen Kinderspitals kehrte am Dienstag mit einer schlechten Nachricht aus England zurück. Sie war von den Behörden nicht einmal empfangen worden. Zählt das Prestige des Liverpooler Spitals und der britischen Justiz mehr als ein Menschenleben?