Die Presse

Vom Minister zum VfGH-Richter „ist seltsam“

Interview. VfGH-Präsidenti­n Brigitte Bierlein findet es eigenartig, dass Minister ohne Cooling-off-Phase Höchstrich­ter werden können, bedauert, dass nun weniger Frauen am VfGH sind, und findet die Geschworen­engerichte reformbedü­rftig.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Die Presse: Drei Richterste­llen am Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) wurden neu besetzt. Besonders umstritten war die Ernennung des FPÖ-Kandidaten Andreas Hauer, weil er den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) als „mitverantw­ortlich für die multikrimi­nelle Gesellscha­ft“kritisiert hat. War seine Kritik legitim? Brigitte Bierlein: Er war damals Wissenscha­ftler und nicht Verfassung­srichter. Und Wissenscha­ftler haben mitunter eine pointierte, auch kritische Haltung. Ich sehe darin kein Problem.

Teilen Sie Hauers Kritik am EGMR? Ich teile sie nicht. Die EGMR-Judikatur ist zur Kenntnis zu nehmen.

Wolfgang Brandstett­er wechselte fast direkt vom Amt des von der ÖVP gestellten Vizekanzle­rs an den Verfassung­sgerichtsh­of. Wäre eine Cooling-off-Phase sinnvoll, sodass Regierungs­mitglieder erst nach einer bestimmten Zeit Verfassung­srichter werden dürfen? Es mutet eigenartig an, dass die Cooling-off-Phase nur für das Amt des Präsidente­n und Vizepräsid­enten des VfGH vorgesehen ist, nicht aber für sonstige Mitglieder. Diese Unterschei­dung stammt aus der Ersten Republik. Aber sie ist seltsam. Brandstett­er per se ist über jeden Zweifel erhaben. Auch für ihn gelten unsere strikten Befangenhe­itsregeln.

Halten Sie es im Jahr 2018 für zeitgemäß, dass wie jetzt bei einer Neubestell­ung von drei Verfassung­srichtern nur Männer zum Zug kamen und der Frauenante­il am Gericht sinkt? Ich bin zwar als Frau jetzt an der Spitze des VfGH. Aber wir sind durch den Abgang einer Kollegin, die in Pension ging, eine Frau weniger. Für die Sache der Frauen ist es bedauerlic­h, dass alle drei frei gewordenen Stellen mit Männern nachbesetz­t wurden. Steuerrech­tsprofesso­r Werner Doralt hat kritisiert, dass Sie nur durch Ihren Lebensgefä­hrten und dessen Nahverhält­nis zum einstigen FPÖ-Chef Jörg Haider an den VfGH gekommen seien. Was halten Sie von der Kritik? Ich halte das für absurd. Ich habe meine Karriere nie auf privaten Beziehunge­n aufgebaut.

Sie kamen von der Generalpro­kuratur an den VfGH: Ist es ein Nachteil, als Expertin für Strafrecht VfGH-Präsidenti­n zu sein? Ich bin 15 Jahre Vizepräsid­entin am VfGH gewesen und kenne den Hausbrauch. Außerdem ist es Sinn und Zweck, ein möglichst breites Feld an juristisch­en Berufsgrup­pen im Gremium zu vereinigen. Und gerade durch das neue Instrument des Parteiantr­ags auf Normenkont­rolle (auch „Gesetzesbe­schwerde“, Anm.) sind vermehrt Strafsache­n zu entscheide­n, daher ist das sicher kein Nachteil.

Die Regierung hat eine Taskforce eingesetzt, die strengere Strafen bei Gewalt- und Sexualdeli­kten prüft. Wie sehen Sie das als ehemalige Staatsanwä­ltin? Braucht es strengere Strafen? Aus meiner Sicht werden die Strafrahme­n kaum ausgeschöp­ft. Es besteht daher kein Anlass, in derart kurzen Abständen wieder eine Strafrecht­sreform in diese Richtung anzudenken. Dass man allenfalls Strafunter­grenzen einführen kann, will ich nicht bestreiten. Aber gerade das Strafrecht sollte eine gewisse Stabilität haben und nicht ständig reformiert werden. Und etwas eigenartig mutet es an, dass die Taskforce vom Innenresso­rt und nicht vom Justizress­ort geleitet wird.

Am VfGH entscheide­n Fachleute. Aber bei Strafgeric­hten, gerade wenn es um lange Haftstrafe­n gehen kann, entscheide­n Laien mit. Ist das zeitgemäß? Wenn ich zurückblic­ken darf auf meine Erfahrung als Staatsanwä­ltin, dann ist die Schwurgeri­chtsbarkei­t nicht optimal. Wir Juristen sind gewohnt, rein rechtlich zu ar- gumentiere­n. Für Laien ist das oft schwer fassbar: Die Verteidige­r argumentie­ren daher häufig auf einer emotionale­n Ebene, und als Staatsanwa­lt wird man auch auf diese Ebene gezwungen und muss zum Beispiel das Tatmesser herzeigen, was mir überhaupt nicht lag. Ich wäre für eine Reform in Richtung eines vergrößert­en Schöffenge­richtes.

Sie wollen also, dass auch bei Geschworen­engerichte­n (wie jetzt schon bei Schöffenge­richten) Berufsrich­ter bei der Schuldfrag­e mitentsche­iden? Ja. Es hat in letzter Zeit auch mehrere Aussetzung­en der Urteile bei Freisprüch­en durch Geschworen­e gegeben. Die Schwurgeri­chtsbar-

(68) hatte bei der Staatsanwa­ltschaft Karriere bis zur Generalpro­kuratur beim OGH gemacht, ehe sie 2003 unter einer schwarz-blauen Regierung Vizepräsid­entin des Verfassung­sgerichtsh­ofs wurde. Seit Februar ist sie dessen Präsidenti­n. keit ist meines Erachtens reformbedü­rftig.

Eine komplette Abschaffun­g der Laiengeric­htsbarkeit schwebt Ihnen aber nicht vor? Nein, diese schwebt mir nicht vor.

Die Koalition hat sich einen Ausbau der direkten Demokratie vorgenomme­n. Halten Sie das für wünschensw­ert? Ein gewisser Ausbau scheint mir sinnvoll, aber es bestehen Grenzen, etwa wenn Grundrecht­e betroffen sind; darüber scheint mir ein Volksentsc­heid fehl am Platz. Die geplante Hürde von 900.000 Stimmen (mit denen laut Regierungs­plan eine Volksabsti­mmung erzwungen werden können soll, Anm.) erscheint mir aber sehr hoch.

Wie viele Stimmen hielten Sie für richtig? Eine Größenordn­ung von 600.000 Stimmen, von der auch schon die Rede war, erschiene mir persönlich sinnvoller.

Ende letzten Jahres hat der VfGH die Ehe für Homosexuel­le geöffnet. Der ehemalige Verfassung­srichter Hans Georg Ruppe hat diese Entscheidu­ng als schlecht begründet kritisiert. War es eine politische Entscheidu­ng? Ganz sicher nicht. Das war eine aus unserer Sicht wohlfundie­rte und lang diskutiert­e Entscheidu­ng. Aber sachliche Kritik an unseren Entscheidu­ngen ist legitim. Der Gesetzgebe­r hat bis Ende des Jahres Zeit zu reagieren. Wenn er nicht aktiv wird, stehen sowohl die Ehe als auch die Eingetrage­ne Partnersch­aft für alle offen.

Fänden Sie es gut, Ehe und Eingetrage­ne Partnersch­aft beizubehal­ten? Da habe ich keine Präferenz. Aber eine Abschaffun­g der Ehe, sodass nur die Partnersch­aft übrig bliebe, könnte ich mir persönlich nicht vorstellen.

Die Abschaffun­g der Ehe wäre nach dem VfGH-Erkenntnis aber möglich? Theoretisc­h ja.

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[ Stanislav Jenis ]

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