Vom Minister zum VfGH-Richter „ist seltsam“
Interview. VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein findet es eigenartig, dass Minister ohne Cooling-off-Phase Höchstrichter werden können, bedauert, dass nun weniger Frauen am VfGH sind, und findet die Geschworenengerichte reformbedürftig.
Die Presse: Drei Richterstellen am Verfassungsgerichtshof (VfGH) wurden neu besetzt. Besonders umstritten war die Ernennung des FPÖ-Kandidaten Andreas Hauer, weil er den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als „mitverantwortlich für die multikriminelle Gesellschaft“kritisiert hat. War seine Kritik legitim? Brigitte Bierlein: Er war damals Wissenschaftler und nicht Verfassungsrichter. Und Wissenschaftler haben mitunter eine pointierte, auch kritische Haltung. Ich sehe darin kein Problem.
Teilen Sie Hauers Kritik am EGMR? Ich teile sie nicht. Die EGMR-Judikatur ist zur Kenntnis zu nehmen.
Wolfgang Brandstetter wechselte fast direkt vom Amt des von der ÖVP gestellten Vizekanzlers an den Verfassungsgerichtshof. Wäre eine Cooling-off-Phase sinnvoll, sodass Regierungsmitglieder erst nach einer bestimmten Zeit Verfassungsrichter werden dürfen? Es mutet eigenartig an, dass die Cooling-off-Phase nur für das Amt des Präsidenten und Vizepräsidenten des VfGH vorgesehen ist, nicht aber für sonstige Mitglieder. Diese Unterscheidung stammt aus der Ersten Republik. Aber sie ist seltsam. Brandstetter per se ist über jeden Zweifel erhaben. Auch für ihn gelten unsere strikten Befangenheitsregeln.
Halten Sie es im Jahr 2018 für zeitgemäß, dass wie jetzt bei einer Neubestellung von drei Verfassungsrichtern nur Männer zum Zug kamen und der Frauenanteil am Gericht sinkt? Ich bin zwar als Frau jetzt an der Spitze des VfGH. Aber wir sind durch den Abgang einer Kollegin, die in Pension ging, eine Frau weniger. Für die Sache der Frauen ist es bedauerlich, dass alle drei frei gewordenen Stellen mit Männern nachbesetzt wurden. Steuerrechtsprofessor Werner Doralt hat kritisiert, dass Sie nur durch Ihren Lebensgefährten und dessen Nahverhältnis zum einstigen FPÖ-Chef Jörg Haider an den VfGH gekommen seien. Was halten Sie von der Kritik? Ich halte das für absurd. Ich habe meine Karriere nie auf privaten Beziehungen aufgebaut.
Sie kamen von der Generalprokuratur an den VfGH: Ist es ein Nachteil, als Expertin für Strafrecht VfGH-Präsidentin zu sein? Ich bin 15 Jahre Vizepräsidentin am VfGH gewesen und kenne den Hausbrauch. Außerdem ist es Sinn und Zweck, ein möglichst breites Feld an juristischen Berufsgruppen im Gremium zu vereinigen. Und gerade durch das neue Instrument des Parteiantrags auf Normenkontrolle (auch „Gesetzesbeschwerde“, Anm.) sind vermehrt Strafsachen zu entscheiden, daher ist das sicher kein Nachteil.
Die Regierung hat eine Taskforce eingesetzt, die strengere Strafen bei Gewalt- und Sexualdelikten prüft. Wie sehen Sie das als ehemalige Staatsanwältin? Braucht es strengere Strafen? Aus meiner Sicht werden die Strafrahmen kaum ausgeschöpft. Es besteht daher kein Anlass, in derart kurzen Abständen wieder eine Strafrechtsreform in diese Richtung anzudenken. Dass man allenfalls Strafuntergrenzen einführen kann, will ich nicht bestreiten. Aber gerade das Strafrecht sollte eine gewisse Stabilität haben und nicht ständig reformiert werden. Und etwas eigenartig mutet es an, dass die Taskforce vom Innenressort und nicht vom Justizressort geleitet wird.
Am VfGH entscheiden Fachleute. Aber bei Strafgerichten, gerade wenn es um lange Haftstrafen gehen kann, entscheiden Laien mit. Ist das zeitgemäß? Wenn ich zurückblicken darf auf meine Erfahrung als Staatsanwältin, dann ist die Schwurgerichtsbarkeit nicht optimal. Wir Juristen sind gewohnt, rein rechtlich zu ar- gumentieren. Für Laien ist das oft schwer fassbar: Die Verteidiger argumentieren daher häufig auf einer emotionalen Ebene, und als Staatsanwalt wird man auch auf diese Ebene gezwungen und muss zum Beispiel das Tatmesser herzeigen, was mir überhaupt nicht lag. Ich wäre für eine Reform in Richtung eines vergrößerten Schöffengerichtes.
Sie wollen also, dass auch bei Geschworenengerichten (wie jetzt schon bei Schöffengerichten) Berufsrichter bei der Schuldfrage mitentscheiden? Ja. Es hat in letzter Zeit auch mehrere Aussetzungen der Urteile bei Freisprüchen durch Geschworene gegeben. Die Schwurgerichtsbar-
(68) hatte bei der Staatsanwaltschaft Karriere bis zur Generalprokuratur beim OGH gemacht, ehe sie 2003 unter einer schwarz-blauen Regierung Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs wurde. Seit Februar ist sie dessen Präsidentin. keit ist meines Erachtens reformbedürftig.
Eine komplette Abschaffung der Laiengerichtsbarkeit schwebt Ihnen aber nicht vor? Nein, diese schwebt mir nicht vor.
Die Koalition hat sich einen Ausbau der direkten Demokratie vorgenommen. Halten Sie das für wünschenswert? Ein gewisser Ausbau scheint mir sinnvoll, aber es bestehen Grenzen, etwa wenn Grundrechte betroffen sind; darüber scheint mir ein Volksentscheid fehl am Platz. Die geplante Hürde von 900.000 Stimmen (mit denen laut Regierungsplan eine Volksabstimmung erzwungen werden können soll, Anm.) erscheint mir aber sehr hoch.
Wie viele Stimmen hielten Sie für richtig? Eine Größenordnung von 600.000 Stimmen, von der auch schon die Rede war, erschiene mir persönlich sinnvoller.
Ende letzten Jahres hat der VfGH die Ehe für Homosexuelle geöffnet. Der ehemalige Verfassungsrichter Hans Georg Ruppe hat diese Entscheidung als schlecht begründet kritisiert. War es eine politische Entscheidung? Ganz sicher nicht. Das war eine aus unserer Sicht wohlfundierte und lang diskutierte Entscheidung. Aber sachliche Kritik an unseren Entscheidungen ist legitim. Der Gesetzgeber hat bis Ende des Jahres Zeit zu reagieren. Wenn er nicht aktiv wird, stehen sowohl die Ehe als auch die Eingetragene Partnerschaft für alle offen.
Fänden Sie es gut, Ehe und Eingetragene Partnerschaft beizubehalten? Da habe ich keine Präferenz. Aber eine Abschaffung der Ehe, sodass nur die Partnerschaft übrig bliebe, könnte ich mir persönlich nicht vorstellen.
Die Abschaffung der Ehe wäre nach dem VfGH-Erkenntnis aber möglich? Theoretisch ja.