Die Presse

Ich weiß, ich weiß, was du nicht weißt . . .

Die jüngsten Fälle um die „Beratungen“von Krankenans­talten durch Energetike­r zeigten es deutlich: Im Beratungsg­eschäft geht es oft nicht um gesicherte­s Wissen, sondern um zielgruppe­ngerecht aufbereite­te Informatio­nen.

- VON THOMAS JAKL

Es war ja niemand von uns dabei, aber in irgendeine­r steinzeitl­ichen Höhle haben sich wahrschein­lich zwei Menschen unterhalte­n, warum etwa der Korb des einen auseinande­rfällt, wenn man bloß drei Stück Feuerholz hineinlegt, der des anderen aber locker auch fünf Stücke aushält.

An der Flechtweis­e liegt es, so teilt es der oder die Kundige dem Gegenüber wild gestikulie­rend mit – und zeigt es ob dessen verständni­slosen Gesichtsau­sdrucks mit ein paar rasch abgerissen­en Weidenrute­n vor. Nach einigen Versuchen gelingt es unter Anleitung dann auch dem Gegenüber, einen stabileren Korb zu flechten – man revanchier­t sich mit getrocknet­en Früchten. Die „Beratung“war geboren.

Allein das Marktsegme­nt der klassische­n Management- und Unternehme­nsberatung hat in Deutschlan­d ein Marktvolum­en von über 20 Milliarden Euro, wobei allein die zehn größten Beratungsu­nternehmen rund 10.000 Menschen beschäftig­en.

„Das Beratungsg­eschäft“, so der deutsche Soziologe Peter Fuchs, „profitiert von der gesellscha­ftlich zirkuliere­nden Unsicherhe­it und Orientieru­ngslosigke­it in allen Fragen des Lebens.“Ja, sicher – unser Leben ist komplizier­t, und in zahlreiche­n Situatione­n bleibt kaum etwas anderes übrig, als die Entscheidu­ng den Kundigen de facto zu überlassen.

Der Alltag ist voll von diesen Beratungss­ituationen, die kaum mehr als solche wahrgenomm­en werden. Man wendet sich ja unaufhörli­ch an Institutio­nen, deren Kompetenz es ist, Antworten auf spezifisch­e Probleme oder Bedürfnisl­agen zu geben. Gleichfall­s fester Bestandtei­l unseres Erfahrungs­schatzes sind die trotz oder gerade wegen Befolgung der Beratungse­mpfehlunge­n erlittenen Fehl- und Tiefschläg­e.

Unfreundli­ches Personal und Baustellen­lärm im Hotel mit 74 tollen Empfehlung­en und einem Notenschni­tt von 8,9 zählen ebenso dazu wie trotz empfohlene­r Auswahl und Zubereitun­g zähes Grillfleis­ch. Ganz zu schweigen von den Tausenden Opfern fehlgeleit­eter Finanz- und Anlagebera­ter – sie alle Thema von umfangreic­hen Verfahren vor Gerichten in ganz Europa, sie alle mitunter existenzbe­drohend geschädigt durch fehlleiten­de Beratung. Hier trifft eine weitere Bestandsau­fnahme des Soziologen Fuchs zu, wenn er meint, „dass Beratung ihrerseits die Krisenlage­n entwirft und bestätigt, die zu lösen sie antritt.“

Beratung ist aber für jede und jeden von uns auch immer mehr etwas, das man für sich persönlich in Anspruch nimmt, ja sich durchaus auch gönnt. Aus verschiede­nsten Motiven. Sei es, um sich zu profession­alisieren, um etwas zu lernen oder um aus dem Mainstream auszuscher­en, um etwa in neue, fremde Welten vorzudring­en.

Etwa auch in die Welt der feinstoffl­ichen Essenzen, Felder und Schwingung­en, des energetisi­erten Wassers oder gar in die Welt der Engel, wo ein Seminarver­anstalter verspricht: „Nach dem Seminar werden Sie in der Lage sein, Ihre Schutzenge­l und die Erzengel richtig anzurufen, den richtigen Engel um Hilfe zu bitten, die Zeichen der Engel zu erkennen und echte Engelsbots­chaften zu empfangen.“Also, man kann nicht sagen, dass man da nichts geboten bekomme. „Einbeziehu­ng der Schutzenge­l und Erzengel in den Alltag! Der direkte Draht nach oben!“

Dieses Entführen in geheime Welten befriedigt offenbar ein starkes Bedürfnis, die Gründe für gewisse Umstände außerhalb der rationalen Wahrnehmun­g und damit auch außerhalb der eigenen Beeinfluss­barkeit und Verantwort­ung zu suchen. Denn wenn es die Engel oder die Erdstrahle­n sind, die Einfluss auf unser Leben nehmen, dann ist es ja vielleicht gar nicht in meiner Hand, gesund zu bleiben oder das Lebensglüc­k zu finden.

Nimmt man derartige Formen von Beratung in Anspruch, verlässt man ja ganz bewusst den traditione­llen, konvention­ellen Lebensrahm­en und sucht nicht nach schnödem „Wissen“, sondern man sucht nach Verborgene­m, nach Geheimnisv­ollem.

Vielfach wird in Kauf genommen, dass derartige Beratungsl­eistungen mit esoterisch­em Hintergrun­d viel kosten – das ist eben der Preis für die Reise ins Ungewisse, für das Besondere, oder vielleicht auch schlicht der Preis für Aufmerksam­keit und für das Wahrgenomm­enwerden.

Das ist vielleicht auch der Preis für eine ausgestrec­kte Hand, auch wenn es die eines Engels ist, oder der Preis für den Strohhalm der Hoffnung, an den man sich nach zahllosen Enttäuschu­ngen klammert, auch wenn er bloß aus feinstoffl­ichen Energien besteht.

Da ist es dann auch völlig gleichgült­ig, wenn erdstrahle­n-

(* 1965) ist Biologe und Erdwissens­chaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltmini­sterium. Inzwischen ist er in leitenden Funktionen im Bereich des Umweltschu­tzes in verschiede­nen nationalen und internatio­nalen Institutio­nen tätig. Unter anderem ist er Mitglied des Vorstandes des Forums Wissenscha­ft und Umwelt; er war Vorsitzend­er des Verwaltung­srates der EU-Chemikalie­nagentur. kundige „Geopatholo­gen“auf ihrer Website festhalten, dass ihre Methode „von der Schulmediz­in nicht anerkannt und wissenscha­ftlich nicht abgesicher­t ist und die Existenz sowie die Möglichkei­t der Abschirmun­g von Erdstrahle­n ebenfalls nicht dem allgemein anerkannte­n Stand medizinisc­her und wissenscha­ftlicher Kenntnisse entspricht“.

Solche Sicherheit­sklauseln gelten für das Zielpublik­um ja geradezu als ein Gütezeiche­n, als Qualitätss­icherung fürs Anderssein.

Beratung als Werkzeug, um sich von anderen abzuheben oder um zu einer Gruppe „dazuzugehö­ren“, um besonders zu wirken, um Profil zu bekommen: Gut – es müssen ja nicht gleich der Draht zum persönlich­en Schutz- oder Erzengel oder die Riesenappa­ratur zum Schutz vor Erdstrahle­n im Zentrum der Beratung stehen. Eine Farb- und Stilberatu­ng, wie sie in Österreich von Hunderten Unternehme­n angeboten wird, tut es vielleicht auch.

Die auch in Graz lehrende Schweizer Soziologin Stefanie Duttweiler betont: „Beratung fungiert aktuell als eine der sozialen Praktiken, um soziale In- und Exklusion zu regulieren. Sie tut dies, indem sie die Weisen angreift, wie Individuen sich selbst führen – das heißt, wie sie ihr Leben, ihre Gefühle, Einstellun­gen oder Beziehungs­muster gestalten.“

Entscheide­nd ist letztendli­ch, wie man selbst auf den Inhalt einer Beratung vorbereite­t ist. Das gilt für Organisati­onen wie auch für Personen in gleichem Maße.

Ein Beratungse­rgebnis, das gleichsam vom Himmel fällt und übergestül­pt wird, kann kaum sinnvoll in den Betrieb oder das persönlich­e Auftreten integrierb­ar sein. Die Zahl der aus diesem Grund gescheiter­ten Betriebsbe­ratungen ist Legion. Und wer ist ihnen noch nicht begegnet, den übertraini­erten, „vercoachte­n“Führungskr­äften, die ihre Authentizi­tät den aufgepfrop­ften Phrasen, der Gelfrisur und der randlosen Brille geopfert haben.

Wer sich im Vorhinein darüber im Klaren ist, wie mit einem Beratungse­rgebnis umzugehen sein wird, ist jedenfalls gut beraten.

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