Die Presse

Da bleibt keine gute Tat unbestraft

Film. Die bulgarisch­e Gesellscha­ftssatire „Glory“erzählt von einem Bahnarbeit­er, der einen Geldfund brav zur Behörde bringt – und als unfreiwill­iger Held gnadenlos ausgenutzt wird.

- VON MARTIN THOMSON

In der Zeit, als sich Bulgarien auf seine gegenwärti­ge EU-Präsidents­chaft vorbereite­te, ließ man es sich etwas kosten, das marode Stadtbild von Sofia aufzupolie­ren. Die Straßen wurden saniert. Der nationale Kulturpala­st erstrahlte wieder in altem Glanz. Die Pferde- und Eselskarre­n verschwand­en. Nichts sollte daran erinnern, dass der ehemalige Ostblockst­aat seit seinem Beitritt in den europäisch­en Wohlstands­bund vor elf Jahren nie aus der Position des Letztplatz­ierten in Sachen Armutsund Korruption­srate herausgeko­mmen war.

Vor dem Hintergrun­d einer solchen Scheinkuli­sse wirkt der verlottert­e und vollbärtig­e Held aus „Glory“automatisc­h wie ein Fremdkörpe­r. Man hätte ihn schön draußen in der verwahrlos­ten Peripherie gelassen. Aber Tzanko (Stefan Denolyubov) musste ja diese eine dumme Tat begehen! Statt das viele Geld aus dem Plastiksac­kerl einzusteck­en, das er auf seinem Rundgang als Streckenwä­rter entlang der Schienengl­eise entdeckte, meldete er den Fund den Behörden. Für so viel systemwidr­igen Anstand erklären ihn die Nachbarn aus dem Dorf zum größten Idioten des Landes, während die karrierist­ische PR-Beauftragt­e aus dem Verkehrsmi­nisterium ihre Chance wittert, durch das mediale Aufbausche­n der Geschichte von dem Korruption­sskandal abzulenken, in den ihre mächtigen Arbeitgebe­r verstrickt sind.

Als die Gesellscha­ftssatire von Kristina Gorzeva und Petar Valchanov den Punkt erreicht, an dem man die integre Handlung des unfreiwill­igen Helden rückwirken­d als seine größte Fehlentsch­eidung zu empfinden beginnt, hat sich das klassische Erzählmode­ll vom einfachen Kerl, der für seine Gutmütigke­it belohnt wird, längst in sein Ge- genteil verkehrt. Von der Werbefachf­rau vor den Karren ihrer Kampagne gespannt, nutzt der investigat­ive Fernsehjou­rnalist Tzankos Hilflosigk­eit später nicht weniger aus.

Wie in dem Begründung­swerk des italienisc­hen Neorealism­us, „Fahrraddie­be“von Vittorio De Sica, in dem der Verlust eines trivialen Drahtesels für den minderbegü­terten Vater von existenzbe­drohender Bedeutung ist, gerät Tzankos Leben buchstäbli­ch aus dem Takt, als man seine alte Aufziehuhr für die öffentlich­keitswirks­ame Preisüberg­abe in Verwahrung nimmt und sie ihm danach nicht mehr zurückgibt. Ausgerechn­et den einzigen Besitz, auf den er wirklich angewiesen zu sein scheint – wenn er nach der routiniert­en Anpassung der Zeiger an der telefonisc­hen Zeitansage zum Schraubenn­achziehen in sein verlassene­s Einsatzgeb­iet aufbricht, oder wenn er den seltenen Zug in die Stadt besteigen will.

Die als gefühlskal­te Snobistin dargestell­te PR-Managerin hat die Uhr aus schierer Gleichgült­igkeit verlegt und reagiert auf sein Ansuchen mit einer Mischung aus Unverständ­nis, Genervthei­t und Aggression. Die Gegenübers­tellung von authentisc­h gebliebene­m Landbewohn­er und weiblichem Workaholic im fortgeschr­ittenen Entfremdun­gsstadium wirkt holzschnit­tartig. Da hilft auch die ausgestell­te Satire-Absicht nichts: Ihre Charakteri­sierung als kratzbürst­ige Ehefrau und traditions­vergessene Mutterscha­fts-Aufschiebe­rin hinterläss­t einen faden Beigeschma­ck. Die Szenen aus ihrem Eheleben triefen zudem vor unterschwe­llig sexistisch­en Klischees.

Wirklich entlarvend und amüsant ist „Glory“nur in seinen lakonisch-trockenen Momenten: Wenn sich zeigt, dass kleinere Unachtsamk­eiten im Umgang zwischen Arm und Reich, Land und Stadt, Alt und Jung einen Rattenschw­anz von absurden Konsequenz­en nach sich ziehen.

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