Ich weiß, ich weiß, was du nicht weißt . . .
Die jüngsten Fälle um die „Beratungen“von Krankenanstalten durch Energetiker zeigten es deutlich: Im Beratungsgeschäft geht es oft nicht um gesichertes Wissen, sondern um zielgruppengerecht aufbereitete Informationen.
Es war ja niemand von uns dabei, aber in irgendeiner steinzeitlichen Höhle haben sich wahrscheinlich zwei Menschen unterhalten, warum etwa der Korb des einen auseinanderfällt, wenn man bloß drei Stück Feuerholz hineinlegt, der des anderen aber locker auch fünf Stücke aushält.
An der Flechtweise liegt es, so teilt es der oder die Kundige dem Gegenüber wild gestikulierend mit – und zeigt es ob dessen verständnislosen Gesichtsausdrucks mit ein paar rasch abgerissenen Weidenruten vor. Nach einigen Versuchen gelingt es unter Anleitung dann auch dem Gegenüber, einen stabileren Korb zu flechten – man revanchiert sich mit getrockneten Früchten. Die „Beratung“war geboren.
Allein das Marktsegment der klassischen Management- und Unternehmensberatung hat in Deutschland ein Marktvolumen von über 20 Milliarden Euro, wobei allein die zehn größten Beratungsunternehmen rund 10.000 Menschen beschäftigen.
„Das Beratungsgeschäft“, so der deutsche Soziologe Peter Fuchs, „profitiert von der gesellschaftlich zirkulierenden Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in allen Fragen des Lebens.“Ja, sicher – unser Leben ist kompliziert, und in zahlreichen Situationen bleibt kaum etwas anderes übrig, als die Entscheidung den Kundigen de facto zu überlassen.
Der Alltag ist voll von diesen Beratungssituationen, die kaum mehr als solche wahrgenommen werden. Man wendet sich ja unaufhörlich an Institutionen, deren Kompetenz es ist, Antworten auf spezifische Probleme oder Bedürfnislagen zu geben. Gleichfalls fester Bestandteil unseres Erfahrungsschatzes sind die trotz oder gerade wegen Befolgung der Beratungsempfehlungen erlittenen Fehl- und Tiefschläge.
Unfreundliches Personal und Baustellenlärm im Hotel mit 74 tollen Empfehlungen und einem Notenschnitt von 8,9 zählen ebenso dazu wie trotz empfohlener Auswahl und Zubereitung zähes Grillfleisch. Ganz zu schweigen von den Tausenden Opfern fehlgeleiteter Finanz- und Anlageberater – sie alle Thema von umfangreichen Verfahren vor Gerichten in ganz Europa, sie alle mitunter existenzbedrohend geschädigt durch fehlleitende Beratung. Hier trifft eine weitere Bestandsaufnahme des Soziologen Fuchs zu, wenn er meint, „dass Beratung ihrerseits die Krisenlagen entwirft und bestätigt, die zu lösen sie antritt.“
Beratung ist aber für jede und jeden von uns auch immer mehr etwas, das man für sich persönlich in Anspruch nimmt, ja sich durchaus auch gönnt. Aus verschiedensten Motiven. Sei es, um sich zu professionalisieren, um etwas zu lernen oder um aus dem Mainstream auszuscheren, um etwa in neue, fremde Welten vorzudringen.
Etwa auch in die Welt der feinstofflichen Essenzen, Felder und Schwingungen, des energetisierten Wassers oder gar in die Welt der Engel, wo ein Seminarveranstalter verspricht: „Nach dem Seminar werden Sie in der Lage sein, Ihre Schutzengel und die Erzengel richtig anzurufen, den richtigen Engel um Hilfe zu bitten, die Zeichen der Engel zu erkennen und echte Engelsbotschaften zu empfangen.“Also, man kann nicht sagen, dass man da nichts geboten bekomme. „Einbeziehung der Schutzengel und Erzengel in den Alltag! Der direkte Draht nach oben!“
Dieses Entführen in geheime Welten befriedigt offenbar ein starkes Bedürfnis, die Gründe für gewisse Umstände außerhalb der rationalen Wahrnehmung und damit auch außerhalb der eigenen Beeinflussbarkeit und Verantwortung zu suchen. Denn wenn es die Engel oder die Erdstrahlen sind, die Einfluss auf unser Leben nehmen, dann ist es ja vielleicht gar nicht in meiner Hand, gesund zu bleiben oder das Lebensglück zu finden.
Nimmt man derartige Formen von Beratung in Anspruch, verlässt man ja ganz bewusst den traditionellen, konventionellen Lebensrahmen und sucht nicht nach schnödem „Wissen“, sondern man sucht nach Verborgenem, nach Geheimnisvollem.
Vielfach wird in Kauf genommen, dass derartige Beratungsleistungen mit esoterischem Hintergrund viel kosten – das ist eben der Preis für die Reise ins Ungewisse, für das Besondere, oder vielleicht auch schlicht der Preis für Aufmerksamkeit und für das Wahrgenommenwerden.
Das ist vielleicht auch der Preis für eine ausgestreckte Hand, auch wenn es die eines Engels ist, oder der Preis für den Strohhalm der Hoffnung, an den man sich nach zahllosen Enttäuschungen klammert, auch wenn er bloß aus feinstofflichen Energien besteht.
Da ist es dann auch völlig gleichgültig, wenn erdstrahlen-
(* 1965) ist Biologe und Erdwissenschaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltministerium. Inzwischen ist er in leitenden Funktionen im Bereich des Umweltschutzes in verschiedenen nationalen und internationalen Institutionen tätig. Unter anderem ist er Mitglied des Vorstandes des Forums Wissenschaft und Umwelt; er war Vorsitzender des Verwaltungsrates der EU-Chemikalienagentur. kundige „Geopathologen“auf ihrer Website festhalten, dass ihre Methode „von der Schulmedizin nicht anerkannt und wissenschaftlich nicht abgesichert ist und die Existenz sowie die Möglichkeit der Abschirmung von Erdstrahlen ebenfalls nicht dem allgemein anerkannten Stand medizinischer und wissenschaftlicher Kenntnisse entspricht“.
Solche Sicherheitsklauseln gelten für das Zielpublikum ja geradezu als ein Gütezeichen, als Qualitätssicherung fürs Anderssein.
Beratung als Werkzeug, um sich von anderen abzuheben oder um zu einer Gruppe „dazuzugehören“, um besonders zu wirken, um Profil zu bekommen: Gut – es müssen ja nicht gleich der Draht zum persönlichen Schutz- oder Erzengel oder die Riesenapparatur zum Schutz vor Erdstrahlen im Zentrum der Beratung stehen. Eine Farb- und Stilberatung, wie sie in Österreich von Hunderten Unternehmen angeboten wird, tut es vielleicht auch.
Die auch in Graz lehrende Schweizer Soziologin Stefanie Duttweiler betont: „Beratung fungiert aktuell als eine der sozialen Praktiken, um soziale In- und Exklusion zu regulieren. Sie tut dies, indem sie die Weisen angreift, wie Individuen sich selbst führen – das heißt, wie sie ihr Leben, ihre Gefühle, Einstellungen oder Beziehungsmuster gestalten.“
Entscheidend ist letztendlich, wie man selbst auf den Inhalt einer Beratung vorbereitet ist. Das gilt für Organisationen wie auch für Personen in gleichem Maße.
Ein Beratungsergebnis, das gleichsam vom Himmel fällt und übergestülpt wird, kann kaum sinnvoll in den Betrieb oder das persönliche Auftreten integrierbar sein. Die Zahl der aus diesem Grund gescheiterten Betriebsberatungen ist Legion. Und wer ist ihnen noch nicht begegnet, den übertrainierten, „vercoachten“Führungskräften, die ihre Authentizität den aufgepfropften Phrasen, der Gelfrisur und der randlosen Brille geopfert haben.
Wer sich im Vorhinein darüber im Klaren ist, wie mit einem Beratungsergebnis umzugehen sein wird, ist jedenfalls gut beraten.