Ein geldverschlingender Moloch
Gesundheitsreform. Milliarden versickern im Gesundheitssystem im gewachsenen irren Kompetenzwirrwarr. Eine beherzte Kassenreform könnte die Blaupause für Besserung liefern.
Liebe Krankenkassenfunktionäre, liebe Landesgesundheitsreferenten, liebe Ärztekammerfunktionäre: Schauen Sie sich bitte in aller Ruhe noch einmal obige Grafik an. Sie kennen sie, sie stammt vom Rechnungshof und stellt die Finanzflüsse im Gesundheitssystem (die Länder sind dabei auf Salzburg und Burgenland beschränkt) dar. Irre, nicht?
So: Und jetzt erklären Sie uns anhand dieses surrealen Liniengeflechts bitte noch einmal, wieso im heimischen Gesundheitswesen eigentlich ohnehin alles so weit in Ordnung ist und wir deshalb keine tiefgreifende Organisationsreform benötigen. Zumal diese ja, wie Sie immer wieder betonen, ohnehin „nichts bringt“und „nur kostet“.
Vielleicht legen Sie diese Grafik in anonymisierter Form auch einem auf Konzernstrukturen spezialisierten Unternehmensberater vor und sagen ihm ehrlicherweise dazu, dass in diesem Geflecht selbstverständlich kein einheitliches Rechnungswesen herrscht, unterschiedliche zeitliche Abgrenzungen angewendet werden und in Untergliederungen „keine nachvollziehbaren Rechtsvorschriften“existieren. Und dass einige der eingezeichneten Knoten wegen des Einstimmigkeitsprinzips jede Änderung blockieren können.
Er wird ihnen, so er glaubt, ein Wirtschaftsunternehmen zu beurteilen, wahrscheinlich die schnelle Suche nach einem guten Masseverwalter empfehlen. Und erleich- tert sein, wenn er hört, dass es sich doch nicht um ein Unternehmen handelt, die Zeche für strukturelle Misswirtschaft also die Steuer- und Sozialbeitragszahler blechen.
Diese Strukturen, in denen immerhin fast 30 Mrd. Euro im Jahr bewegt werden, haben natürlich auch Auswirkungen. Lassen wir dazu als neutrale Stelle am besten die OECD sprechen: Diese sagt, dass wir mit Gesundheitsausgaben von 3808 Euro pro Kopf und Jahr an sechster Stelle unter den 28 EU- Staaten und jedenfalls weit über dem EU-Schnitt von 2797 Euro liegen. Dass sich diese hohen Ausgaben aber nicht im Gesundheitszustand der Bevölkerung widerspiegeln. Bei der Lebenserwartung liegen wir nämlich nur leicht über dem EU-Schnitt, bei der Anzahl der gesunden Jahre sogar leicht darunter.
Kurz gesagt: Wir erreichen mit sehr hohem Mitteleinsatz ein sehr mittelmäßiges Ergebnis. Ein Phänomen, das wir auch aus anderen Bereichen kennen, etwa der Bildung. Und das immer die gleichen Ursachen hat. Dazu aber später.
Die Diagnose lautet also: Wir könnten allein durch eine Straf- fung der Organisation sehr viel – da geht es um ein, zwei Mrd. Euro im Jahr – einsparen. Oder, was natürlich noch besser wäre, für dasselbe Geld eine sehr viel bessere medizinische Versorgung bekommen. Diese ist zwar schon jetzt unbestritten auch im europäischen Vergleich recht gut, hat aber – Stichwort Gangbetten in Spitälern und unzumutbare Wartezeiten für gewöhnliche Kassenpatienten – durchaus noch Luft nach oben.
Wir müssen also die Strukturen tiefgreifend reformieren. Dass das bisher nicht geschehen ist, ist der Hauptgrund dafür, dass alle sogenannten Gesundheitsreformen im Wesentlichen gescheitert sind. Als größtes Minus des heimischen Gesundheitssystems nennt die OECD die „Fragmentierung“(wie sie sich auch in der Finanzflussgrafik zeigt). Der Rechnungshof wird etwas konkreter: „Durch die Gesetzgebung war die Aufsplitterung der Kompetenzen auf Bund, Sozialversicherungen und Länder vorgegeben. Auch die Gesundheitsreform 2013 veränderte die zersplitterte Kompetenzlage nicht: Die Ausgaben-, Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung fiel weiterhin auseinander, ein gemeinsamer Finanzierungstopf wurde nicht erreicht und durch das Prinzip der Einstimmigkeit können notwendige Maßnahmen verhindert werden.“
Da haben wir es also wieder, das Problem, das die gesamte Re- publik im Stillstand hält: Bund, Länder und Sozialpartner (diesfalls in Form der Sozialversicherungen) pfuschen einander dank unklarer Kompetenzlage fröhlich ins Handwerk und streuen so permanent Sand ins Getriebe.
Dass die Regierung jetzt offenbar bei den Sozialversicherungen Ernst machen möchte, ist ein guter erster Schritt. Dieser wird noch nicht das große Geld bringen und auch unschöne Auswüchse wie die Wiener Gangbettenproblematik und die immer noch grassierende Zweiklassenmedizin nicht entschärfen, aber er ist eine Art Generalprobe: Wenn die Entflechtung dieses österreichischen Föderalismus- und Sozialpartnerdilemmas hier gelingt, dann könnte es eine schöne Blaupause für die echte Gesundheits-Organisationsreform sein. Sie sollte deshalb beherzt angegangen werden. Eine Reduktion von 21 auf fünf Sozialversicherungsträger ist das noch nicht. Da geht noch mehr.
Leicht wird es nicht. Denn schon jetzt kommen aus dem System Widerstände sonder Zahl. Der absurdeste davon: Die Warnung vor der Bildung eines „Molochs“in Wien. Diesen geldverschlingenden Moloch – auch hier hilft ein Blick auf die Geldflussgrafik – haben wir wohl jetzt. Es kann nur besser werden. Das ist einen politischen Kraftakt jedenfalls wert.