Das Massaker von Bleiburg
Jugoslawien. Die „Massaker von Bleiburg“, ein Exzess der unmittelbaren Nachkriegszeit, der bis heute nachwirkt. Über die strategische Rache Titos an seinen faschistischen Gegnern.
Titos Rache an seinen faschistischen Gegnern: Ein Exzess der Nachkriegszeit, der bis heute nachwirkt.
Der Schriftsteller Milovan Ðjilas, einst Titos Kampf- und Weggefährte, dann Dissident, nicht zuletzt wegen des Personenkults um den jugoslawischen Staatschef, meinte einmal: „Es gab keine ordentlichen Gerichte. Es gab keine Möglichkeit, die 20.000 bis 30.000 Fälle zuverlässig zu untersuchen. So war der einfachste Ausweg, sie alle zu erschießen und damit das Problem los zu sein.“Über die genaue Todesopferanzahl herrscht Unklarheit, die kroatische Rechte spricht von über hunderttausend, unabhängige Historiker von bis zu 70.000.
Als die „Massaker von Bleiburg“gingen diese Ereignisse in Südkärnten kurz nach Kriegsende 1945 in die Geschichte ein. Die Tito-Partisanen übten furchtbare Rache an ihren Gegnern: an den kroatischen Ustascha-Milizen, an den ebenfalls mit den Nazis kollaborierenden slowenischen Domobranzen, an den königstreuen serbischen Tschetniks. Aber auch Zivilisten waren unter den Opfern, Gegner der Kommunisten, die sich nun anschickten, die Macht in Jugoslawien zu übernehmen.
Alljährlich findet auf dem Loibacher Feld bei Bleiburg eine Gedenkfeier für die Opfer statt. Diese hat nicht nur den Segen der kroatischen Kirche – diese ist auch der Veranstalter –, sondern auch der kroatischen Regierung. So waren auch immer wieder Minister der konservativen HDZ in Bleiburg. Die linke Vorgängerregierung der nun wieder regierenden HDZ ließ die Förderungen für den Verein Bleiburger Ehrenzug aber einstellen.
Denn die Veranstaltung hat auch Ustascha-Nostalgiker von nah und fern angezogen, die ihre Gesinnung mit entsprechenden Abzeichen, Uniformen oder dem andersherum angeordneten kroatischen Schachbrettmuster – wie zu Zeiten des „Poglavnik“(„Führer“) Ante Pavelic´ – vor sich hertragen. Heuer sprachen sich im Vorfeld nicht nur diverse EU-Abgeordnete, sondern auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser für strengere Maßnahmen beim Treffen in Bleiburg aus, das am 12. Mai stattfinden wird.
Die Tragödie von Bleiburg setzt sich gewissermaßen also bis heute fort. Und auch ihre Wurzeln reichen weit zurück. Bis zur Gründung Jugoslawiens 1918. Diese war nicht wirklich von einer breiten Volksbewegung getragen, sondern eher ein Elitenprojekt. Die südslawische Idee war eine von Intellektuellen, die dann unter Führung des serbischen Königs umgesetzt wurde. Und das war dann auch schon das Problem: die serbische Dominanz im neuen Staat. Viele Kroaten hätten schon damals lieber einen eigenen Staat gehabt.
Attentat auf König Alexander
Die Chance bot sich dann auch – allerdings unter faschistischen Vorzeichen. Jugoslawien war ab 1929 eine serbische Königsdiktatur geworden. Die Spannungen zwischen Serben und Kroaten verschärften sich. Ein Jahr zuvor war der Chef der kroatischen Bauernpartei, Stjepan Radic,´ hinter dem sich die meisten Kroaten versammelt hatten, im Parlament in Belgrad erschossen worden. Der Rechtsanwalt Ante Pavelic,´ ein radikaler Exponent der kroatischen Nationalbewegung, ging daraufhin ins Exil und gründete dort die Ustascha. Das erste Mal machte diese auf sich aufmerksam, als ihr 1934 ein tödliches Attentat auf den jugoslawischen König Alexander in Marseille gelang, bei dem auch der französische Außenminister Louis Barthou starb.
1941 sollte Pavelic´ dann selbst zum Diktator – von Adolf Hitlers Gnaden – werden: Kroatien wurde ein formell unabhängiger, jedoch eng an Hitler-Deutschland und Mussolinis Italien angelehnter Staat. Und übernahm auch deren Methoden. Den Nazis stand man an Brutalität nichts nach. Die Ustascha betrieb in Jasenovac ein eigenes Konzentrationslager – für Serben, Juden und Roma. Auch hier gehen die Angaben über die Opferzahl auseinander, 80.000 bis 90.000 dürften es seriösen Quellen zufolge aber jedenfalls gewesen sein.
Der Zweite Weltkrieg war in Jugoslawien auch ein Bürgerkrieg: der kommunistischen Tito-Partisanen gegen die kroatische Ustascha. Aber auch die serbischen Tschetniks, die slowenische Heimwehr und die Verbände der Muslime waren Gegner der Tito-Partisanen – und entsprechend mit Deutschland verbündet.
„Das große Finale in Kärnten“
In der kommunistischen Propaganda der Nachkriegszeit wurde das Massaker von Bleiburg auch „das große Finale in Kärnten“genannt. Es war einerseits emotionale Rache, andererseits aber schon auch kühle Kalkulation, sich auf diese Weise politischer Gegner zu entledigen, die eine Gefahr für den neuen sozialistischen Staat darstellten.
Noch vor Kriegsende waren die Ustascha-Truppen, die Tschetniks, die Domobranzen, aber eben auch Zivilisten vor den Partisanen in einem langen Zug nach Kärnten geflüchtet. Um sich dort den Briten, die hier eingerückt waren, zu ergeben. Am 14. Mai 1945 kapitulierten sie in Bleiburg.
Tito verlangte von den alliierten Briten jedoch die Auslieferung. Er befürchtete auch, dass die alten Ustascha-Kämpfer nun mit den Briten gemeinsame Sache gegen ihn und seine künftige Herrschaft machen könnten. Die Briten gaben nach, lieferten die Tito-Gegner aus, mitunter ließen sie sie, um Widerstand zu vermeiden, im Irrglauben, sie würden nur nach Italien gebracht.
Stalin sollte das wenig später nicht tun, als Tito von ihm verlangte, das besetzte Südkärnten behalten zu dürfen. Der Sowjetführer wollte deswegen (noch) keinen Konflikt mit dem Westen riskieren, denn in den alliierten Plänen war eine Teilung Kärntens nicht vorgesehen gewesen. Angeblich ein Mitgrund für das nachfolgende Zerwürfnis Titos mit Stalin.
Ab dem 14. Mai 1945 spielte sich dann jedenfalls ein (Nach-)Kriegsverbrechen ab: „Vollstreckungen ohne Rechtssprechung“nannte das der slowenische Historiker Jozeˇ Pirjevec in seiner eindrucksvollen Tito-Biografie. Ohne Gerichtsverfahren wurden die Gegner der Kommunisten entweder gleich erschossen oder auf Todesmärsche – in Kroatien auch „der Kreuzweg“genannt – geschickt. Vor einigen Jahren entdeckte man beispielsweise im Hornwald in Slowenien Massengräber. Tito selbst rechtfertigte sich später ohne Reue: Das „Urteil“über die Opfer habe „das Volk gesprochen“.
Offiziell wurde im kommunistischen Jugoslawien über die „Massaker von Bleiburg“dann ebenso wenig gesprochen wie die früheren Anhänger der Ustascha über deren Verbrechen sprechen wollten. Doch all dies sollte unter der Oberfläche der sozialistischen Brüderlichkeit dann weiter wirken und brodeln.
Bleiburg und die Republik Kroatien
Für die meisten Kroaten hat das faschistische Erbe heute keine Bedeutung. Aber Bleiburg war sehr wohl auch einer der Gründungsmythen der in den 1990er-Jahren entstandenen Republik Kroatien. Staatsgründer Franjo Tudjman kaperte mehr oder weniger die alljährliche Gedenkveranstaltung auf dem Loibacher Feld, die schon zuvor stattgefunden hatte – auch um rechts von seiner HDZ stehenden Parteien das Wasser abzugraben. Jener Franjo Tudjman übrigens, der seinerzeit Offizier in der Partisanenarmee des Josip Broz, genannt Tito, gewesen war.