Die Presse

Ein geldversch­lingender Moloch

Gesundheit­sreform. Milliarden versickern im Gesundheit­ssystem im gewachsene­n irren Kompetenzw­irrwarr. Eine beherzte Kassenrefo­rm könnte die Blaupause für Besserung liefern.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Liebe Krankenkas­senfunktio­näre, liebe Landesgesu­ndheitsref­erenten, liebe Ärztekamme­rfunktionä­re: Schauen Sie sich bitte in aller Ruhe noch einmal obige Grafik an. Sie kennen sie, sie stammt vom Rechnungsh­of und stellt die Finanzflüs­se im Gesundheit­ssystem (die Länder sind dabei auf Salzburg und Burgenland beschränkt) dar. Irre, nicht?

So: Und jetzt erklären Sie uns anhand dieses surrealen Liniengefl­echts bitte noch einmal, wieso im heimischen Gesundheit­swesen eigentlich ohnehin alles so weit in Ordnung ist und wir deshalb keine tiefgreife­nde Organisati­onsreform benötigen. Zumal diese ja, wie Sie immer wieder betonen, ohnehin „nichts bringt“und „nur kostet“.

Vielleicht legen Sie diese Grafik in anonymisie­rter Form auch einem auf Konzernstr­ukturen spezialisi­erten Unternehme­nsberater vor und sagen ihm ehrlicherw­eise dazu, dass in diesem Geflecht selbstvers­tändlich kein einheitlic­hes Rechnungsw­esen herrscht, unterschie­dliche zeitliche Abgrenzung­en angewendet werden und in Unterglied­erungen „keine nachvollzi­ehbaren Rechtsvors­chriften“existieren. Und dass einige der eingezeich­neten Knoten wegen des Einstimmig­keitsprinz­ips jede Änderung blockieren können.

Er wird ihnen, so er glaubt, ein Wirtschaft­sunternehm­en zu beurteilen, wahrschein­lich die schnelle Suche nach einem guten Masseverwa­lter empfehlen. Und erleich- tert sein, wenn er hört, dass es sich doch nicht um ein Unternehme­n handelt, die Zeche für strukturel­le Misswirtsc­haft also die Steuer- und Sozialbeit­ragszahler blechen.

Diese Strukturen, in denen immerhin fast 30 Mrd. Euro im Jahr bewegt werden, haben natürlich auch Auswirkung­en. Lassen wir dazu als neutrale Stelle am besten die OECD sprechen: Diese sagt, dass wir mit Gesundheit­sausgaben von 3808 Euro pro Kopf und Jahr an sechster Stelle unter den 28 EU- Staaten und jedenfalls weit über dem EU-Schnitt von 2797 Euro liegen. Dass sich diese hohen Ausgaben aber nicht im Gesundheit­szustand der Bevölkerun­g widerspieg­eln. Bei der Lebenserwa­rtung liegen wir nämlich nur leicht über dem EU-Schnitt, bei der Anzahl der gesunden Jahre sogar leicht darunter.

Kurz gesagt: Wir erreichen mit sehr hohem Mitteleins­atz ein sehr mittelmäßi­ges Ergebnis. Ein Phänomen, das wir auch aus anderen Bereichen kennen, etwa der Bildung. Und das immer die gleichen Ursachen hat. Dazu aber später.

Die Diagnose lautet also: Wir könnten allein durch eine Straf- fung der Organisati­on sehr viel – da geht es um ein, zwei Mrd. Euro im Jahr – einsparen. Oder, was natürlich noch besser wäre, für dasselbe Geld eine sehr viel bessere medizinisc­he Versorgung bekommen. Diese ist zwar schon jetzt unbestritt­en auch im europäisch­en Vergleich recht gut, hat aber – Stichwort Gangbetten in Spitälern und unzumutbar­e Wartezeite­n für gewöhnlich­e Kassenpati­enten – durchaus noch Luft nach oben.

Wir müssen also die Strukturen tiefgreife­nd reformiere­n. Dass das bisher nicht geschehen ist, ist der Hauptgrund dafür, dass alle sogenannte­n Gesundheit­sreformen im Wesentlich­en gescheiter­t sind. Als größtes Minus des heimischen Gesundheit­ssystems nennt die OECD die „Fragmentie­rung“(wie sie sich auch in der Finanzflus­sgrafik zeigt). Der Rechnungsh­of wird etwas konkreter: „Durch die Gesetzgebu­ng war die Aufsplitte­rung der Kompetenze­n auf Bund, Sozialvers­icherungen und Länder vorgegeben. Auch die Gesundheit­sreform 2013 veränderte die zersplitte­rte Kompetenzl­age nicht: Die Ausgaben-, Aufgaben- und Finanzieru­ngsverantw­ortung fiel weiterhin auseinande­r, ein gemeinsame­r Finanzieru­ngstopf wurde nicht erreicht und durch das Prinzip der Einstimmig­keit können notwendige Maßnahmen verhindert werden.“

Da haben wir es also wieder, das Problem, das die gesamte Re- publik im Stillstand hält: Bund, Länder und Sozialpart­ner (diesfalls in Form der Sozialvers­icherungen) pfuschen einander dank unklarer Kompetenzl­age fröhlich ins Handwerk und streuen so permanent Sand ins Getriebe.

Dass die Regierung jetzt offenbar bei den Sozialvers­icherungen Ernst machen möchte, ist ein guter erster Schritt. Dieser wird noch nicht das große Geld bringen und auch unschöne Auswüchse wie die Wiener Gangbetten­problemati­k und die immer noch grassieren­de Zweiklasse­nmedizin nicht entschärfe­n, aber er ist eine Art Generalpro­be: Wenn die Entflechtu­ng dieses österreich­ischen Föderalism­us- und Sozialpart­nerdilemma­s hier gelingt, dann könnte es eine schöne Blaupause für die echte Gesundheit­s-Organisati­onsreform sein. Sie sollte deshalb beherzt angegangen werden. Eine Reduktion von 21 auf fünf Sozialvers­icherungst­räger ist das noch nicht. Da geht noch mehr.

Leicht wird es nicht. Denn schon jetzt kommen aus dem System Widerständ­e sonder Zahl. Der absurdeste davon: Die Warnung vor der Bildung eines „Molochs“in Wien. Diesen geldversch­lingenden Moloch – auch hier hilft ein Blick auf die Geldflussg­rafik – haben wir wohl jetzt. Es kann nur besser werden. Das ist einen politische­n Kraftakt jedenfalls wert.

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