Trauer im digitalen Dorf
Die Medienwissenschaftlerin Katrin Döveling erforscht, was soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook und Instagram mit der Gefühlswelt ihrer Nutzer machen.
Wie soziale Netzwerke mit der Gefühlswelt ihrer Nutzer umgehen.
Ein Klick, und schon legt sich eine transparente französische Flagge über das eigene Profilfoto auf Facebook. „R.I.P. Carrie!“Auch die Änderung der Statusmeldung geht in Sekundenschnelle. In den sozialen Netzwerken (Social Media) gedenken wir der Opfer der Anschläge von Paris oder der verstorbenen Filmikone Carrie Fisher auf Knopfdruck.
Onlinetrauer ist ein Phänomen, mit dem sich Katrin Döveling vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt beschäftigt. Sie beobachtet, wie Anteilnahme global im Internet ausgedrückt wird, und sucht nach Erklärungen dafür. „Wir signalisieren zum einen damit: Wir sind die Guten“, so die Forscherin. „Aber das Ganze hat auch noch einen anderen wichtigen Aspekt. Wir leben in einer unsicheren Welt, in der viele Menschen – und ich zähle mich auch dazu – ein Flugzeug mit einem anderen Gefühl betreten als noch vor ein paar Jahren oder sich in großen Menschengruppen anders fühlen. Im Netz geteilte Betroffenheit lindert die Angst.“Sie schaffe Zusammengehörigkeit.
Schlagwort geht um die Welt
Das bedeutet, dass uns die sozialen Medien das ermöglichen, was in der Soziologie Vergemeinschaftung genannt wird: Es bildet sich eine Gemeinschaft mit einem starken Wir-Gefühl. Im digitalen Raum ist dies zeit- und ortsunabhängig möglich. „Wir werden in solchen Momenten zu einem digitalen Weltdorf“, so Döveling. Die Medienwissenschaftlerin erforscht die ganze Palette an Emotionen, die wir in diesem digitalen Weltdorf zeigen. Die Trauer rund um terroristische Anschläge oder prominente Verstorbene ist nur ein Teil davon.
Zuletzt sorgte das Hashtag MeToo weltweit für eine breite Palette an Gefühlen zwischen Wut, Erleichterung und Abscheu. Unter dem Schlagwort verbreiteten Frauen – darunter bekannte Namen wie Reese Witherspoon, Viola Da- vis und Sheryl Crow – auf den Plattformen Twitter und Facebook Berichte über sexualisierte Übergriffe und Belästigung.
Allgegenwärtige Digitalisierung
Social Media mache „gesellschaftliche Probleme offensichtlich im wahrsten Sinn des Wortes“, erklärt Döveling. „Sie werden offengelegt und sichtbar.“Sie plädiert dafür, die Vielschichtigkeit der Ausdrucksformen im Internet wahrzunehmen und nicht nur die negativen Seiten wie zum Beispiel Hate Speech, also der bewusste Einsatz von Worten, um andere heftig anzugreifen, abzuwerten und oft auch diskriminierend zu beleidigen.
Berufliche E-Mails am Spielplatz, Rating-Websites für Arztpraxen oder Musik vom Smartphone beim Joggen – die Digitalisierung durchdringt unsere alltäglichen und privaten Bereiche vielschichtig, wie vergangene Woche die von Döveling geleitete Tagung „Global Mediatization Research und Technology“an der Alpen-Adria-Universität auf breiter Ebene deutlich machen konnte. Wie diese Veränderungen im Bereich der Emotio- nen vonstattengehen, zeigen kommunikationswissenschaftliche Arbeiten zu digitalen Bildwelten besonders eindrücklich. Ein Beispiel dafür sind Dövelings Forschungen zu Fitnessaccounts auf Instagram, einer Onlineplattform zum Teilen von Bildern und Videos. In ihrem Zentrum steht das Körperselbstbewusstsein von jungen Frauen. Studien in verschiedenen Ländern zeigen, dass die Bilder dieser perfekten und durchtrainierten Körper einen großen Druck besonders bei jungen, wenig selbstbewussten Frauen erzeugen. Döveling: „Der soziale Vergleich erhöht die Unsicherheit.“
Idealisierte Frauenkörper, so könnte man einwenden, gibt es seit eh und je. „Der Druck, westlichen Schönheitsvorstellungen zu entsprechen, ist sicherlich kein neues Phänomen“, stimmt Döveling zu. „Aber die sozialen Medien verstärkt diesen.“Die meisten Frauen setzen sich den makellosen Instagram-Bildern mehrfach täglich aus. Dadurch bekommen Aushandlungsprozesse im Internet eine ganz andere Dimension: „Das ist nicht vergleichbar damit, ab und zu bei einem Werbeplakat vorbeizulaufen.“Die permanente digitale Bilderflut verfestigt das Gefühl, nicht zu genügen, wie man ist.
Die Last unerreichbarer Schönheitsideale trifft auch auf Instagram und Co. hauptsächlich junge Frauen. „Man darf soziale Medien generell nie von der Gesellschaft separieren“, betont die Medienwissenschaftlerin. „Sie spiegeln gesellschaftliche Hintergründe mit allen Machtstrukturen und männlich dominierten Hegemonien wider.“
Onlinetrauer signalisiert auch: Wir sind mit unseren Angstgefühlen nicht allein. Katrin Döveling, Medienwissenschaftlerin