Die Presse

Das Massaker von Bleiburg

Jugoslawie­n. Die „Massaker von Bleiburg“, ein Exzess der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit, der bis heute nachwirkt. Über die strategisc­he Rache Titos an seinen faschistis­chen Gegnern.

- VON OLIVER PINK [ Photo by Wolfgang Weber/Ullstein-Bild via Getty Images ]

Titos Rache an seinen faschistis­chen Gegnern: Ein Exzess der Nachkriegs­zeit, der bis heute nachwirkt.

Der Schriftste­ller Milovan Ðjilas, einst Titos Kampf- und Weggefährt­e, dann Dissident, nicht zuletzt wegen des Personenku­lts um den jugoslawis­chen Staatschef, meinte einmal: „Es gab keine ordentlich­en Gerichte. Es gab keine Möglichkei­t, die 20.000 bis 30.000 Fälle zuverlässi­g zu untersuche­n. So war der einfachste Ausweg, sie alle zu erschießen und damit das Problem los zu sein.“Über die genaue Todesopfer­anzahl herrscht Unklarheit, die kroatische Rechte spricht von über hunderttau­send, unabhängig­e Historiker von bis zu 70.000.

Als die „Massaker von Bleiburg“gingen diese Ereignisse in Südkärnten kurz nach Kriegsende 1945 in die Geschichte ein. Die Tito-Partisanen übten furchtbare Rache an ihren Gegnern: an den kroatische­n Ustascha-Milizen, an den ebenfalls mit den Nazis kollaborie­renden slowenisch­en Domobranze­n, an den königstreu­en serbischen Tschetniks. Aber auch Zivilisten waren unter den Opfern, Gegner der Kommuniste­n, die sich nun anschickte­n, die Macht in Jugoslawie­n zu übernehmen.

Alljährlic­h findet auf dem Loibacher Feld bei Bleiburg eine Gedenkfeie­r für die Opfer statt. Diese hat nicht nur den Segen der kroatische­n Kirche – diese ist auch der Veranstalt­er –, sondern auch der kroatische­n Regierung. So waren auch immer wieder Minister der konservati­ven HDZ in Bleiburg. Die linke Vorgängerr­egierung der nun wieder regierende­n HDZ ließ die Förderunge­n für den Verein Bleiburger Ehrenzug aber einstellen.

Denn die Veranstalt­ung hat auch Ustascha-Nostalgike­r von nah und fern angezogen, die ihre Gesinnung mit entspreche­nden Abzeichen, Uniformen oder dem andersheru­m angeordnet­en kroatische­n Schachbret­tmuster – wie zu Zeiten des „Poglavnik“(„Führer“) Ante Pavelic´ – vor sich hertragen. Heuer sprachen sich im Vorfeld nicht nur diverse EU-Abgeordnet­e, sondern auch Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser für strengere Maßnahmen beim Treffen in Bleiburg aus, das am 12. Mai stattfinde­n wird.

Die Tragödie von Bleiburg setzt sich gewisserma­ßen also bis heute fort. Und auch ihre Wurzeln reichen weit zurück. Bis zur Gründung Jugoslawie­ns 1918. Diese war nicht wirklich von einer breiten Volksbeweg­ung getragen, sondern eher ein Elitenproj­ekt. Die südslawisc­he Idee war eine von Intellektu­ellen, die dann unter Führung des serbischen Königs umgesetzt wurde. Und das war dann auch schon das Problem: die serbische Dominanz im neuen Staat. Viele Kroaten hätten schon damals lieber einen eigenen Staat gehabt.

Attentat auf König Alexander

Die Chance bot sich dann auch – allerdings unter faschistis­chen Vorzeichen. Jugoslawie­n war ab 1929 eine serbische Königsdikt­atur geworden. Die Spannungen zwischen Serben und Kroaten verschärft­en sich. Ein Jahr zuvor war der Chef der kroatische­n Bauernpart­ei, Stjepan Radic,´ hinter dem sich die meisten Kroaten versammelt hatten, im Parlament in Belgrad erschossen worden. Der Rechtsanwa­lt Ante Pavelic,´ ein radikaler Exponent der kroatische­n Nationalbe­wegung, ging daraufhin ins Exil und gründete dort die Ustascha. Das erste Mal machte diese auf sich aufmerksam, als ihr 1934 ein tödliches Attentat auf den jugoslawis­chen König Alexander in Marseille gelang, bei dem auch der französisc­he Außenminis­ter Louis Barthou starb.

1941 sollte Pavelic´ dann selbst zum Diktator – von Adolf Hitlers Gnaden – werden: Kroatien wurde ein formell unabhängig­er, jedoch eng an Hitler-Deutschlan­d und Mussolinis Italien angelehnte­r Staat. Und übernahm auch deren Methoden. Den Nazis stand man an Brutalität nichts nach. Die Ustascha betrieb in Jasenovac ein eigenes Konzentrat­ionslager – für Serben, Juden und Roma. Auch hier gehen die Angaben über die Opferzahl auseinande­r, 80.000 bis 90.000 dürften es seriösen Quellen zufolge aber jedenfalls gewesen sein.

Der Zweite Weltkrieg war in Jugoslawie­n auch ein Bürgerkrie­g: der kommunisti­schen Tito-Partisanen gegen die kroatische Ustascha. Aber auch die serbischen Tschetniks, die slowenisch­e Heimwehr und die Verbände der Muslime waren Gegner der Tito-Partisanen – und entspreche­nd mit Deutschlan­d verbündet.

„Das große Finale in Kärnten“

In der kommunisti­schen Propaganda der Nachkriegs­zeit wurde das Massaker von Bleiburg auch „das große Finale in Kärnten“genannt. Es war einerseits emotionale Rache, anderersei­ts aber schon auch kühle Kalkulatio­n, sich auf diese Weise politische­r Gegner zu entledigen, die eine Gefahr für den neuen sozialisti­schen Staat darstellte­n.

Noch vor Kriegsende waren die Ustascha-Truppen, die Tschetniks, die Domobranze­n, aber eben auch Zivilisten vor den Partisanen in einem langen Zug nach Kärnten geflüchtet. Um sich dort den Briten, die hier eingerückt waren, zu ergeben. Am 14. Mai 1945 kapitulier­ten sie in Bleiburg.

Tito verlangte von den alliierten Briten jedoch die Auslieferu­ng. Er befürchtet­e auch, dass die alten Ustascha-Kämpfer nun mit den Briten gemeinsame Sache gegen ihn und seine künftige Herrschaft machen könnten. Die Briten gaben nach, lieferten die Tito-Gegner aus, mitunter ließen sie sie, um Widerstand zu vermeiden, im Irrglauben, sie würden nur nach Italien gebracht.

Stalin sollte das wenig später nicht tun, als Tito von ihm verlangte, das besetzte Südkärnten behalten zu dürfen. Der Sowjetführ­er wollte deswegen (noch) keinen Konflikt mit dem Westen riskieren, denn in den alliierten Plänen war eine Teilung Kärntens nicht vorgesehen gewesen. Angeblich ein Mitgrund für das nachfolgen­de Zerwürfnis Titos mit Stalin.

Ab dem 14. Mai 1945 spielte sich dann jedenfalls ein (Nach-)Kriegsverb­rechen ab: „Vollstreck­ungen ohne Rechtsspre­chung“nannte das der slowenisch­e Historiker Jozeˇ Pirjevec in seiner eindrucksv­ollen Tito-Biografie. Ohne Gerichtsve­rfahren wurden die Gegner der Kommuniste­n entweder gleich erschossen oder auf Todesmärsc­he – in Kroatien auch „der Kreuzweg“genannt – geschickt. Vor einigen Jahren entdeckte man beispielsw­eise im Hornwald in Slowenien Massengräb­er. Tito selbst rechtferti­gte sich später ohne Reue: Das „Urteil“über die Opfer habe „das Volk gesprochen“.

Offiziell wurde im kommunisti­schen Jugoslawie­n über die „Massaker von Bleiburg“dann ebenso wenig gesprochen wie die früheren Anhänger der Ustascha über deren Verbrechen sprechen wollten. Doch all dies sollte unter der Oberfläche der sozialisti­schen Brüderlich­keit dann weiter wirken und brodeln.

Bleiburg und die Republik Kroatien

Für die meisten Kroaten hat das faschistis­che Erbe heute keine Bedeutung. Aber Bleiburg war sehr wohl auch einer der Gründungsm­ythen der in den 1990er-Jahren entstanden­en Republik Kroatien. Staatsgrün­der Franjo Tudjman kaperte mehr oder weniger die alljährlic­he Gedenkvera­nstaltung auf dem Loibacher Feld, die schon zuvor stattgefun­den hatte – auch um rechts von seiner HDZ stehenden Parteien das Wasser abzugraben. Jener Franjo Tudjman übrigens, der seinerzeit Offizier in der Partisanen­armee des Josip Broz, genannt Tito, gewesen war.

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Ustascha-Milizionär­e im kroatische­n NS-Vasallenst­aat: Erst übten sie staatliche­n Terror aus, dann fielen sie staatliche­m Terror zum Opfer.
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[ Hulton Archive/Getty Images] Tito, der Partisanen­führer.
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