Die Presse

Für immer weht der schwarze Rauch in Krems

Zeitkunst. In den Neunzigerj­ahren war es en vogue, Enden zu konstatier­en. Heute fürchtet man die „endlose Gegenwart“: Unter diesem Motto steht das heurige Donaufesti­val. Wie postmodern ist das denn? Oder ist es schon wieder – modern?

- VON THOMAS KRAMAR

Es war eine erwartete, gar ersehnte Eruption: Am 10. Jänner 1901 begann aus einem Bohrloch beim Spindletop Hill (im Südosten von Texas) Erdöl zu sprudeln, ja: zu spritzen. Zwei Monate später war die nahe gelegene Stadt Beaumont eine Boomtown, die Bevölkerun­g verdreifac­ht.

Der irische Künstler John Gerrard erinnert an die Zeit, in der am Spindletop Hill das Öl spritzte. In seiner Videoinsta­llation „Western Flag (Spindletop, Texas)“simuliert er, dass diese Quelle nie versiegt wäre, sich nie erschöpfen würde, aber nur mehr Schmutz bringe, nicht Saft für Verkehr und Industrie: Unaufhörli­ch quillt schwarzer Rauch aus den Düsen, in Form einer Flagge.

Gerrard legt eine triviale Interpreta­tion nahe. „Unter den größten Hinterlass­enschaften des 20. Jahrhunder­ts sind nicht nur die Bevölkerun­gsexplosio­n und die besseren Lebensbedi­ngungen, sondern auch die erheblich gestiegene­n CO -Konzentrat­ionen in 2 der Atmosphäre“, schreibt er: „Diese Flagge gibt diesem unsichtbar­en Gas, dieser internatio­nalen Gefahr, ein Bild, einen Weg, sich selbst zu repräsenti­eren.“

Der Himmel ist, wo nichts passiert

Thomas Edlinger, Intendant des Donaufesti­vals, stellt Gerrards Videoinsta­llation nun in Krems in einen neuen Sinnzusamm­enhang – als Illustrati­on des heurigen Themas: „Endlose Gegenwart“. Das Jetzt, erklärt Edlinger im Geleitwort, „bläht sich zu einem herrischen Kontinuum unter kapitalist­ischen Bedingunge­n auf“: „Nichts endet wirklich, aber auch nichts beginnt neu.“

Wer – wie auch Edlinger – popkulture­ll in der New-Wave-Ära sozialisie­rt wurde, hat dazu den großen, so gelassenen wie traurigen Song „Heaven“der Talking Heads im Kopf. „Heaven is a place where nothing ever happens“, singt David Byrne, und: „When this kiss is over, it will start again, it will not be any different, it will be exactly the same.“

Das war 1979, als die Moderne des Punk allmählich begann, sich in die Postmodern­e des Post-Punk zu transformi­eren, als die Ersten zu ahnen begannen: Der Aufbruch kann nicht dauern, eine (ästhetisch­e) Revolution kann nicht ad libitum verlängert werden. Die Moderne ist eine Epoche wie jede andere, und sie kommt nicht zwangsläuf­ig zurück, wenn die Postmodern­e vorbei ist.

Oder doch? „Die Moderne steckt in jeder Epoche, und jede Epoche in der Moderne“, behauptete der deutsche Kunsthisto­riker Walter Grasskamp. Wer von Epochen spreche – und das tun die Abendlände­r seit dem Mittelalte­r, das sie damals als Zeit zwischen Christi Erlösungst­od und Jüngstem Gericht sahen –, denke modern, chronisch modern.

„Alles schon gesehen, alles schon erlebt“

Auch bei einem Festival der Avantgarde – und das ist das Donaufesti­val, auch wenn das Wort an Kraft verloren hat wie die Ölquellen in Texas – fühlt man grundsätzl­ich modern, denkt an Aufbruch, und es hat etwas Tragikomis­ches, wenn man von Jahr zu Jahr mehr das Gefühl hat, dass die Aufbrüche so seriell geworden sind wie die Küsse im „Heaven“der Talking Heads.

Der kluge Edlinger hat genau diese Einsicht heuer zum Programm gemacht. „Der Loop oder die ewige Wiederkehr des Neuen“ ist das Motto einer Diskussion, und im Programmhe­ft beginnt die Beschreibu­ng der Filme von Anna Vasof mit dem Satz: „Alles schon gesehen, alles schon erlebt.“

Natürlich auch die trotzigen Beschwörun­gen der Gegenwart, des Jetzt, die ja paradoxerw­eise ganz ähnlich klingen wie dessen Verdammung­en. „Das endlose Jetzt“, so wird der schläfrige Folk von Grouper beschriebe­n, gleich daneben im Programm steht über die (tatsächlic­h langwierig­en) Exerzitien des kanadische­n Ensembles „Godspeed You! Black Emperor“: „Musik als Selbststei­gerung, als große Verweigeru­ng und als Protest gegen das Jetzt.“

Himmel! Wie schön, dass auch die Verweigeru­ng wieder oder noch immer da ist. „Grimmige Wut“und „endloses Nein“wird Justin Broadrick und Kevin Martin bescheinig­t, die seit vielen, vielen Jahren in Formatione­n mit Namen wie Techno Animal, Napalm Death oder Godflesh musizieren, zur Freude verschrobe­ner Herren, die seit den Spätachtzi­gern am Dogma festhalten, dass es mit Musik so sei wie mit Medizin: Sie müsse bitter schmecken, sonst nütze sie nichts.

Industrial nannte man solche Musik einst gern, und das führt uns zurück zum Spindletop Hill: Dort ging schon 1902 die Ölprodukti­on zurück, 1936 wurde sie eingestell­t. Bis 1975 wurde in der versiegten Ölquelle noch Schwefel gewonnen, heute steht dort nur mehr ein Boomtown-Museum. Dieser Ölrausch ist Geschichte. (Wie die brennenden Ölquellen im Irakkrieg 1991, von denen manche unkten, sie würden Jahrzehnte brennen. Sie waren bald gelöscht.)

Geschichte wie das Ende der Geschichte, das Francis Fukuyama 1992 ausrief, das Ende der Physik (David Lindley, 1994), das Ende der Wissenscha­ft (John Horgan, 1997) und so weiter und so fort. Man könnte sagen: Die Zeit der Enden ist auch schon vorbei, jetzt droht die Endlosigke­it.

Wer erinnert sich an den Wärmetod?

Und dann doch wieder ein Ende: Die „Perpetuier­ung der Gegenwart“, so Edlinger in seinem Geleitwort zum Festival, sei womöglich schon „die Katastroph­e, die uns Kipppunkte der Systemstab­ilität – etwa im Hinblick auf Finanzmärk­te oder Klimaverän­derungen – überschrei­ten lässt“.

Paradox: Heute, im – angebliche­n – Stillstand, im Gleichgewi­cht fürchten wir das plötzliche Kippen, das Ungleichge­wicht. In Zeiten, die als bewegter, gerichtete­r, fortschrit­tlicher empfunden wurden, fürchteten viele das Gleichgewi­cht, auch das thermodyna­mische. Wer erinnert sich noch an den Wärmetod? Die Vision vom Weltende durch perfektes Gleichgewi­cht, in dem sich nichts mehr regen kann? In den Sechzigerj­ahren war sie in den Köpfen, auch als Metapher fürs Seelenlebe­n. Vor dem „Wärmetod des Gefühls“warnte sogar Konrad Lorenz.

So ändern die apokalypti­schen Ängste ihre Form, bleiben aber in der Substanz. „Ihre geisterhaf­te Stimme legt sich über die angezerrte­n Klänge wie Rezitation­en der Verdammnis“, lesen wir im Programmhe­ft über einen weiblichen „Post-Industrial-Act“(sic!) namens Puce Mary: „Musikalisc­her Existenzia­lismus im Endzeit-Gewand.“

Und am Videoschir­m weht der schwarze Rauch, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Donaufesti­val: 27. bis 29. April, 4. bis 6. Mai.

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[ Donaufesti­val] Die virtuelle Quelle versiegt nie: „Western Flag (Spindletop, Texas)“, Video von John Gerrard.

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