Da bleibt keine gute Tat unbestraft
Film. Die bulgarische Gesellschaftssatire „Glory“erzählt von einem Bahnarbeiter, der einen Geldfund brav zur Behörde bringt – und als unfreiwilliger Held gnadenlos ausgenutzt wird.
In der Zeit, als sich Bulgarien auf seine gegenwärtige EU-Präsidentschaft vorbereitete, ließ man es sich etwas kosten, das marode Stadtbild von Sofia aufzupolieren. Die Straßen wurden saniert. Der nationale Kulturpalast erstrahlte wieder in altem Glanz. Die Pferde- und Eselskarren verschwanden. Nichts sollte daran erinnern, dass der ehemalige Ostblockstaat seit seinem Beitritt in den europäischen Wohlstandsbund vor elf Jahren nie aus der Position des Letztplatzierten in Sachen Armutsund Korruptionsrate herausgekommen war.
Vor dem Hintergrund einer solchen Scheinkulisse wirkt der verlotterte und vollbärtige Held aus „Glory“automatisch wie ein Fremdkörper. Man hätte ihn schön draußen in der verwahrlosten Peripherie gelassen. Aber Tzanko (Stefan Denolyubov) musste ja diese eine dumme Tat begehen! Statt das viele Geld aus dem Plastiksackerl einzustecken, das er auf seinem Rundgang als Streckenwärter entlang der Schienengleise entdeckte, meldete er den Fund den Behörden. Für so viel systemwidrigen Anstand erklären ihn die Nachbarn aus dem Dorf zum größten Idioten des Landes, während die karrieristische PR-Beauftragte aus dem Verkehrsministerium ihre Chance wittert, durch das mediale Aufbauschen der Geschichte von dem Korruptionsskandal abzulenken, in den ihre mächtigen Arbeitgeber verstrickt sind.
Als die Gesellschaftssatire von Kristina Gorzeva und Petar Valchanov den Punkt erreicht, an dem man die integre Handlung des unfreiwilligen Helden rückwirkend als seine größte Fehlentscheidung zu empfinden beginnt, hat sich das klassische Erzählmodell vom einfachen Kerl, der für seine Gutmütigkeit belohnt wird, längst in sein Ge- genteil verkehrt. Von der Werbefachfrau vor den Karren ihrer Kampagne gespannt, nutzt der investigative Fernsehjournalist Tzankos Hilflosigkeit später nicht weniger aus.
Wie in dem Begründungswerk des italienischen Neorealismus, „Fahrraddiebe“von Vittorio De Sica, in dem der Verlust eines trivialen Drahtesels für den minderbegüterten Vater von existenzbedrohender Bedeutung ist, gerät Tzankos Leben buchstäblich aus dem Takt, als man seine alte Aufziehuhr für die öffentlichkeitswirksame Preisübergabe in Verwahrung nimmt und sie ihm danach nicht mehr zurückgibt. Ausgerechnet den einzigen Besitz, auf den er wirklich angewiesen zu sein scheint – wenn er nach der routinierten Anpassung der Zeiger an der telefonischen Zeitansage zum Schraubennachziehen in sein verlassenes Einsatzgebiet aufbricht, oder wenn er den seltenen Zug in die Stadt besteigen will.
Die als gefühlskalte Snobistin dargestellte PR-Managerin hat die Uhr aus schierer Gleichgültigkeit verlegt und reagiert auf sein Ansuchen mit einer Mischung aus Unverständnis, Genervtheit und Aggression. Die Gegenüberstellung von authentisch gebliebenem Landbewohner und weiblichem Workaholic im fortgeschrittenen Entfremdungsstadium wirkt holzschnittartig. Da hilft auch die ausgestellte Satire-Absicht nichts: Ihre Charakterisierung als kratzbürstige Ehefrau und traditionsvergessene Mutterschafts-Aufschieberin hinterlässt einen faden Beigeschmack. Die Szenen aus ihrem Eheleben triefen zudem vor unterschwellig sexistischen Klischees.
Wirklich entlarvend und amüsant ist „Glory“nur in seinen lakonisch-trockenen Momenten: Wenn sich zeigt, dass kleinere Unachtsamkeiten im Umgang zwischen Arm und Reich, Land und Stadt, Alt und Jung einen Rattenschwanz von absurden Konsequenzen nach sich ziehen.