Die Presse

Kein Schuldener­lass für Athen

Währungsun­ion. Nach acht Jahren wird sich Griechenla­nd ab August wieder selbststän­dig finanziere­n. Ob und wie lang das gut geht, ist angesichts der enormen Schuldenqu­ote ungewiss.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Vier Monate vor dem Ende der Finanzhilf­en für Griechenla­nd ist die Schlüsself­rage für den dauerhafte­n Erfolg dieser Rettungsak­tion ungelöst: ist die griechisch­e Staatsschu­ld dauerhaft tragbar – oder müssen Athens Gläubiger, allen voran Deutschlan­d, zumindest einen Teil ihrer Forderunge­n als uneinbring­lich abschreibe­n?

Die Finanzmini­ster der Mitgliedst­aaten der Währungsun­ion vermieden am Freitag bei ihrem Treffen in Sofia dieses heikle Thema. „Wir haben diesen Aspekt heute nicht aufgegriff­en“, sagte Pierre Moscovici, der als EU-Finanzkomm­issar an diesen Treffen der Eurogruppe teilnimmt. Mario Centeno, der Vorsitzend­e der Eurogruppe, erinnerte daran, dass Griechenla­nd bereits Erleichter­ungen bei der Rückzahlun­g seiner Kredite erhalten habe. Die Eurogruppe sei grundsätzl­ich dazu bereit, „mittelfris­tig“weitere solche Maßnahmen zu ergreifen, die den faktischen Effekt eines teilweisen Schuldener­lasses entfaltete­n. „Dafür gibt es aber zwei Bedingunge­n: Griechenla­nd muss sein Programm erfolgreic­h vollendet ha- ben, und es muss klare Belege dafür geben, dass ein Schuldenna­chlass notwendig für die Nachhaltig­keit der Staatsschu­ld ist“, sagte der frühere portugiesi­sche Finanzmini­ster. Klaus Regling, der Chef des Euro-Rettungsfo­nds Europäisch­er Stabilität­smechanism­us (ESM), ließ erkennen, dass er als größter Gläubiger Athens kein Interesse daran habe, auf seine Forderunge­n zu verzichten: „Wir sind sehr geduldig, aber wir wollen unser Geld zurückgeza­hlt bekommen.“

Das Programm, von dem hier die Rede ist, umfasst jene Reformmaßn­ahmen, zu denen sich der griechisch­e Regierungs­chef, Alexis Tsipras, im August 2015 gegenüber den anderen Eurostaate­n verpflicht­et hatte, um im Gegenzug für drei Jahre 86 Milliarden Euro an Hilfskredi­ten zu erhalten. Ohne dieses Geld hätte Tsipras, der Anfang 2015 mit einer erratische­n Volksabsti­mmung über diese Maßnahmen beinahe den Hinauswurf Griechenla­nds aus der Währungsun­ion provoziert hatte, den Bankrott seines Staates erklären müssen.

Seit damals arbeitet die linkspopul­istische Regierung das Sanie- rungsprogr­amm ziemlich disziplini­ert ab. Zum zweiten Mal hintereina­nder hat das Land einen Primärüber­schuss von vier Prozent erzielt, also vor Abzug der Kosten für den Schuldendi­enst.

Centeno, Regling, Moscovici und die im Direktoriu­m der Europäisch­en Zentralban­k für Bankenaufs­icht zuständige Dani`ele Nouy hielten in Sofia unisono fest, dass Athen nur mehr zwei Punkte zu erfüllen habe. Erstens müsse die Regierung die große Menge an uneinbring­lichen Krediten entschloss­ener zu verringern versuchen. Zweitens müsse die griechisch­e Regierung dafür sorgen, dass das Gesetz über die Möglichkei­t der Erklärung einer Privatinso­lvenz gut funktionie­rt und Missbräuch­e verhindert werden. „Wir sind auf der Schlussger­aden“, frohlockte Kommissar Moscovici. „Mit dem Ende des Hilfsprogr­amms werden wir die letzte Seite der Eurokrise umblättern.“

Ob diese Einschätzu­ng haltbar ist, wird davon abhängen, ob Athen sich dauerhaft an den Finanzmärk­ten zu tragbaren Konditione­n finanziere­n kann, wie die Regierung Tsipras das ab 21. August zu tun gedenkt. Derzeit bewerten alle Kreditrati­ngagenture­n Griechenla­nds Staatsanle­ihen als Ramsch. Ob sie neu emittierte Papiere besser bewerten, ist offen und hängt davon ab, ob sie Griechenla­nds Schuldenqu­ote von derzeit rund 180 Prozent als verringerb­ar ansehen oder nicht. Der Internatio­nale Währungsfo­nds tut dies nicht und hat bereits vor einem Jahr zu einem Schuldensc­hnitt durch die staatliche­n Gläubiger Athens gemahnt (die privaten mussten bereits im Jahr 2012 eine Abschreibu­ng von Forderunge­n im Ausmaß von 107 Milliarden Euro schlucken).

Erschwert wird die Lösung dieses Problems dadurch, dass Griechenla­nds Banken durch den völligen Austritt aus dem Hilfsprogr­amm auch den Zugang zu billigem Geld der EZB verlieren dürften, mit dem sie sich von Tag zu Tag flüssig halten. Die Nachrichte­nagentur Reuters berichtet, dass man in der EZB nicht gewillt sei, Athen diese Vergünstig­ung über den August hinweg zu gewähren. Denn als Sicherheit für diese liquiden Mittel müssen Staatsanle­ihen der jeweiligen Mitgliedst­aaten hinterlegt werden – und jene Griechenla­nds sind für die EZB als Ramsch inakzeptab­el.

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