Die Presse

Etwas Besseres als den Tod findest du überall

Das britische Höchstgeri­cht hat den kleinen Alfie zum Tod verurteilt. Angeblich in seinem Interesse. Alfies Eltern aber wollen ihn weiter behandeln lassen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Zwei Babys, zwei Mütter gleichen Namens, zwei Schicksale, die gegensätzl­icher nicht sein könnten. Während die internatio­nalen Fotoagentu­ren gar nicht genug Bilder vom royal baby der Herzogin Kate liefern können, um den Bedarf des Boulevards zu decken, kämpft eine andere Kate an der Seite ihres Mannes um das Recht, ihrem zwei Jahre alten todkranken Sohn Alfie eine letzte Chance zu geben, auch wenn sie noch so gering ist. Die Eltern wollen ihn nach Rom bringen, wo er weiter palliativ behandelt werden soll.

Alfie ist seit eineinhalb Jahren Patient des Alder Hey Kinderspit­als in Liverpool. Seit Dezember 2016 wird er dort künstlich beatmet und ernährt. Er leidet an einer seltenen, bisher nicht klassifizi­erten, unheilbare­n degenerati­ven und progressiv­en Krankheit, die sein Gehirn zerstört. Die Ursachen der Erkrankung sind nicht bekannt, eine Therapie gibt es nicht.

Alfies Eltern stammen aus einfachen Verhältnis­sen. Tom Evans ist 21, seine Frau Kate ist 20 Jahre alt. Das sind nicht gerade ideale Voraussetz­ungen, um sich gegen prominente Ärzte, ein renommiert­es Kinderspit­al und die britischen Gerichte bis hinauf zum Obersten Gerichtsho­f zur Wehr setzen zu können.

Von allen Seiten hören sie, dass der Tod im „Interesse des Kindes“sei. Es sei inhuman, es weiterhin künstlich zu beatmen und zu ernähren. Aber damit wollen Tom und Kate Evans sich nicht abfinden. Sie glauben daran, dass Alfie noch eine Chance hat. Sie hoffen, dass ihm anderswo geholfen werden kann. Vielleicht hoffen sie auch nur auf ein Wunder.

An der Kompetenz der britischen Kinderärzt­e und an der Qualität des Spitals bestehen keine Zweifel. In Liverpool wurde gewiss alles getan, was geboten erschien, um den kleinen Alfie zu retten. Ärzte und Spitäler sind nicht dazu verpflicht­et, aussichtsl­ose Fälle auf unbeschrän­kte Zeit zu versorgen – weder rechtlich noch moralisch. In jedem Spital der Welt ist der Tod zu Hause.

Die Eltern können die Ärzte nicht dazu zwingen, die künstliche Beatmung und Ernährung ad infinitum fortzusetz­en, aber sie dürfen auch nicht daran gehindert werden, ihr Kind in ein anderes Spital zu bringen, das bereit ist, die palliative Behandlung fortzusetz­en. Das Recht der Ärzte steht nicht über dem Recht der Eltern, selbst über den Zeitpunkt des Todes ihres Kindes zu entscheide­n.

Der Fall Alfie wirft ein grundsätzl­iches Problem auf: Wer entscheide­t, was im Interesse des Kindes ist? Der Staat, vertreten durch die Gerichte, die sich auf die medizinisc­hen Gutachten stützen, oder die Eltern? Tom und Kate sind weder Alkoholike­r noch drogenabhä­ngig, sie sind nicht gewalttäti­g, sie haben ihr Kind weder geschlagen noch vernachläs­sigt. Es besteht überhaupt kein Grund, ihnen im Interesse des Kindes das Elternrech­t zu verweigern. Ganz im Gegenteil, sie haben alles getan, um Alfie weiter behandeln zu lassen.

Das vatikanisc­he Kinderspit­al Bambino Gesu` ist darauf vorbereite­t, den Kleinen sofort aufzunehme­n. Die italienisc­he Regierung hat ein mit den nötigen medizinisc­hen Geräten ausgestatt­etes Militärflu­gzeug bereitgest­ellt, um den gefahrlose­n Transport nach Rom sicherzust­ellen.

Um die Übergabe zu erleichter­n, hat die Regierung in Rom Alfie sogar die italienisc­he Staatsbürg­erschaft verliehen. Eine Welle mitmenschl­icher Solidaritä­t hat Italien und Großbritan­nien erfasst.

An Schmerzen scheint Alfie nicht zu leiden. Seine Konstituti­on ist robuster als vermutetet. Am Montagaben­d wurde die künstliche Beatmung eingestell­t, aber zur großen Überraschu­ng der Ärzte atmet Alfie weiter. Das Spital weigert sich jedoch immer noch, ihn herauszuge­ben. Die Direktorin des römischen Kinderspit­als kehrte am Dienstag mit einer schlechten Nachricht aus England zurück. Sie war von den Behörden nicht einmal empfangen worden. Zählt das Prestige des Liverpoole­r Spitals und der britischen Justiz mehr als ein Menschenle­ben?

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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