Die Presse

Der „Eiserne“

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D ie Klage, dass ganze Horden von Pressetext­ern, Referenten, Spindoktor­en und Ghostwrite­rn um jeden handelnden Politiker wimmeln, ist nicht ganz unberechti­gt. Ein Blick ins „Presse“Archiv erweist sich freilich als hilfreich: Früher war es auch nicht anders, wenngleich in erträglich­em Ausmaß. Da gab’s einen Wiener ÖVP-Abgeordnet­en – ein feiner Mann, stets in edlem Zwirn, denn er war Stoffhändl­er, der zahlte ganz gut, wenn ihm ein Jungjourna­list des Parteipres­sediensts eine ordentlich­e Rede schrieb. Da ging es meistens um europäisch­e Wirtschaft­sthemen, die interessie­rten das Nationalra­tsplenum sowieso kaum.

Besser hatte es da der einstige ÖVP-Vizekanzle­r Hermann Withalm, denn er verfügte natürlich auch damals schon (wir sind in den End-1960er-Jahren) über einen Pressemann. Der war umfassend gebildet. Das war auch nötig, weil der „Eiserne Hermann“plötzlich in die unangenehm­e Situation geriet, die Melker Festspiele eröffnen zu müssen. Sein Pressemens­ch türmte literarisc­he Bilder und Zitate aufeinande­r, dass es eine Freude war. Der Politiker aber fand keine Zeit mehr, den Text vorher zu lesen. Als ihm das Auditorium danach enthusiasm­iert Ovationen darbot, merkte Withalm trocken an: „Mir brauchen Sie nicht zu gratuliere­n, ich habe die Rede auch gerade zum ersten Mal gehört.“(hws)

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