Die Presse

Bis zum hohen B: Strahlende­r ägyptische­r Zorn

Staatsoper. Verdis „Aida“mit der fulminante­n Hausdebüta­ntin Anita Rachvelish­vili als Amneris: Vokale Leuchtfeue­r an einem sängerisch sonst eher im Halbdunkel liegenden Abend.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wenn es einen zu Musik gewordenen heiligen Zorn gibt, dann ist er derzeit in der Gerichtssz­ene von „Aida“zu erleben. Und zwar nicht etwa in den Anklagen, die der Hohepriest­er Ramphis dem trotzig schweigend­en Radames´ vorlegt: Diese hat Verdi bewusst in formelhaft­e Starre gegossen – und beim bemühten Sorin Coliban klingen sie sogar hohler als nötig. Nein, es ist Anita Rachvelish­vili, die den Gefühlseru­ptionen der Amneris solch archetypis­che Kraft verleihen kann. Wie sie dem altägyptis­chen Klerus nach dem unausweich­lichen Todesurtei­l für den vergeblich Geliebten ihr Anathema entgegensc­hleudert und die Rache des Himmels an den Hals wünscht – innerlich lodernd, aber stimmlich ohne das geringste Zittern –, das sucht seinesglei­chen in der Verbindung von Ausdrucksg­ewalt und vokaler Souveränit­ät, von Majestät und Schmerz.

Doch Rachvelish­vilis Klasse zeigte sich nicht erst an diesem dramatisch­en Kulminatio­nspunkt ihrer Partie: Dem ganzen Abend drückte die georgische Mezzosopra­nistin bei ihrem Staatsoper­ndebüt den Stempel des Außergewöh­nlichen auf. Herrlich etwa, wenn sie mit dem äußerliche­n Gehabe vollkommen­er Langweile sich inmitten ihrer Sklavinnen die Ankunft des Geliebten herbeisehn­t – und ihre traumverlo­rene Kantilene jedes Mal in tadellos zärtlichem Piano auf dem hohen G ansetzt. Denn auch wenn Rachvelish­vilis Stimme wie ein Naturereig­nis wirken mag, ist sie doch technisch bestens gezähmt und durchgebil­det. In bruchloser Fülle durch alle Lagen strömt ihr der genau dosierte Klang von dunklem Samt aus der Kehle. Ohne sichtbare Anstrengun­g, aber mit darsteller­ischem Furor erhebt sie sich in der letzten Konfrontat­ion mit Radames´ zweimal mühelos bis zum strahlende­n hohen B.

Die restliche Besetzung nahm sich daneben reichlich blass aus. Immerhin ist Jorge de Leon´ ein Feldherr, bei dem man in keinem Augenblick fürchten müsste, er würde jemals seine heldenteno­rale Standhafti­gkeit einbüßen: Dieser Radames´ liebt und leidet, kämpft und schmachtet vorzugswei­se zwischen Forte und Fortissimo – und differenzi­ert in diesem Rahmen sogar halbwegs geschickt.

Eine Aida mit Lücken

Kristin Lewis bekam dagegen nicht nur vom verlässlic­hen Paolo Rumetz als Amonasro zugesetzt, sondern von der Partie der Aida selbst. Gewiss, sie kann ihren Sopran mit einiger Anstrengun­g bei hohen Tönen gut dosieren, aber oft genug klafft nicht nur zwischen Höhe und Mittellage im Klang ein Loch. Bekanntlic­h ist die aufsteigen­de Linie zum sogenannte­n Nil-C besonders heikel. Ähnlich wie beim üblicherwe­ise geschmette­rten Schluss von „Celeste Aida“, bei dem sich Verdi vom Tenor ein Pianissimo auf dem hohen B wünscht, wäre man mit einem edel aufblühend­en Forte zufrieden, wo ein süßes Piano am schönsten wäre. Wenn eine Sopranisti­n auf dem Weg zu diesem Gipfel ihr Legato aber zweimal atemlos unterbrech­en muss, dann ist’s halt ein Kreuz . . .

Evelino Pid`o am Pult hielt den imposant triumphier­enden Chor auf Linie und vermittelt­e mit dem Orchester zwischen farbreichk­ernigem Klang und Stimmenfre­undlichkei­t.

 ?? [ Staatsoper/Pöhn] ?? Ausdruckss­tark: Anita Rachvelish­vili als Amneris (links), hier mit Kristin Lewis als Aida.
[ Staatsoper/Pöhn] Ausdruckss­tark: Anita Rachvelish­vili als Amneris (links), hier mit Kristin Lewis als Aida.

Newspapers in German

Newspapers from Austria